Im Leipziger »White Monkey« wird mit Form und Belag der Pizza experementiert.

Im Leipziger »White Monkey« wird mit Form und Belag der Pizza experementiert.
© White Monkey

Die Pizza-Welle: moderne Pizza-Konzepte auf dem Vormarsch

Pizza geht immer! Geringe Kosten, gewaltige Zielgruppe – das hat so manchen Gastronom dazu verleitet, etwas lieblos mit Produkt und Präsentation umzugehen. Eine neue Welle spannender Konzepte reißt die Branche mit sich.

Jede Sekunde werden weltweit – so heißt es – 951 Pizzen gegessen, das macht 30 Milliarden Stück pro Jahr. Nach Reisgerichten ist das Tomaten-Mozzarella-Basilikum-Fladenbrot somit auf Nummer 2 der meist konsumierten Speisen der Welt. Es gibt noch unzählige andere Zahlenspielereien, die etwa belegen sollen, dass Salami die beliebteste Variante ist oder um welche Uhrzeit wo in Deutschland die häufigsten Online-Bestellungen eingehen, aber darum geht es nicht. Fakt ist: Pizza gebührt Aufmerksamkeit und sollte alles andere als ein Huschpfusch-Gericht sein.

»Das Tolle ist doch, dass es sich jeder leisten kann. Eine Pizza und ein kleines Bier kosten unter 10 Euro«, führt etwa Lukas Galehr von »Madame Architects« an. Galehr war für die Gestaltung der »Disco Volante«, eine Pizzeria im 6. Wiener Gemeindebezirk, verantwortlich. Auftraggeberin: Maria Fuchs. Der Disco-Aspekt komme vom Steinofen in Form einer Discokugel, könnte man meinen. Dem ist aber nicht so, wie der Architekt erklärt: »Der Ofen wird ausschließlich abends beleuchtet, untertags hat das Lokal wenig mit einer Disco zu tun. Der Name ›Disco Volante‹ stammt aus dem Italienischen und bedeutet soviel wie ›fliegende Scheibe‹ – das bezieht sich natürlich auf die Pizzen.« Dass es auch ohne Musikbeschallung trotzdem oft geradezu »unerträglich laut« (O-Ton Galehr) ist, liegt am Fliesenboden. In Kombi mit der hölzernen Bestuhlung wirkt das Ganze nicht unbedingt gemütlich, was aber auch durchaus Vorteile hat. »Für viele Familien ist genau diese Umgebung ideal, weil sich keiner über einen Gefühlsausbruch in Erwartung einer Pizza echauffiert.« Ein simpler, ein cleverer Gedanke.

7.500 Spiegelfliesen verkleiden den Ofen im Wiener »Disco Volante«.
© Lukas Schaller
7.500 Spiegelfliesen verkleiden den Ofen im Wiener »Disco Volante«.

Klappe zu, Affe quicklebendig

Zeitgeistige Pizzerien hinterlassen gerne diesen »lauten« Eindruck. Und das auch ohne jeweils vor Ort gewesen zu sein und die Akkustik zu kennen. Es sind die Materialien, die Farben, das ganze Interieur, das die Zeit gefühlt eher beschleunigt als verlangsamt. Während es im Hospitality-Bereich heute meist um Authentizität und Regionalität geht, um ehrliche Materialien, um ein Zurück zur Natur, darf es in diesem Segment etwas undogmatischer zugehen. Das »Shumis« in Tel Aviv besticht durch Tapeten mit Dosen-Print und nimmt starke Anleihen an der US-amerikanischen Popkultur (Stichwort Warhol), das »Voodoo Ray’s« (Großbritannien) setzt auf Wandfliesen in geometri-schen Mustern und Stehtheken. Deko findet sich selten und wenn doch, dann mit Augenzwinkern. So hängt bei »Pizza Farro« (Australien) eine ganze Armada an Nudelhölzern von der Decke und bei »Pizza Randale« (Wien) wacht Bud Spencer über alles und alle. In Leipzig ist wiederum ein weißer Affe allgegenwärtig. Nur ist das nicht ganz vergleichbar, heißt das Restaurant doch »White Monkey – Pizza Lab und Bar« und der Affe ist somit keine Deko, sondern Key Visual bzw. »Anker«, wie Oliver Altherr, CEO -Marché International, sagt. Was der Affe mit Italien zu tun hat? Nichts – und genau darum ging es auch.

»Der Affe ist ein freches und neugieriges Tier und das passt zu unseren neu interpretierten, verrückten Pizzen.« Im »White Monkey« ist alles ein bisschen anders. Die Pizzen sind länglich statt rund, der Belag teils experimentell, zum Kaffee gibt’s kleine Bananen und abends wird statt dem Glas Rotwein auch ein Cocktail gereicht. »Lab & Bar« eben. »Casual Dining«, wie es hoch im Kurs steht und dessen Kurs auch noch weiter nach oben geht, ist Altherr überzeugt. »Wir gehen davon aus, dass die Nachfrage weiter steigen wird. Die Tendenz nach mehr Unkompliziertheit hält an.« Das Design bzw. die Identitätsarchi­tektur, umgesetzt von der »Ippolito Fleitz Group« wurde 2017 mit einem Interieur-Award prämiert. Man hat hier eine surreale Welt erschaffen, die von faszinierend stimmigen Widersprüchen lebt. Wandfüllende ­Grafiken mit Motiven aus dem Italien der 1960er-Jahre treffen auf die Monkey-Lampen von Seletti oder den kultigen Monkey Table von BD Barcelona Design. Experiment: geglückt.

Der weiße Affe lässt sich überall im  »White Monkey« finden.
© White Monkey
Der weiße Affe lässt sich überall im  »White Monkey« finden.

Überdenken, neu denken, ja neu erfinden – darum geht es auch den Initiatoren des »Desita Award – Pizza & Gelato Experience«. Designer, Architekten und andere Kreative bis 35 Jahre sind eingeladen, ihre Vision für das Pizza-Erlebnis der anderen Art einzureichen. »Sail«, das Gewinnerprojekt des letzten Jahres, konnte bis heute nicht verwirklicht werden. Die Nomaden-Pizzeria sollte von Strand zu Strand ziehen, bis dato musste der Ofen aber aus bürokratischen Gründen kalt bleiben. Zusammengefasst: »Alles kann, nichts muss« trifft selten so zu, wie bei den Pizza-Shop/Restaurant-Konzepten 2018. Hier treffen Welten aufeinander, so unterschiedlich wie die Beläge einer »Quattro ­Stagioni«. Es eint die Macher nur eins: der Mut, etwas auszuprobieren.

Artikel aus falstaff KARRIERE 03/2018.

Nicola Afchar-Negad
Autor
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