Wilfried Haslauer ist seit 2013 Landeshauptmann von Salzburg.

Wilfried Haslauer ist seit 2013 Landeshauptmann von Salzburg.
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Essay: Ein Lied aus Salzburg für die Welt

Der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer hat Gedanken zum berühmtesten Weihnachtslied zu Papier gebracht. Ein besinnlicher Text über den Zauber einer Melodie, die um die Welt ging.

Eine Weihnachtslegende geht so: Am späten Nachmittag, der kalte Regen hat gerade aufgehört, wird es wie auf ein geheimes Kommando hin plötzlich still über den namenlosen Feldern bei Ypern. Erstmals seit ungezählten Tagen ist weitum kein Schuss zu hören. Man schreibt den 24. Dezember 1914. Erster Kriegswinter. Westfront. Als es völlig dunkel geworden ist, nehmen die Posten auf der englischen Seite kleine, flackernde Lichter über den kaum mehr als 100 Meter entfernten Schützengräben der Deutschen wahr. Kein Zweifel: Christbäume mit Kerzen! Über das mit von Granattrichtern aufgerissene, von Sperren und Stacheldraht entstellte Schlachtfeld klingt auf einmal deutlich vernehmbar aus rauen Kehlen strömend ein Weihnachtslied.
Den Soldaten auf beiden Seiten ist dieses Lied wohlvertraut als »Stille Nacht« oder als »Silent Night«. Auf beiden Seiten singt man dieses Lied. Allen klingt es nach unbeschwerten Kindheitserinnerungen, nach dem Zusammensein mit den Lieben in der Familie, nach fröhlichen Stunden zu Hause. Es klingt nach Frieden. Man berichtete später, immer mehr Soldaten auf beiden Seiten seien, ohne dass es jemand befohlen oder auch nur erlaubt hätte, spontan aus ihren Gräben geklettert. Erst noch zögerlich, dann beherzt gehen sie aufeinander zu. Dann reichen sie einander die Hände und wünschen eine frohe Weihnacht. Sie tauschen Zigaretten aus und auch Fotos von daheim. Weinflaschen werden herumgereicht. Und wie sie da so in ihren Uniformen ganz ohne Waffen beieinander stehen und sich voller Herzlichkeit und Heiterkeit untereinander austauschten, da ereignete sich auf einem namenlosen Feld bei Ypern für einen wunderbaren Moment in einer stillen Nacht Weihnachten. Mitten im Krieg. Als ob Friede wäre.
Genau zweihundert Jahre ist es her, dass in der Kirche St. Nikola in Oberndorf bei Salzburg das heute weltweit bekannte Weihnachtslied »Stille Nacht, heilige Nacht« erstmals angestimmt wurde. Der junge Hilfspfarrer Joseph Mohr hatte den Text bereits zwei Jahre davor verfasst. Den mit ihm befreundeten Dorflehrer und Organisten Franz Xaver Gruber hatte er nun gebeten, dazu für die Christmette eine passende Melodie zu komponieren. So fügten sich zu einem schlichten, einfühlsamen Text eine ebenso schlichte, eingängige Melodie und ein Arrangement für zwei Solostimmen, Chor und Gitarre. Daraus entstand nicht bloß eine berührend schöne Einheit aus Text und Musik, sondern nicht weniger als eine klingende Ikone. Von Oberndorf bei Salzburg aus trat diese über viele Stationen ihre Reise in die Welt an, um Teil des Kulturerbes der Menschheit zu werden.

»Aus einem schlichten, einfühlsamen Text und einer ebenso schlichten und eingängigen Melodie entstand eine klingende Ikone.« Wilfried Haslauer

Warum gilt aber gerade das Lied »Stille Nacht, heilige Nacht« allgemein als universale Friedensbotschaft, wo doch der Autor des Liedtextes in den sechs Strophen des Originals den
Frieden mit keinem Wort direkt erwähnt?
Joseph Mohr hat das weihnachtliche Geschehen, wie es der Evangelist Lukas schildert, nicht etwa bloß mit eigenen Worten nacherzählt. Aus dem tiefen Empfinden eines gläubigen Menschen inmitten der denkbar tristen Lebenswirklichkeit im frühen 19. Jahrhundert hat er es in eine sehnsuchtsvolle Vision übersetzt. Diese Vision hat ihren Ursprung in der Krippe von Bethlehem. So spricht der Text von der »rettenden Stund«, von einer Welt, der das »Heil« gebracht wurde, von »väterlicher Liebe«, die allen »Völkern der Welt« in »Ferne und Nah« gilt. Denn »Jesus der Retter ist da!« Wem kommt da nicht die Weihnachtsbotschaft der Engel in den Sinn, die vom Frieden für alle Menschen spricht?
Das Lied von der »Stillen Nacht« führt uns freundlich und sanft genau an diesen alles entscheidenden Punkt. Für nüchterne Zeitgenossen mag Weihnachten kaum mehr sein als eine vertraute Familientradition, ein paar Tage des Ausspannens von der Hektik um den Jahreswechsel. Für andere wiederum ist die Erzählung von der wunderbaren Menschwerdung Gottes eine Botschaft, die sie ganz unmittelbar anspricht und betrifft. Und das »nicht nur zur Weihnachtszeit«, wie es in einem anderen populären Weihnachtslied heißt. Da aber ganz besonders. Spätestens in jenem magischen Moment, wo am Schluss der Christmette dieses eine so vertraute Lied angestimmt wird und niemand, wirklich niemand anders kann, als aus ganzem Herzen mitzusingen.
Im Land Salzburg werden wir das Jahr 2018 ganz bewusst auch im Zeichen der Erinnerung an die Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte von »Stille Nacht, heilige Nacht« begehen. Wir werden dieses Jubiläum auf Salzburger Art würdigen, das heißt anhand einer ganzen Reihe von hochwertigen Musik- und Kulturveranstaltungen wie einer Landesausstellung in den Stille- Nacht-Orten, Theateraufführungen, Lesungen, musikalischen Wanderungen und Begegnungen. Der gemeinsame Mehrwert dieser vielfältigen Aktivitäten entsteht aus dem Bewusstmachen vieler Zugänge zur Botschaft dieses Liedes. Diese schöpft Kraft aus den Tiefen und Höhen menschlicher Existenz. Sie bedeutet einen Hoffnung gebenden Kontrapunkt zu manchen Erscheinungen unserer Zeit, die das Laute und Bombastische ­feiert, während die »Stille« im Lärm geschäftigen Treibens unterzugehen droht, wo man dem »Heiligen« zunehmend fremd und beziehungslos gegenübersteht.

»Lernen aus der Geschichte von Generation zu Generation ist nicht nur möglich, sondern auch notwendig.« Wilfried Haslauer

Das Jahr 2018 weist bekanntlich vielfache historische Bezüge zur bewegten Zeitgeschichte Österreichs im 20. Jahrhundert auf, von der Gründung der Ersten Republik bis zu ihrem tragischen Ende. Das sind historische Ereignisse und Zeitumstände, die unseres Ge- und Bedenkens wahrlich würdig sind. Lernen aus der Geschichte von Generation zu Generation ist nicht nur möglich, sondern immer wieder notwendig! Vor diesem größeren Hintergrund wird sich Salzburg bemühen, anhand der vielschichtigen, kreativen und letztlich zukunftsgewandten Auseinandersetzung mit dem Lied »Stille Nacht« und seiner universalen Friedensbotschaft diesem Jahr 2018 einen ganz besonderen Akzent zu verleihen.
Auch unsere Gäste aus dem In- und Ausland sind herzlich eingeladen, zusammen mit uns anhand einer breiten Palette von Veranstaltungen das Wunder von »Stille Nacht, heilige Nacht« zu feiern. Es ist eine weitere, in dieser dichten und stimmigen Form einmalige Gelegenheit, Vielfalt, Schönheit und Reichtum des Kulturerbes in unserem Salzburger Land kennenzulernen. Seien Sie herzlich im »Stille-Nacht«-Land Salzburg willkommen!

Erschienen in
Falstaff Special »Stille Nacht«

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