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Was steckt hinter dem Direktsaft-Hype?

Er klingt nach natürlich und regional. Er schmeckt frisch und fruchtig. Er hat in den vergangenen Jahren enormen Zuspruch erfahren. Direktsaft ist immer öfter in aller Munde. Was hat es mit dem Trend auf sich?

Steht »Fruchtsaft« am Etikett, bedeutet das immer: 100 Prozent Saft von reifen Früchten. Für dessen Herstellung gibt es grundsätzlich zwei Varianten. Zu unterscheiden ist zwischen Saft aus Konzentrat und Direktsaft. Bei beiden sind die ersten Schritte ident.

Das reife, selektierte und gereinigte Obst oder Gemüse wird gepresst und dann pasteurisiert, also für kurze Zeit auf etwa 85 Grad Celsius erhitzt, um die für den Verderb verantwortlichen Mikroorganismen abzutöten und Enzyme zu inaktivieren. Gegebenenfalls werden Trubstoffe abfiltriert.

Für den Direktsaft geht es an dieser Stelle bereits zur Abfüllung. Für Saft aus Konzentrat kommt es nun zuerst zum Erhitzen und Eindicken, das sogenannte ­Konzentrieren durch Wasserverlust. Dieses Konzentrat wird nach Transport und Lagerung wieder mit Wasser rückverdünnt.

Durch die schlankere Logistik ist Saft aus Konzentrat in der Regel kostengünstiger als Direktsaft. Weil aber viele Menschen das Mehr an Natür­lichkeit schätzen, sind sie auch bereit, mehr für Direktsaft zu zahlen. Doch gibt es auch ein Plus am Gaumen und für die Gesundheit?

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Ernährungsphysiologisch besteht zwischen Direktsaft und Fruchtsaft aus Konzentrat nur ein sehr geringer Unterschied. 100 Milliliter Fruchtsaft – egal ob auf dem einen oder dem anderen Weg hergestellt – enthalten etwa 45 Kilokalorien.

Säure, Gesamtzucker und Eiweiß weisen ebenso gleich hohe Gehalte auf. Auch bei Vitaminen und Mineralstoffen sind die Werte sehr ähnlich. Vor allem Vitamin C und Kalium sind bei Fruchtsäften zu nennen.

In einer Studie, die Granatapfelsaft aus Konzentrat mit Direktsaft verglich, zeigte sich jedoch eine höhere Eisenaufnahme aus dem Direktsaft als aus dem Konzentrat. Das ist für all jene – vor ­allem Frauen – interessant, die immer wieder mit einem geringen Eisenstatus kämpfen. ­

Bestimmte Fruchtsäfte haben weitere spe­zielle Funktionen. So wirkt beispielsweise ­Heidelbeersaft obstipierend. Einerseits ­bedeutet das, dass Heidelbeersaft besser nur in geringen Mengen getrunken wird, andererseits kann er bei der Behandlung von ­Diarrhö ­helfen.

Umgekehrt gibt es Säfte, die aufgrund des hohen Ballaststoffanteils die Darmtätigkeit anregen und somit einer ­Obstipation entgegenwirken, etwa Pflaumen- oder Zwetschkensaft.

© Gina Müller

Geschmacksplus

Bei der Sensorik scheint der Benefit klarer zu sein. Denn ob wilde Heidelbeeren, Quitten oder Kirschen – den Direktsäften wird mehr Kraft, Aroma und Vollmundigkeit zugeschrieben. In der bereits erwähnten Granatapfelsaft-Studie wurden neben den Nähr­stoffen auch das Aroma, der Geschmack und das Mundgefühl analysiert und es stellte sich heraus, dass der Direktsaft bei einigen Punkten überlegen war: Er war frischer, hatte eine fruchtigere Nase und zeigte sich komplexer am Gaumen. Der Geschmack war von mehr charakteristischer Frucht sowie natürlicher Süße, gepaart mit einer milden Säure und leicht bitteren Granatapfel-typischen Noten, geprägt. Wer sich selbst davon überzeugen möchte, kann dies beim Obsthof Retter, dem österreichischen Pinoier in Sachen Wilddirektsaft, tun.

Beim Konzentrat hingegen dominierte ein eingekochter Geschmack und eine intensive Süße, die auf das Aufbrechen von komplexen Zuckermole­külen beim Konzentrationsprozess zurückzuführen sind.

Direktsaft hatte zudem ein ­etwas adstringierendes Mundgefühl, das mit jenem von frisch gepressten Saft zu vergleichen ist. Die höhere Adstringenz liegt an den höheren Gehalten an Phenolen und Tanninen – ähnlich wie beim Wein. Das mag beim Wilddirektsaft auch daran liegen, dass die Früchte vollreif geerntet werden.

Wie Wein wird Direktsaft mitunter auch verkauft, in edler Sieben-Zehntel-Flasche, als Jahrgangsabfüllung und mit der Empfehlung, ihn in kleinen Mengen zu genießen. Als alkoholfreie Speisenbegleiter passen fast alle Wilddirektsäfte zu Fleischgerichten und Süßspeisen, Wildkirsche und Wildquitte mehr zu kräftigen Käsesorten, Wildheidelbeere eher zu Frischkäse. Ersetzt der Saft den Wein? Nein, aber er steigert die Optionen für passenden Trinkgenuss.


Erschienen in
Falstaff Rezepte 03/2021

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Marlies Gruber
Autor
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