In China sind Schweine nahezu allgegenwärtig – kulinarisch wie auch im Straßenbild.

In China sind Schweine nahezu allgegenwärtig – kulinarisch wie auch im Straßenbild.
© Shutterstock

Schweinefleisch: Allrounder neu entdeckt

Kein Fleisch wird häufiger gegessen, Köche lieben seine Vielseitigkeit, für die Chinesen ist es so wichtig, dass sie sogar eine strategische Reserve davon bereithalten und Genießer entdecken es gerade wieder neu: Schweinefleisch ist eine Grundfeste der Kulinarik – und eine ganz besonders wohlschmeckende noch dazu.

Wenn es um das Herzstück ihres Menüs geht, lassen sich Köche nicht lumpen. Jakobsmuschel und Steinbutt zieren die Speisenkarten, Carabinero und Rotbarbe, Wagyu und Wachtel, stets aus nobler Herkunft – besser geht es nicht. Eher selten, praktisch nie, findet man dagegen ein anderes Tier. 

Richtig, die Rede ist vom Schwein. Wenn kulinarische Hochkaräter es doch einmal aufs Menü setzen, wie etwa im mit drei Sternen ausgezeichneten »Rutz« in Berlin, dann ist das vor allem als Statement zu lesen. »Ich sehe keinen Grund, warum Schweinefleisch nicht in die Spitzengastronomie gehört«, sagt Rutz-Koch Marco Müller. »Schlechter als Rind ist es mit Sicherheit nicht.« Müller nutzt Wollschweine, auf deren Fütterung er selbst Einfluss hat. Geschlachtet werden die Tiere direkt auf dem Hof. Wenn die Herkunft sichergestellt sei, so Müller, stimme auch die Qualität. 

Doch die ist in Zeiten riesiger Zuchtfabriken oft nicht mehr vorhanden. Der Ruf von Schweinefleisch hat gelitten, zumindest in unseren Breitengraden. Es gilt als billiges, ungesundes Fleisch, häufig von zweifelhafter Herkunft. Zwar wird auch hierzulande noch immer am häufigsten Schwein gegessen, doch sinkt der Pro-Kopf-Konsum von Schweinefleisch in Deutschland, Österreich und der Schweiz seit Jahren. Wertverlust durch Überangebot? »Das Schwein ist ein Nutztier, das ganz schön ausgenutzt wird«, sagt Daniel Gottschlich vom Kölner Zwei-Sterne-Restaurant »Ox&Klee« und bringt damit das Dilemma auf den Punkt.

Artikel: Schweine-Spezialitäten Europas

Mangelnde Wertschätzung

Fleischer haben vielerorts zugesperrt, in den Regalen der Supermärkte liegt namenlose Massenware aus, die keinen Bezug mehr zu den Ursprüngen aufweist. Von Wertschätzung, wie man sie zu früheren Zeiten während eines Schlachtfests spürte, ist der moderne Mensch weit entfernt. Es sind allenfalls Einzelpersonen, wie der österreichische Koch Max Stiegl mit seinem »Sautanz«, die Hausschlachtungen noch zelebrieren und einem größeren Publikum näherbringen. Gemäß dem eigentlich uralten »From nose to tail«-Ansatz, den der britische Koch Fergus Henderson Ende des vergangenen Jahrtausends mit einem wegweisenden Buch wieder populär machte, wird dabei wirklich jeder Teil vom Schwein verwertet. 

Dass das Schwein umgekehrt so gut wie alles verwertet, was man ihm vorsetzt, trug zu seiner Popularität bei. Schweine vertilgen alles, Essensreste genauso wie andere menschliche Hinterlassenschaften, und waren in frühen Zeiten ein Garant für Sauberkeit in menschlichen Ansiedlungen. Ihre Intelligenz – die Forschern zufolge mindestens auf dem Niveau von Hunden liegt – und sehr gute Sinnesorgane halfen bei der Suche nach Essbarem. Die Schnauze nach unten gerichtet, durchpflügen sie im wahrsten Sinne des Wortes den Boden, und was vor den Rüssel kommt, wird vertilgt.

Artikel: Chinas Liebe zum Schweinefleisch

So schlau wie Hunde

Seit rund 10.000 Jahren begleitet das Schwein den Menschen. Der Autor des Standardwerks »Lesser beasts« über das Hausschwein, Mark Essig, weist darauf hin, dass Schweine nicht domestiziert wurden. Sie »domestizierten sich selbst«, in dem Wildschweine in direkter Nähe zu menschlichen Ansiedlungen eine Nische fanden und sich so anpassten. Dies geschah dem Autor zufolge etwa ein halbes Dutzend Mal weltweit, etwa am Gelben Fluss in China im 6. Jahrtausend vor Christus, außerdem in Indien und in Südostasien. Auch im Nahen Osten näherte sich das Wildschwein dem Menschen an.

Aus religiösen Gründen ist das Schwein im arabischen Sprachraum inzwischen bekanntlich kaum noch zu finden – etwa ein Fünftel der Weltbevölkerung verzichtet komplett auf Schweinefleisch. Ansonsten aber boomt der Markt. Mexiko, die Philippinen, Brasilien und viele weitere Staaten steigern ihre Importe seit Jahren, den größten Hunger hat nach wie vor China, zumindest in absoluten Zahlen gesehen.

Artikel: Im amerikanischen BBQ-Himmel

Chinesen lieben Schwein

Fast jedes zweite Schwein, das irgendwo auf der Welt geschlachtet wird, landet in der Volksrepublik China auf dem Teller. Nach Zahlen der US-Behörde USDA verzehrten die Chinesen knapp die Hälfte des Schweinefleischs, das weltweit konsumiert wird: fast 52 Millionen Tonnen. Es spielt wirtschaftlich und sozialpolitisch eine

so große Rolle, dass sich China als einziges Land auf der Welt eine »strategische Schweinereserve« leistet. Diese besteht aus tiefgefrorenem Fleisch sowie lebendigen Tieren und funktioniert ähnlich wie die nationale Ölreserve der USA: Um Preisschwankungen und Knappheiten auszugleichen, wird Schweinefleisch im Bedarfsfall auf den Markt gebracht.  Zuletzt war das im vergangenen Herbst der Fall, als Reaktion auf eine massive Preissteigerung.

Die Behandlung von Schweinefleisch als Massenware hängt übrigens primär mit ihrem produktiven Fortpflanzungsverhalten zusammen: Heutige Zuchtsauen sind nur vier Monate trächtig und werfen dann bis zu 30 Ferkel. Und: Innerhalb eines halben Jahres kann ein Ferkel bis zu 5000 Prozent an Gewicht zulegen – für Züchter, die nüchtern investierte Energie gegen zu erwartenden Ertrag rechnen, weist kaum ein Tier ein bessere Verhältnis auf – all das sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man das nächste Mal Schweinefleisch kauft.

Und gleichzeitig gibt es in Sachen Schweinefleisch so viel neu oder wieder zu entdecken! Wer schätzt noch eine Speckschicht von 15 Zentimetern, wie sie das drollige Mangalitza am Nacken entwickeln kann? Wer weiß noch, wie gut und frisch pures Fett schmecken kann, stammt es von freilaufenden Tieren, die länger als bloß ein paar Monate leben durften? Es braucht dafür allerdings die grundlegende Einsicht, »dass Schweine kein gutes Fleisch entwickeln können, wenn sie ihr kurzes Leben auf Beton verbringen müssen, ohne auch nur ein einziges Mal schweinemäßig über die Erde zu galoppieren«, wie der große Kritiker Wolfram Siebeck einmal feststellte.

Die goldene Regel für alle Genussmittel – »lieber wenig, aber dann gut« – gilt auch fürs Schweinefleisch. Wie man gute Qualität erkennt? Schon vor dem Kauf über den Preis, der höher liegen muss. Dann sollte es frisch riechen und rosa bis hellrot sein, mit leichtem Glanz. Es gibt auf Fingerdruck nach, fühlt sich aber grundsätzlich fest an. Das kostet natürlich. Aber wer das nächste Mal einen krachenden Krustenbraten aufschneidet und sich dafür eine Schulter vom freilaufenden Rasseschwein gegönnt hat, wird verstehen weshalb.

 

Erschienen in
Falstaff Nr. 01/2023

Zum Magazin

Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
Autor
Mehr zum Thema
Erdofen in Südamerika
Nordamerika
Im amerikanischen BBQ-Himmel
Ferkel aus dem Erdofen, Schulter aus dem Smoker: Die Länderküchen auf dem Doppelkontinent setzen...
Von Philipp Elsbrock
Den Schweinen gehört unsere ungeteilte kulinarische Aufmerksamkeit – was sich in einem Jahreskonsum von knapp unter 50 Kilo niederschlägt.
Gruß aus der Küche
Honey & Bunny: Wir armen Schweine
Kein Tier ist den Primaten ähnlicher als das Schwein. Trotzdem – oder genau deshalb? – essen...
Von Sonja Stummerer, Martin Hablesreiter
Rezept
Schinkensulz mit Kräutern
Eine großartige Vorspeise für die große Runde und eine herrlich erfrischende Art, ein paar...
Von Redaktion