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Schaf, Ziege oder Kuh: Was für ein Käse?

Nahrungsaufnahme ist ein Grundbedürfnis, das den Körper mit Energie und Nährstoffen versorgt. Manche Speisen stillen aber nicht nur unseren Hunger, sondern «nähren» auch unsere Seele und tragen damit zu unserem emotionalen Wohlbefinden bei.

Sie kann als Quantensprung in der menschlichen Nahrungsgeschichte betrachtet werden – die Fermentation. Denn ohne sie gäbe es kein Brot, keinen Wein, keinen Rohschinken, keine Oliven, keinen Käse, keinen Tee, um nur ein paar zu nennen. Erst durch die Fermentation lassen sich viele Lebensmittel für längere Zeit konservieren und für den genussvollen Konsum herstellen. Mit Fug und Recht lässt sich sagen, dass sie auch ein Motor für die Domestizierung von Rindern, Ziegen und Schafen war. Denn als vor 10'000 Jahren die Menschen begannen, sesshaft zu werden, waren für die dabei startende Milchviehhaltung jedenfalls zwei Faktoren ausschlaggebend: Zum einen trat etwa zur selben Zeit bei manchen Menschen eine Punktmutation an jenem Gen auf, das die Laktase – das Milchzucker spaltende Enzym – nach der Säuglingszeit «ausschaltet». Somit konnten sie auch nach dem Abstillen Frischmilch vertragen. Das war ein Überlebensvorteil, weswegen die Mutation an folgende Generationen vererbt wurde. Zum anderen ist die Fermentation viel ausschlaggebender dafür, ob ein Milchprodukt wegen potenzieller Laktoseunverträglichkeit vertragen wird – unabhängig davon, ob die Milch von der Kuh, der Ziege oder dem Schaf stammt. Schliesslich unterscheidet sich der Gehalt an Milchzucker nur geringfügig und liegt zwischen vier und fünf Gramm pro hundert Gramm Milch. Wenn allerdings der Milchzucker von Bakterien zu Milchsäure abgebaut wird, entstehen für fast alle Menschen bekömmliche und lagerfähige Milchprodukte.

Die Verarbeitung macht also den Unterschied: So weisen Joghurt, Topfen und Frischkäse beispielsweise nahezu ebenso viel Milchzucker auf wie Milch, während Hart-, Schnitt- und Weichkäse in der Regel auf weniger als ein Gramm pro hundert Gramm kommen. Weil die meisten der derzeit von Laktoseintoleranz Betroffenen (in Mitteleuropa etwa 15 Prozent der Bevölkerung) eine Dosis von rund zehn Gramm Laktose pro Tag mit wenig oder gar keinen Symptomen vertragen, können Hart-, Schnitt- und Weichkäse daher immer noch eine Option bilden. Vor allem dann, wenn man die Menge über den Tag verteilt aufnimmt. Manche laktoseintolerante Menschen vertragen sogar nahezu das Doppelte und liegen damit bereits im Bereich, den gesunde Erwachsene im Durchschnitt verzehren (20 bis 30 Gramm pro Tag).

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Fette Unterschiede?

Die Bekömmlichkeit verschiedener Milchprodukte hängt zudem vom Fett ab. Dabei spielt die Fettmenge eine Rolle, vor allem aber die Grösse der Fetttröpfchen in der Milch. Bei Schaf- und Ziegenmilch sind sie kleiner als bei Kuhmilch, wodurch die Milch und deren Produkte wie Käse leichter verdaulich sind. Weiters enthalten sowohl Schaf- als auch Ziegenmilch mehr kurz- und mittelkettige Fettsäuren als Kuhmilch. Diese werden rascher gespalten als langkettige Fettsäuren oder sogar ungespalten aufgenommen und im Blut, an Albumin angedockt, zur Leber transportiert. Für Personen, deren Bauchspeicheldrüse nur mehr eingeschränkt aktiv ist, die Probleme mit der Verdauung und Absorption haben oder an einem Kurzdarmsyndrom leiden, sind die mittelkettigen Fettsäuren (MCT-Fette) vorteilhaft. Im Übrigen ist es wohl kein Zufall, dass drei dieser Fettsäuren, die «Ziege» (Capra) im Namen tragen: Capronsäure, Caprylsäure, Caprinsäure.

Für den besonderen Geschmack von Ziegen- und Schafmilch und -käse sind ebenfalls bestimmte Fettsäuren mitverantwortlich, nämlich die verzweigtkettigen. Sie sorgen für das typische Aroma, das von animalisch-ziegenartig bis hin zu schweissig, nach Vanille und Heu beschrieben wird.

Wenig zu meckern

An einer Kuhmilchallergie leiden übrigens nur etwa 0,6 Prozent der Erwachsenen in Europa. Schaf- und Ziegenmilchprodukte werden dann häufig als Alternative genannt. In der kulinarischen Praxis haben sie aber als solche oft wenig Relevanz. Denn Milcheiweiss besteht aus Kasein und Molkenproteinen. Liegt eine Allergie gegen Kasein vor, ist auf jegliche tierische Milchart zu verzichten. Molkenproteine sind dagegen tierartspezifisch. Ist jemand nur gegen das Kuhmilch-Molkenprotein allergisch, so kann es sein, dass Schaf- und Ziegenmilch vertragen wird. Beim Konsum dieser Tiermilchsorten kommt es aber häufig zu klinisch relevanten Kreuzreaktionen. Ziegen- und Schafmilch sind dann keine Option.

Marker für Ernährungsqualität

Freilich kann man sich auch gänzlich ohne Milch und deren Produkte gesund ernähren, mit geht es jedoch in der Regel leichter. Nicht von ungefähr sind Milch, Käse und Co fixer Bestandteil von offiziellen Ernährungsempfehlungen in mehr als 42 Ländern der Welt. In Kosten-Nutzen-Analysen gelten sie als nährstoffreiche und kostengünstige Lebensmittel, die die Ernährungsqualität positiv beeinflussen. Ihr regelmäßiger Konsum bildet sogar einen Marker für eine ausgewogene Ernährung. Denn Milchprodukte können die Versorgung mit kritischen Nährstoffen wie Kalzium oder Vitamin B12 deutlich verbessern. Aus ernährungswissenschaftlicher Sicht liegt der Konsum von Milch und Milchprodukten jedoch weit unter den Empfehlungen von täglich zwei Portionen aus der «weissen» Palette und einer Portion aus der «gelben» Kategorie. Zur weissen Linie zählen Milch und alle Milchgetränke wie Buttermilch, Kefir, Trinkjoghurt, Molke und Sauermilch sowie Joghurt, Topfen und Frischkäse. Als «gelb» gelten Hart-, Schnitt- und Weichkäse. Obwohl also die Auswahlmöglichkeiten vielfältig sind, erreicht keine Altersgruppe die empfohlenen Mengen von zweimal weiss und einmal gelb.


Erschienen in
Falstaff Nr. 10/2022

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Marlies Gruber
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