Restaurants als Bühne für den Gast

Restaurants sind der architektonische Rahmen sozialer Rituale. Mit dem Zeitgeist ändern sich auch die Anforderungen.

Der gastronomische Laufsteg der Stadt, das Restaurant »Fabios« im Herzen der Wiener City schloss für eine zweimonatige Umbauphase, und einen Sommer lang mussten die Passanten, die entlang der Tuchlauben ihrer Wege gehen, einen vertrauten Anblick vermissen: betont entspannte und modisch meist untadelige ­Esser, darunter häufig auch bekannte Gesichter, die mittags und abends in größere und kleinere Gruppen arrangiert auf der Terrasse und entlang der langen verglasten Fassade Platz genommen haben, um hier für zwei, drei Stunden die Hauptrolle in einer urbanen ­Inszenierung zu spielen. Das Stück heißt »Mein Essen mit ...«, und es wurde an einer der ersten kulinarischen Bühnen der Stadt auf­geführt. Hier ist jeder Abend Gala und jede Mittagsstunde Soiree, die Besetzung wechselt, nie aber das Bühnenbild, das den dramaturgischen Ablauf geradezu zwingend bestimmt. Im »Fabios« wurde täglich großes Theater geboten: mal ein Kammerspiel in drei Gängen, mal eine Komödie in Prosecco-Laune, mitunter auch ein Helden­epos in tiefem Barolorot.

Wohnlicher, farbenfroher, lässiger
So muss ein modernes Großstadtrestaurant sein: Präsentationsfläche für eine illustre Gästeschar, die herbeigeeilt ist, auch weil sie hungrig ist nach Selbstdarstellung; ein Raum, der ein Wechselspiel zwischen drinnen und ­draußen erlaubt wie auch Blickwechsel und Gedankenflug von Tisch zu Tisch.
Doch das ist Geschichte. Sobald sich der Vorhang geschlossen hat, wird eine kleine Ära der Wiener Restaurantgeschichte zu Ende sein – aber nur um einer neuen Platz zu machen. Impresario Fabio Giacobello, ein starker gastronomischer Muskel, wie André Heller sagen würde, hat die Zeichen der Zeit erkannt: »Wie ein Restaurant gestaltet ist, ist extrem vom Zeitgeist abhängig«, sagt er. »Und der hat sich gewaltig geändert. Früher haben coole Linien dominiert, jetzt soll alles wohnlicher, farbenfroher, lässiger werden.« Wie in einem »Wohnzimmer« sollen sich dann die Gäste »warm eingebettet« fühlen, dort, wo sie zuvor im Rampenlicht standen. Wie in einem Refugium in rauen Zeiten. Zum neuen Architektur-Style bekommen sie auch einen neuen Küchenchef: Joachim Gradwohl, der sich schon in der Salonatmosphäre des Meinl am Graben bewährte.

Mit dem »Salzamt« ­definierte Architekt Czech einen neuen Typus von Stadtgasthaus
Mit dem »Salzamt« ­definierte Architekt Czech einen neuen Typus von Stadtgasthaus

Gleichzeitigkeit von Intimität und Öffentlichkeit
Ein Speiselokal, behauptet der Wiener ­Architekt Hermann Czech, sei die einzige Bauaufgabe, bei der sich sofort herausstellt, ob Architektur funktioniert – die Qualität der Küche kann sich nach einer Anlaufphase verbessern, der Service mag sich einspielen, die Raum­gestaltung hingegen passt oder versagt vom ers­ten Augenblick an. Czech, selbst Gastwirtssohn, der als ­Jugendlicher hinter der Schank im elterlichen »Alten Hofkeller« gestanden war, entwickelte in den Siebzigerjahren einen stark an den funktionalen Vorgaben von Adolf Loos ausgerichteten Wiener Typus des Stadtgasthauses (darunter das »Salzamt«). Czech verteilte nicht bloß Tische auf der zur Verfügung stehenden Fläche und dekorierte die Wände, sondern strukturierte den Raum mit schlichten und klaren Elementen in unterschiedliche Zonen, die verschiedene Bedürfnisse von Restaurantgästen befriedigten. Vor allem erlaubten sie die Gleichzeitigkeit von Intimität und Öffentlichkeit, die stets in einer Gastwirtschaft mit­einander konkurrieren. Damit erregte Czech auch in der Fachwelt ungewöhnliche Aufmerksamkeit: Seine Entwürfe werden in ernsthaften Architekturführern gewürdigt, die in aller Regel die architektonische Gestaltung von Gastronomiebetrieben unbeachtet lassen.

»La Coupole« in Paris: Die erste ­Brasserie besteht seit dem Fin de Siècle
»La Coupole« in Paris: Die erste ­Brasserie besteht seit dem Fin de Siècle

Restaurantbesuch mit Art-nouveau-Dekoration
An den großen Pariser Restaurants lässt sich diese Entwicklung gut nachvollziehen. Das älteste der Grands Restaurants, das »Grand Véfour« in den Arkaden des Das Pariser »Coupole« ist eine Kathedrale für das Massenritual des RestaurantbesuchsPalais Royal, im Jahre 1784 ­eröffnet, imitierte in einer ­Orgie aus Gold, Spiegeln und bunten Wandbildern noch die aristokratische Opulenz, die von der Revolution verdrängt worden war. Die nächs­te Welle bildeten die schwülstigen Speisetempel der Belle Époque, in denen es sich der bourgeoise Bonhomme wohl sein ließ. Um das Fin de Siècle verdrängte dann ein neuartiges Restaurantkonzept das altehr­würdige Saucenparadies: die Brasserie. Das Flaggschiff dieser Gattung, das »La Coupole« auf dem Boulevard de Montparnasse, ist eine Kathedrale des Massenrituals Restaurantbesuch. Hier verkehrten Welt und Halbwelt, Intellektuelle und Boxer, Madame und Mademoiselle inmitten einer grandiosen Art-nouveau-Dekoration.

Der Archetypus des Vorstadtwirtshauses
Solange die französische Küche dominierte, wurden auch diese Restauranttypen überall kopiert, fanden in allen Metropolen ihren Niederschlag und Aushängeschild der ­aristokratischen Opulenz: das »Coupole« verschwanden oft auch wieder, wenn ihre Zeit gekommen war. In ­Paris hingegen sind viele wie in einem Restaurantmuseum weiterhin in Betrieb. An Österreich und auch an Deutschland ging diese Entwicklung allerdings die längs­te Zeit vorüber. In Wien beherrschte bis vor zwei Jahrzehnten der Archetypus des Vorstadtwirtshauses mit seiner rustikalen Gemütlichkeit die gastronomische Szene. In den besseren Wohnbezirken auch als »Bürgerliches Gasthaus«, »Weinhaus« oder »Bierhaus« bezeichnet, wurde ihm in jüngerer Vergangenheit die zeitgeistige Bezeichnung Edelbeisl zugeschrieben, worunter lediglich Althergebrachtes auf erhöhtem Preisniveau zu verstehen war. Die Raumgestaltung bestand aus Tradition ebenso wie das Küchenangebot, das in der Darreichung gekochten Rindfleisches gipfelte.

Neuinterpretation des Restaurants
Erst vor wenig mehr als zwanzig Jahren griff auch in der österreichischen Gastro­nomie der Gestaltungswille unaufhaltsam um sich. Zu ihrem Unglück glaubten dabei vornehmlich junge Architekturbüros, das ­Res­taurant von Grund auf neu erfinden zu ­müssen. Heraus kamen überwiegend längst wieder verschwundene Kreationen, die in postmoderner oder dekonstruktivistischer, in neomanieristischer oder strukturalistischer Formensprache (oder auch in einem Mix von allem) den Gast und seine Mahlzeit zu der unbedeutenden Statisterie ihrer eigenen Selbstinszenierung marginalisierten. Bevorzugt setzten diese Raumwunder auf einen Wow-Effekt: ein möglichst bizarres, knalliges, dominierendes Gestaltungselement, das alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollte. Doch architektonisches Imponiergehabe, wie es bei einem Bankgebäude und möglicherweise auch noch bei einem Arbeitsamt funktionieren mag, führt bei Restaurants ­unweigerlich zum Misserfolg.

Die ­Deckenkreation im »Le Loft« ist ein ­umstrittener ­Blickfang
Die ­Deckenkreation im »Le Loft« ist ein ­umstrittener ­Blickfang

Die Architektur als Protagonist
Selbst gefeierte Architekten entgehen nicht der Versuchung, baukünstlerisch aufzutrumpfen. So setzte beispielsweise der Pariser Jean Nouvel, ein alter Hase der sogenannten Signature-Architektur, an die Spitze seines Hochhauses am Wiener Donaukanal eine Gastronomieetage. Doch anstatt sich in diesem­ »Le Loft« genannten Restaurant mit der bestechenden Aussicht auf die Stadt zu begnügen, ließ er auf der gesamten Decken­ebene eine imposante Installation der Schweizer Videokünstlerin Pipilotti Rist einziehen. Aus der Straßenperspektive betrachtet ist diese Installation zweifellos ein spektakulärer Blickfang. Doch der Gast, der unter dem bunten Blubber-Plafond die Suppe löffelt, muss stets befürchten, eine dieser Blasen könnte in seinen Teller tröpfeln. Geradezu mit einer Drohgebärde vermittelt die Architektur so, dass sie die Hauptrolle zu spielen beabsichtigt. Aber die steht in einem Restaurant allein dem Gast zu.

Beim Design des »Steirerecks« im -Wiener Stadtpark überließ die Gastronomenfamilie Reitbauer nichts dem Zufall. Sie ließ den perfekten Auftrittsraum für erwartungsfrohe Gäste entwerfen
Beim Design des »Steirerecks« im -Wiener Stadtpark überließ die Gastronomenfamilie Reitbauer nichts dem Zufall. Sie ließ den perfekten Auftrittsraum für erwartungsfrohe Gäste entwerfen

Ein Auftrittsraum für Gäste
Diese Regel, sagt Heinz Reitbauer, habe in seinem »Steirereck« stets absolute Priorität besessen. Der Küchenchef, der das bestbewertete Restaurant in Wien prägt und weltweit zu den Spitzen seiner Branche zählt, hat in seiner Jugend selbst damit gelieb­äugelt, sich der Architektur zu widmen. Nach seinen Küchenlehrjahren kehrte er nach Wien in das elterliche Lokal zurück, das sich vom Typ des gutbürgerlichen Gasthauses zum Feinschmeckerlokal hochgeschraubt hatte. Als das »Steirereck« schließlich vor einigen Jahren aus dem beengten Stammhaus in die ehemalige Milchtrinkhalle im Stadtpark übersiedelte, überließ die ehrgeizige Gastronomenfamilie nichts mehr dem Zufall. Sie ging konsequent den letzten Schritt. An die Gestaltung der beiden Restaurantebenen ließen sie keine Architekten. Vielmehr wurden die Bühnenwerkstätten der Bundestheater ­engagiert, um einen perfekten Auftrittsraum für erwartungsfrohe Gäste zu entwerfen. Der Chef der Kulissenbauer, Josef Kirchbauer, gewohnt im Umgang mit exzentrischen Theaterregisseuren, resümierte damals: »Schlingensief ist schwierig, Peter Zadek ist anspruchsvoll, Martin ­Kusej ist penibel – Familie Reitbauer aber ist alles zusammen.« Vor den Vorhang.

Text von Joachim Riedl

Den vollständigen Artikel mit weiteren Infirmationen zu Design und Architektur in der Restaurantszene finden Sie im aktuellen Falstaff Nr. 05/2012.

Joachim Riedl
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