Die Falstaff-Chefredaktoren Dominik Vombach (l.) und Benjamin Herzog (r.) mit Hansruedi Meier, Nina Gansner, Bernhard Bühlmann und Roger Zogg (v.l.).

Die Falstaff-Chefredaktoren Dominik Vombach (l.) und Benjamin Herzog (r.) mit Hansruedi Meier, Nina Gansner, Bernhard Bühlmann und Roger Zogg (v.l.).
© Andrea Ebener

Jagd: Alles halb so Wild

Die Jagd scheidet die Geister – nicht erst seit der Abstimmung über das neue Jagdgesetz. Doch wie ist die Situation mit dem Wild in der Schweiz wirklich?

Auf die Pirsch zu gehen boomt. Während es früher schwierig war, Jungjäger zu motivieren, suchen heute viele und gerade junge Menschen einen Ausgleich zum Alltag in der Natur und möchten anschliessend mit selbst gejagtem Wildbret belohnt werden. Für Falstaff Grund genug, einen runden Tisch zu organisieren. Was macht die Faszination der Jagd aus? Und woher stammt das Wildfleisch hierzulande? Diese Fragen diskutieren wir mit echten Jagdexperten. Die Bündnerin Nina Gansner leitet die Redaktion des Magazins «Schweizer Jäger» und ist selbst Jägerin. Metzger und Jäger Hansruedi Meier betreibt die Zentrum Metzg in Windisch und gehört zu den Biofleisch-Pionieren der Schweiz. Bernhard Bühlmann ist Koch und verarbeitet in seinem «Gasthof Bären» in Mägenwil ganzjährig Wildfleisch aus zwei Revieren. Und der Letzte in der Runde, Roger Zogg aus Walenstadt, ist Architekt und Jäger; mit seiner Firma «Wilde 13» verkauft er Wild aus eigener Jagd unter anderem an die Spitzengastronomie.


Falstaff: Glaubt man den sozialen Netzwerken wie Instagram, scheint die Jagd einen Imagewechsel zu erleben. Immer mehr junge Frauen und Männer scheinen Zeit in der Natur zu verbringen, nicht einfach so, sondern als Jägerinnen und Jäger. Ist dieser Eindruck richtig?
Gansner
: Wir Frauen haben es mittlerweile viel einfacher als früher, die Hemmschwelle ist nicht mehr so gross. Man ist akzeptiert wie in anderen Berufen auch, und es kommen auch immer mehr Jägerinnen hinzu. Grundsätzlich liess sich in den letzten Jahren tatsächlich eine gewisse Dynamik bei den jüngeren Altersschichten feststellen. Es war fast schon ein Trend bei jungen Leuten, gemeinsam nach der Lehrabschlussprüfung den Jagdschein zu machen. Einer fing an und die anderen machten mit. Die meisten von ihnen haben von zu Hause aus eigentlich gar keinen direkten Bezug zur Jagd, was überraschend ist, sind aber sehr stark daran interessiert, ihr eigenes Wildbret zu beschaffen. Der Nerv der Zeit, die Nose-to-Tail-Bewegung und so weiter haben da sicher auch mit reingespielt.

Zogg: Mein Sohn hat die Jagdprüfung auch schon mit 17 Jahren gemacht, jetzt studiert er Umweltingenieurwesen. Bei uns liegt die Jagd aber wohl im Blut, denn ich bin leidenschaftlicher Jäger, genauso wie es schon mein Grossvater war. Damals ging es aber auf der Jagd noch etwas wilder zu. Bei uns kam alles auf den Tisch. 

Bühlmann: Das stimmt – in den letzten Jahren hat sich einiges getan unter den Jägern, und ich finde es gut, dass immer mehr Frauen jagen. Wenn Männer untereinander sind, geht es nämlich nicht immer so genau zu. Ein höherer Frauenanteil ist eine Bereicherung für die Jagd.

Falstaff: Herr Meier, Sie sind Metzger. Spüren Sie auch die eben angesprochene Entwicklung, dass die Konsumenten hierzulande immer mehr darauf achten, woher ihr Fleisch kommt?
Meier
: Ja, das spüren wir auch bei uns in der Metzgerei. Die Konsumenten sind bewusster geworden und interessieren sich dafür, woher das Fleisch kommt, das sie auf dem Teller haben. Wir selbst verarbeiten deshalb nur Wild aus einheimischer Jagd.

Falstaff: Wo wir gerade dabei sind: Gibt es hierzulande überhaupt Wild, das nicht aus einheimischer Jagd stammt?
Meier:
Nur etwa 15 bis 18 Prozent des Wildbrets, das in der Schweiz konsumiert wird, stammt aus heimischer Jagd. Der Rest kommt aus dem Ausland; und bedenkt man, wie viel Wild hierzulande gefühlt verbraucht wird, müssen es zig Tonnen Wildfleisch sein, die jährlich importiert werden. Hinzu kommt, dass die Deklaration nicht immer klar ist. Oft wird Wild aus heimischer Jagd angepriesen, obwohl es aus dem Grosshandel stammt. Bei den Preisen, die dort verlangt werden, kann das Fleisch aber kaum aus der Schweiz stammen. Letztes Jahr bot ein Schweizer Grosshändler beispielsweise Rehschnitzel für 18 Franken pro Kilo im Angebot an. Wir verkaufen die Top-Ware für 50 Franken pro Kilo an die Gastronomie. Wo liegt da der Fehler?

Zogg: Wir selbst verwerten auch nur das, was wir selbst oder unsere Freunde geschossen haben, und auch bei uns ist die Gastronomie ein wichtiger Eckpfeiler. Zu unseren Kunden gehören unter anderem das «Schloss Schauenstein» oder das Zürcher «The Dolder Grand». Natürlich sind die Preise bei uns auch nicht vergleichbar mit jenen aus dem Grosshandel, aber ich selbst erlebe hautnah, wie diese überhaupt zustande kommen können. Mein Revier liegt im österreichischen Vorarlberg, und deshalb weiss ich, wie das EU-Wild deklariert wird. Es stammt meist aus dem Osten der EU und wird in Niederösterreich verarbeitet. Am Ende landet es dann als EU-Wild auch in der Schweiz, zu diesen unglaublichen Preisen. 

Bühlmann: Die grossen Preisunterschiede zwischen Wildbret aus der Schweiz und solchem aus der EU lassen sich meiner Ansicht nach auch dadurch erklären, dass hierzulande viel weniger erlegt wird als beispielsweise in Deutschland oder im zuvor genannten Österreich. Angebot und Nachfrage spielen hier sicherlich auch eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt, dass ein grosser Teil dieses Wildfleischs von Tieren stammt, die nicht wild leben, sondern in Gehegen gehalten werden. Es handelt sich also um domestizierte Wildtiere.

Falstaff: Also alles halb so wild?
Gansner
: Im Grunde macht es eben keinen Unterschied, ob ein Hirsch aus dem Gehege kommt oder ob er in freier Wildbahn geschossen wurde. Hirsch ist Hirsch.

Falstaff: Worauf kann man sich als Konsument dann überhaupt verlassen, wenn man Wildfleisch aus heimischer Jagd sucht?
Meier:
Letztendlich geht es um Vertrauen. Man muss seinen Metzger oder Wildhändler kennen und wissen, woher und wie er sein Wild bezieht. Bei uns in der Metzgerei taucht ein- oder zweimal pro Jahr jemand auf und beschwert sich, dass Schrotkugeln im Fleisch waren. Ich antworte dann, dass das der beste Beweis dafür ist, dass das Fleisch auch wirklich aus der Schweiz stammt und wild geschossen wurde.  

Zogg: Ein Freund von mir, Doktor der Pharmazie und Biologie, arbeitet gerade an einer Studie, die sich mit den Unterschieden zwischen Zuchtwild und freiem Wild beschäftigt, eben genau mit der Frage, wie sich unterscheiden lässt, ob Wildfleisch aus Zucht oder freier Wildbahn stammt. Beim Versuch, das Fett der Tiere aufzuschlüsseln, wurde herausgefunden, dass sich hier durchaus Unterschiede erkennen lassen. Ausserdem liess sich feststellen, dass das Fleisch von domestizierten Tieren nicht denselben Nährwert hat. Die Studie wird bald veröffentlicht. 

Bühlmann: Analytisch lässt sich das sicherlich feststellen. Die Frage, die sich mir persönlich aber stellt, ist, ob das Gesetz künftig eine Unterscheidung verlangt. Also ob Wildfleisch, das aus Zucht stammt, auch als solches ausgewiesen werden muss. Ich würde eine solche Unterscheidung jedenfalls begrüssen.

Falstaff: Solange es gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, muss es einen anderen Weg geben. Lassen sich qualitative Unterschiede feststellen?
Gansner
: Den Qualitätsunterschied spürt man auch bei normalem Fleisch. Es macht einen grossen Unterschied, ob man sein Schweinesteak beim Metzger oder im Supermarkt in fertiger Marinade kauft. Beim Wildfleisch ist es genauso. Wenn man einen verzehrfertigen Rehpfeffer im Supermarkt kauft, weiss man nicht, was drin ist und woher das Fleisch kommt. Hinzu kommt, dass viele Menschen immer noch Respekt vor Wildfleisch haben. Sie meinen, es schmecke streng und sei schwierig in der Zubereitung. Die Realität ist anders. Gutes Wildfleisch «wildelt» eben nicht, und in der Verarbeitung unterscheidet es sich nicht von normalem Fleisch. 

Zogg: Genau das sage ich immer. Unsere Familie hat eine lange Tradition, wenn es ums Jagen geht, wir haben zu Hause immer alles verwertet. Eben nicht nur Rehschnitzel oder -rücken. Für mich bedeutet das Ganze, die Natur sehr stark zu respektieren, und ich werfe vielen heute vor, dass sie genau das nicht mehr tun. Sie respektieren das Geschöpf nicht mehr. Wenn ich ein Tier schiesse, gebe ich ihm den letzten Biss, verabschiede und bedanke mich bei ihm. Das Tier hatte ein wunderbares Leben, es konnte sich überall frei bewegen. Ein Zuchttier kann das nicht. Bis bei uns ein Hirsch schussreif ist, dauert es zwei Jahre, in der Zucht ein halbes Jahr. Das schmeckt man.

Falstaff: Wie wäre es mit einem eigenen Label für Wild aus heimischer Jagd? Könnte das dem Konsumenten und den Jägern nicht helfen?
Zogg:
Wir Jäger können unser Fleisch ja noch nicht einmal biozertifizieren lassen. Dabei gibt es kein natürlicheres Fleisch.

Meier: Bei uns in der Metzgerei geht es sogar so weit, dass wir Produkte deklassieren müssen, wenn wir Wildfleisch einsetzen, weil es nicht zertifiziert werden kann. Zumindest, wenn es aus echter Jagd, nicht aus der Zucht stammt. Wenn wir biozertifiziertes Schwein mit Wildfleisch aus der Jagd mischen, handelt es sich laut Gesetz nicht mehr um ein Bioprodukt. 

Gansner: Wildfleisch zu konsumieren ist das Ehrlichste, das es gibt, auch weil man das Tier selbst tötet. Mehr Bio geht eigentlich nicht. Verkaufen kann man es aber nicht als solches, weil das Bio-Label dazu da ist, die Arbeit des Bauern zu prüfen. Beim Wild lässt sich das nicht bewerkstelligen, weil man nicht weiss, was die Tiere alles fressen. Rein von der Nahrungsaufnahme kann man es nicht überprüfen. Es müsste also ein eigenes Label sein, das aufzeigt, dass das Fleisch aus heimischer Jagd kommt und was damit verbunden ist. Vielleicht ist das der Weg für die Zukunft.

Falstaff: Vor allem der Teil des Tötens hat die Jäger lange Zeit in Verruf gebracht. Wie steht es heute um das Image der Jäger?
Gansner:
Mit der Jagd wird der Tod direkt in Verbindung gebracht, mit dem Schweinefilet oder einem Hamburger eben nicht. 

Meier: Die Leute haben das Bild von Bambi im Kopf, wenn es um Wildtiere geht, und finden es extrem schlimm, wenn ein Reh geschossen wird. Eine halbe Stunde später aber stehen sie beim Metzger und kaufen eben das angesprochene Schweinefilet. Mir scheint es so, als sei ihnen der Tod vom Schwein egal, der Tod vom Reh aber ganz und gar nicht. 

Zogg: Das Töten gehört zur Jagd, ich kann diesen Moment aber gestalten, wie ich vorhin  schon erwähnt habe. Es geht um Respekt vor dem Tier. Viele Jäger haben aber immer noch das Elitäre in sich, das Potente, bei dem nur die Grösse des erlegten Tiers zählt. Und meiner Ansicht nach müssen wir Jäger von diesem Image wegkommen.

Falstaff: Wie lässt sich das bewerkstelligen?
Gansner
: Indem man ehrlich ist und den Leuten zeigt, was Jagd bedeutet. Ich gehe jagen, weil ich etwas auf dem Teller haben möchte. Es geht um das Naturerlebnis, die Zeit, die man gemeinsam hat und die man investiert. Als Lohn möchte ich ein Stück Fleisch, sonst könnte ich auch einfach spazieren gehen. Es wird nicht um jeden Preis geschossen, sondern es wird bewusst geschossen. 

Zogg: Bei uns können die Leute auf die Jagd mitkommen und dann genau das erleben. Es geht um den Respekt vor der Natur und darum, diese zu erhalten – nicht das Gegenteil ist der Fall.

Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2020

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Benjamin Herzog
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