Mezze sind der Inbegriff arabischer Esskultur.

Mezze sind der Inbegriff arabischer Esskultur.
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Die Welt schmecken: Syrische Küche

Warum es nicht obszön ist, sich jetzt mit der syrischen Küche zu beschäftigen. Der nach Wien geflüchtete Koch Jwan Joo Daod erinnert sich, wie es vor dem Krieg war. Eine Geschichte über raffinierte Gewürze, einladende Mezze, opulente Eintöpfe und die stets verbindende Kraft eines guten Mahls.

Es vergeht kein Tag, an dem die Welt nicht von neuen Schreckensbildern aus Syrien und dem Nahen Osten schockiert wird: Selbstmordattentate, Bombenangriffe, Giftgas. Große Teile der Städte sind nach sechs Jahren Bürgerkrieg zertrümmert, in den Ruinenvierteln von Damaskus, Aleppo oder Homs überleben die verbliebenen Menschen nur mit knapper Not. Trinkwasser ist ein rares Gut, selbst Brot immer öfter eine Mangelware. Zwar versucht das Regime von Diktator Baschar al-Assad den Eindruck zu verbreiten, in weiten Teilen verlaufe das Leben in gewohnten Bahnen und es herrsche fast überall Überfluss. Das ist natürlich pure Lügenpropaganda. Übereinstimmend berichten Flüchtlinge, die den Westen erreichen, dass die meisten Menschen in ihrer alten Heimat ein Dasein am Rande des Existenzminimums führen.

Straßenverkäufer in der Innenstadt Aleppos.
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Straßenverkäufer in der Innenstadt Aleppos.

Ist es dann nicht nachgerade obszön, sich mit der Küche und der kulinarischen Tradition einer Region beschäftigen zu wollen, die immer tiefer in Gewalt und Terror versinkt?
Der 30-jährige Koch Jwan Joo Daod aus Damaskus scheint nicht dieser Meinung zu sein. »Essen und Trinken, das teilt jeder Mensch auf der Welt«, sagt er: »Wenn jemand deine Küche kennenlernt, versteht er sowohl dich besser als auch die Kultur, aus der du kommst.« Seit Juni des vergangenen Jahres lebt Daod in Österreich. In seiner Heimat hatte er die Hotelfachschule besucht, leitete zehn Jahre lang den Küchenbereich eines Luxushotels in Dubai und gelangte, nachdem er das Emirat verlassen musste, weil sein Visum abgelaufen war, auf abenteuerlichen Fluchtwegen nach Wien. Mittlerweile wurde seinem Asylantrag stattgegeben, und der umtriebige Syrer machte sich sofort ans Werk, den gastronomischen Kosmos aus dem Nahen Osten an der Donau weiterzuvermitteln. Er verfasste eine Rezeptsammlung, serviert in befreundeten Restaurants orientalische Gerichte und veranstaltet regelmäßig Kochkurse, bei denen die österreichischen Teilnehmer lernen, syrische Mezze zuzubereiten: vom Kichererbsenbrei Hummus über den Bulgur- und Petersiliensalat Taboulé bis zum Joghurt-Frischkäse Labneh. 
Zwar sind diese wie viele andere orientalische Gerichte im Rahmen der Ethno-Welle längst im Westen angekommen, aber von Daod lässt sich immer noch ein raffinierter Twist abschauen, der den Speisen einen authentischen Flair verleiht. Mal landet mehr Sesampaste als gewohnt im Hummus, mal ein raffinierter Gewürzmix im Melanzanibrei. »Der Weg zu einem Menschen geht durch den Magen«, meint der Koch aus dem Morgenland, »Essen ist wie ein Fenster zwischen zwei verschiedenen Menschen.«

Koch Jwan Joo Daod (Mitte) ist aus Syrien geflüchtet. Heute lebt und arbeitet er in Wien.
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Koch Jwan Joo Daod (Mitte) ist aus Syrien geflüchtet. Heute lebt und arbeitet er in Wien.

Streng genommen gibt es natürlich keine eigenständige syrische Küche, sondern nur gewisse regionale Eigenheiten innerhalb eines großen, geschlossenen kulinarischen Kulturraumes, der von Persien über das Zweistromland und die Arabische Halbinsel bis zur Levante und schließlich sogar bis Spanien reichte. In ihm herrschte reger Austausch, die Leitkultur wurde in den Palästen der Kalifen, zuerst in Damaskus und danach in Bagdad diktiert – auch die Bräuche in der Küche. 

Am Höhepunkt der gastronomischen Entwicklung im Mittelalter pflegte man im Nahen Osten eine verschwenderische Küchentradition von raffinierter Vollendung, die tief nach Europa hinein ausstrahlte und bis heute auch im Westen gewisse Speisen prägt. Zu einer Zeit, da sich in Zentraleuropa die meisten Menschen fast ausschließlich von Getreidebrei ernährten und die Ritter auf ihren Burgen gebratene Fleischbrocken verschlangen, entwickelten arabische Köche ausgeklügelte und aufwendige Rezepturen für luxuriöse Speisen. Während in Europa das kulinarische Erbe des römischen Imperiums von der Völkerwanderung barbarischer Nomadenstämme ausgelöscht worden war, adoptierten die arabischen Invasoren, die 635, drei Jahre nach dem Tod des Propheten Mohammed, die byzantinische Provinzhauptstadt Damaskus erobert hatten, die gastronomischen Sitten, die sie vorfanden.
Die islamischen Wüstenstämme waren in einen der ältesten Kulturräume der Welt eingedrungen. Dort, im fruchtbaren Halbmond, befindet sich die Wiege der Zivilisation, die bereits Tausende Jahre zuvor eine landwirtschaftliche Revolution ausgelöst und eine hochentwickelte Kultur hervorgebracht hatte. Es haben sich Keilschrifttafeln aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert erhalten, die ausgiebige Gastmähler beschreiben, die vor allem einer sozialen Funktion dienten: Sie sollten den Zusammenhalt zwischen Herren und Gesinde festigen oder einen Handel zwischen Kaufleuten bekräftigen. Bei solchen zeremoniellen Anlässen wurde viel Fleisch aufgetragen, und es wurde Gerstenbier oder Dattelwein getrunken.

Die syrische Küche zeichnet sich durch eine Gewürzvielfalt aus.
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Die syrische Küche zeichnet sich durch eine Gewürzvielfalt aus.

Von überall her kamen kulinarische Einflüsse in die Ebenen von Euphrat und Tigris, jahrhundertelang prägte das vergeudungssüchtige Byzanz das Leben in seinen östlichen Provinzen. Als die arabischen Wüstenstämme ihren Herrschaftsbereich in diese Zone des üppigen Lebens ausdehnten, brachten sie zwei wichtige kulinarische Innovationen mit: die Erinnerung an das karge Leben im endlosen Sandmeer und die islamischen Speisegesetze. Schon in der zweiten Sure des Koran wird den Gläubigen aufgetragen, bestimmte Lebensmittel zu meiden, unter anderem das Fleisch von Schweinen und Aasfressern, das als »haram«, also mit einem Tabu beladen, gilt. In den Hadithen, den überlieferten Aussagen des Propheten, ist viel von Ernährung und den Lieblingsspeisen des Propheten die Rede, etwa einem simplen Eintopfgericht namens Tharid, dessen Sauce mit Brotkrümeln eingedickt wird. Die wahren Gaumenfreuden warten diesen Überlieferungen zufolge aber erst im Paradies auf den frommen Muslim.
Nachdem die Kalifen der Umayyaden-Dynastie das islamische Machtzentrum von Mekka nach Damaskus verlagert hatten, gingen die Wüstensöhne in einer Welt des Überflusses auf, die sie bisher nicht gekannt hatten. Die an ein frugales Leben gewohnten Eroberer müssen überwältigt gewesen sein von den fremden Gerüchen und Geschmäckern, die sie auf den Märkten in der kosmopolitischen Stadt vorfanden. Es war ein irdisches Paradies, ein Schlaraffenland, das ihnen ihre heilige Schrift erst für das Jenseits weissagte.
Innerhalb kurzer Zeit entwickelten sie eine verschwenderische Hochküche, in der teure Gewürze und exotische Ingredienzen, die oft von weit her geliefert wurden, Verwendung fanden und mit einer aufwendigen Küchentechnik zu schier endlosen Speisenfolgen veredelt wurden. Nun wurde der Tharid, die Lieblingsspeise des Propheten, von den Köchen der Kalifen zu kostbaren Gerichten verfeinert, deren Genuss als fromme Übung verklärt wurde. Der Opulenz schienen keine Grenzen gesetzt zu sein. 

Typischer syrischer Eintopf mit Brotkrümeln.
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Typischer syrischer Eintopf mit Brotkrümeln.

Schließlich übertrieb die Oberschicht ihre Verschwendungssucht dermaßen, dass ihre Prunkentfaltung einen Aufstand auslöste, der die Umayyaden hinwegfegte. Passenderweise wurden die letzten Angehörigen der Dynastie bei einem Festmahl umgebracht, mit dem sie sich über eine krachende Niederlage auf dem Schlachtfeld hinwegtrösten wollten.
Die neuen Abbasiden-Herrscher verlegten ihr Machtzentrum an das Ufer des Tigris in ihre neu gegründete Hauptstadt Bagdad und etablierten ein höfisches Leben, das jenes ihrer Vorgänger noch übertraf. Hier erreichte die muslimische Küchenkunst im neunten, zehnten und elften Jahrhundert den Höhepunkt an Raffinesse und Aufwendigkeit. Während der Regierungszeit des legendären Kalifen Harunar-Raschid war die Oberschicht geradezu besessen von allen Aspekten der Kulinarik. Die zeitgenössischen Berichte klingen wie ein fernes Echo der gegenwärtigen modernen Leidenschaft für lukullische Genüsse. In dieser Atmosphäre epikureischer Gaumenfreuden war die Zubereitung der Speisen nicht ausschließlich eine Aufgabe der Dienstboten, sondern eine Tätigkeit, die einem Edelmann gut zu Gesicht stand. In einer der Geschichten, die die Königstochter Scheherazade in »Tausendundeine Nacht« erzählt, bereitet der Kalif höchstpersönlich einem Liebespaar ein Mahl aus Fischen, die er zuvor im Tigris gefangen hatte. Sein Halbbruder Ibrahim al-Mahdi fungierte sogar als Namensgeber eines von ihm erfundenen Eintopfgerichtes, das mit Verjus und Essig zubereitet wurde. 

In dieser Phase überbordender Genusssucht erschien, wie ein überlieferter Index berichtet, eine Unzahl von Rezeptsammlungen und kulinarischen Traktaten. Eine ausgeklügelte Esskultur war zweifellos ein zentraler Bereich der urbanen islamischen Gesellschaft. Bei besonderen Gelegenheiten bewirtete der Kalif Tausende seiner Untertanen, und bei Gelagen im Herrscherpalast soll es nicht ungewöhnlich gewesen sein, dass 300 verschiedene Gerichte hintereinander aufgetragen wurden. Für einen kultivierten Bewohner von Bagdad oder Damaskus war es nicht nur wichtig, in allen Küchendingen genau Bescheid zu wissen. Noch bedeutsamer war es, alle wichtigen Tafelgedichte zu kennen, die während des Mahles rezitiert wurden. Ein überlieferter Bericht erzählt von einem legendären Gelage, bei dem jeder Gast mit einem Gedicht eine spezielle Speise pries, die gemäß des lyrischen Vortrages zubereitet wurde. Als gerade kein frischer Spargel zur Hand war, nach dem die Verse verlangten, musste das Mahl unterbrochen werden, bis die Damaszener Spezialität über eine Entfernung von 800 Kilometer herbeigeschafft war. In kulinarischen Angelegenheiten verstand die islamische Zivilisation des Mittelalters keinen Spaß. Eines der wenigen Kochbücher, das nicht verloren ging, listet 164 Speisen in unterschiedlichen Kategorien auf und beschreibt penibel die langwierige Zubereitung. Das meiste davon sind Eintopfgerichte, da die Speisen, dem Gebot des Propheten folgend, am Boden sitzend mit drei Fingern der rechten Hand zum Mund geführt wurden. Diese Stews, die meist viele Stunden lang schmurgeln mussten, wurden in unterschiedlichen Kombinationen mit Safran, Zimt, Pfeffer, Ingwer, Kardamom, Ingwer, Granatapfelsamen, geriebenen Mandeln und Pistazien oder Rosenwasser gewürzt. Auch die heute noch in der orientalischen Küche üblichen Fleischbällchen aus gewürztem und faschiertem Fleisch waren damals bereits als sogenannte »kubab« Bestandteil der Hochküche.
Dieses Kompendium gelangte in griechischer Übersetzung auch in den Westen und löste im Verein mit den Erzählungen der Kreuzfahrer eine neue Mode aus. An den Fürstenhöfen versuchte man, die orientalische Opulenz zu imitieren. Die Chroniken berichten etwa von einem Festmahl des englischen Königs Richard II., das in dieser Form auch im Haus eines islamischen Edelmannes hätte stattgefunden haben können. Im spätmittelalterlichen Europa scheute man in vornehmen Häusern keine Kosten, die exotischen Ingredienzen herbeizuschaffen, und die venezianischen Handelsherren verdankten viel von ihrem Reichtum dem europäischen Heißhunger nach den orientalischen Gewürzen, nach denen die gotischen Kochbücher verlangten. 
»Natürlich ist die Hochküche von Damaskus und Bagdad im muslimischen Herzland nie ganz ausgestorben, aber sie wurde stark vereinfacht und verlor viele ihrer Saucen und Aromen«, schreibt der amerikanische Historiker H. D. Miller, der eine Studie über die islamische Küchentradition aus dem Mittelalter verfasst hat. In den langen Jahrhunderten, in denen die Gebiete des heutigen Syrien und Irak als osmanische Provinzen dahinschlummerten, verkümmerte die Kochkunst aus der Zeit der Kalifen. »Für die Bewohner von Damaskus und Bagdad gehörten die Jahre der kulinarischen Herrlichkeit unwiederbringlich der Vergangenheit an.« 

»Man muss einfach essen«

In zwei wichtigen Aspekten unterscheidet sich die moderne arabische Küche von ihrem glorreichen Vorläufer: Die Würzsaucen, die einst aus fermentierten Zutaten gebraut wurden, sind verschwunden. Und das heute überall im Orient gebräuchliche Olivenöl war im Mittelalter viel zu kostbar, als dass
es in der Küche Verwendung gefunden hätte. Mit duftendem Öl wurden allenfalls die Gäste eines Mahles gesalbt. Zum Kochen wurde hingegen ausgelassenes Hammelfett verwendet, das mit aufwendigen Methoden in ein wohlschmeckendes und -riechendes Nahrungsmittel verwandelt wurde.

Fladenbrot ist ein wichtiger Bestandteil fast aller arabischer Speisen.
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Fladenbrot ist ein wichtiger Bestandteil fast aller arabischer Speisen.

Ein kulinarisches Grundprinzip dürften sich die Syrer allerdings bewahrt haben, meint Jwan Joo Daod, der Koch aus Damaskus, der in Wien Zuflucht gefunden hat: eine Leidenschaft für Gewürze und unterschiedliche Texturen ebenso wie für die Tätigkeit des Kochens selbst. Im Vorwort seiner Rezeptsammlung erzählt er vom kulinarischen Alltag aus der Zeit, bevor die Schrecken des Bürgerkrieges das Land in ihre Gewalt nahmen. In syrischen Haushalten werde jeden Tag mit frischen Zutaten gekocht, in Restaurants würde nur zu besonderen Anlässen eingekehrt. Zu Mittag versammle sich regelmäßig die gesamte Familie. Es werde aufgetragen, was Küche und Keller hergeben. »Ist jemand schlank, sagt die Gastgeberin: ›Du brauchst eine gute Mahlzeit, iss noch mehr!‹ Ist das Gegenteil der Fall, hört man: ›Du hast einen großen Bauch, also musst du auch viel essen!‹ Einfach gesagt: Man hat bei einer syrischen Ehefrau oder Mutter nicht sehr viele Alternativen: Man muss einfach essen!«

Buchtipp: »Zu Gast bei Freunden«

  • 12 Geschichten und Rezepte aus Syrien
  • Jwan Joo Daod
  • Edition Esspapier (2015)
  • 68 Seiten 
  • Das Buch ist nur noch über den Verlag erhältlich: www.editionesspapier.com

Festwochenthema: Syrien

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