Jurawein ist ein Mythos – aber einer, den man kennen muss.

Jurawein ist ein Mythos – aber einer, den man kennen muss.
© Sebastian Bozon / AFP / picturedesk.com

Weine aus dem Jura: Tradition verpflichtet

Die urtypischen Weine des französischen Jura sind selten und heiss begehrt. Weltweit dürfen sie auf keiner angesagten Weinkarte fehlen und erreichen mittlerweile auch auf dem Sekundärmarkt Rekordpreise.

Der erste Schluck Jurawein bleibt meist für immer in Erinnerung. Nicht selten kommt er einer Offenbarung gleich – ganz egal, ob man einen oxidativen Vin Jaune, einen mineralischen Chardonnay oder einen leichten Rotwein aus autochthonen Sorten im Glas hatte. Denn Juraweine sind anders. Urtümlich, karg, auf positive Weise traditionell und die besten unter ihnen sind durch und durch «artisanal» – Handwerksweine also, die mit der Modernisierung der Weinproduktion in vielen Regionen dieser Welt zur gefragten Rarität wurden.

Der französische Jura ist ein Sehnsuchtsort für Weinliebhaber und Frankreich-Romantiker. Hier grasen Kühe noch auf saftigen Wiesen, finden sich glasklare Bäche und Flüsse, altertümliche Dörfer und natürlich unzählige kulinarische Spezialitäten – vom Comté-Käse über köstliche Fleisch- und Wurstwaren, erstklassiges Backwerk bis zum allgegenwärtigen Wein. Zwischen dem Burgund und der Schweiz gelegen, teilt sich der Jura mit Ersterem den Kalk in den Böden und mit letzterer die Milchwirtschaft und Käsekultur.

Blick vom charakteristischen Kirchturm auf das idyllische Dorf Arbois, dem Mittelpunkt der Weinproduktion im französischen Jura.
© Christian Kerber / laif / picturedesk.com
Blick vom charakteristischen Kirchturm auf das idyllische Dorf Arbois, dem Mittelpunkt der Weinproduktion im französischen Jura.

«Slow Wine» aus dem Jura

Berühmt wurde die Region vor allem durch einen der lagerfähigsten Weine dieser Welt, den Vin Jaune. Einer der grossen klassischen Weine, der absolut einzigartig ist. Dieser «gelbe Wein» wird aus der hier heimischen Traubensorte Savagnin gewonnen und reift nach der Vinifikation für viele Jahre unter einer Kahmhefe in Fässern. Auf Französisch heisst diese Hefe «voile», weshalb Weine, die in diesem Stil produziert werden, auch als «vin de voile» bezeichnet werden. Geschmacklich ist der Vin Jaune nah mit dem südspanischen Sherry verwandt. Er riecht nach Nüssen, Gewürzen und Obst und schmeckt knochentrocken. In der Herstellung jedoch unterscheiden sich beide Weinarten. Während der südspanische Sherry aufgesprittet wird, kommt der jurassische Vin Jaune ganz ohne Zugabe von Weinbrand aus. Mindestens sechs Jahre und drei Monate muss er in Fässern in den alten Jurakellern unter dem Einfluss der «voile» reifen, um als Vin Jaune vermarktet werden zu können. Während dieser Zeit verdunsten rund 40 Prozent der Flüssigkeit, was die Intensität und auch den häufig höheren Preis der Vin Jaune erklärt. Genauso wie das Fassungsvermögen der traditionellen Clavelin-Flasche, die mit 620 Millilitern genau so viel Vin Jaune fasst, wie ein Liter Grundwein nach der Reifung noch hergibt.

Die Lagerfähigkeit in der Flasche ist beim Vin Jaune legendär, 20 Jahre hält sich eigentlich jedes Exemplar spielend. Die besten Weine – etwa aus der legendären Appellation Château-Chalon –  aber auch 50 oder gar 100 Jahre und mehr. Vin Jaune ist ein «langsamer Wein» und wegen seiner besonderen Aromatik zugegebenermassen etwas für geübte Gaumen. Die Softversion sind die klassischen, weissen Juraweine, die kürzer als die für den Vin Jaune vorgeschriebenen sechs Jahre und drei Monate in Fässern reifen. Der «vin typé» ist der kleine Bruder des Vin Jaune und der traditionelle Weissweinstil des Jura. Bei beiden handelt es sich um Weinstile, die aus heutiger Sicht nicht nur aromatisch, sondern auch önologisch schräg in der Landschaft stehen. Letztlich ist das Vollhalten der Fässer eine der wichtigsten Arbeiten in der klassischen Weinbereitung. Den Kontakt mit Luft und damit oxidative Noten oder gar die Bildung einer Kahmhefe gilt es mit allen Mitteln zu vermeiden.

Das Dörfchen Château-Chalon liegt auf einem Vorsprung des ersten Juraplateaus. In der gleichnamigen Appellation wird ausschliesslich Vin Jaune produziert.
© Shutterstock
Das Dörfchen Château-Chalon liegt auf einem Vorsprung des ersten Juraplateaus. In der gleichnamigen Appellation wird ausschliesslich Vin Jaune produziert.

Genau diesen Weg schlugen auch die Winzerinnen und Winzer ein, die der Weinregion Jura zur Renaissance verhalfen. Sie brachen ab Mitte der 1970er-Jahre mit der Tradition, hielten ihre Weissweinfässer spundvoll, und etablierten den «vin ouillé» nach Burgunder-Vorbild. Zu den wichtigsten Protagonisten dieser Entwicklung gehört ohne Zweifel Alain Labet, Gründer der heute unter Jura- und Natuweinfans gleichermassen legendären Domaine Labet.

Neben der klassischen Jurasorte, dem Savagnin, gelingen in der Region vor allem auch Weine aus Chardonnay hervorragend. Vor dem benachbarten Burgund verstecken müssen sich diese nicht. Denn während einige Regionen des Burgund heute eher mit Überreife kämpfen, verfügen die Weine des Jura in den meisten Jahren ganz natürlich über eine hervorragende Säurestruktur – und damit über eine grosse Harmonie und Langlebigkeit. Diese Eigenschaften, basierend auf einem milden Klima und besten Kalkterroirs, dürften der Hauptgrund dafür sein, dass Juraweine heute weltweit gefragt sind. So gefragt, dass die Nachfrage das Angebot praktisch bei allen namhaften Produzenten der Region übersteigt. Es gehört zu den positiven Entwicklungen unserer Zeit, dass wir parallel zum rasanten technischen Fortschritt auch eine Renaissance traditioneller Werte erleben. Diese Entwicklung macht vor dem Wein nicht Halt – und der Jurawein ist der beste Beweis.

Naturweinparadies

Der Jura verfügt über eine auffallend hohe Dichte an Winzern, die sich der natürlichen Weinbereitung ohne Zusätze verschrieben haben. Ein wichtiger Grund dafür ist das erwähnte milde Klima, das es ermöglicht, auf natürliche Weise Weine mit niedrigem pH-Wert und damit erhöhter Säure und Stabilität zu erzeugen. Winzerlegende Pierre Overnoy gilt nicht nur als Erneuerer der Region, sondern zählt auch zu den Urvätern des Naturweins allgemein. Ab 1984 begann er mit der Vinifikation ohne Zusätze zu experimentieren und perfektionierte die Methoden gemeinsam mit seinem einstigen Mitarbeiter und heutigen Partner Emmanuel Houillon.

Die Weine der beiden sind ab Weingut durchaus erschwinglich – eine bewusste Entscheidung der bodenständigen Weinmacher. Auf dem Sekundärmarkt aber erreichen sie oft wenige Jahre nach der Lancierung das Zehnfache und mehr. Ähnlich verhält es sich mit den Tropfen der Domaine Ganevat. Winzer Jean-François Ganevat gilt ebenfalls als Meister der Naturweinbereitung, seine Weine erhalten aber auch von klassischen Weinliebhabern Bestnoten. Sommeliers weltweit reissen sich förmlich um die Flaschen des 13 Hektar grossen Weingutes und jede geöffnete Flasche sorgt selbst auf Social Media für Begeisterungsstürme. Ganevat kam der grossen Nachfrage nach und produziert heute auch Négoce-Weine, also Tropfen aus Trauben, die er nicht selbst anbaut. Mit den Weinen der eigenen Lagen können diese allerdings selten mithalten.

Viele jüngere Weingüter im französischen Jura entstanden erst in den letzten 20 Jahren und wurden nicht selten von Quereinsteigern gegründet. Die meisten von ihnen wollten eigentlich ins Burgund, mussten dann aber feststellen, dass es unmöglich war, dort bezahlbare Reblagen zu finden. Der kleine Jura mit seinen Kalkböden war hier die beste Alternative. Von der Ausweichmöglichkeit auf der Suche nach Lagen im Burgund hat sich der Jura heute weit entfernt. Ein Glücksfall für diese häufig kleinen Winzerbetriebe. Um den Absatz müssen sie sich keine Sorgen machen, eher darum, keinen Wein für härtere Zeiten zurücklegen zu können. Wie andere Regionen auch wurde der Jura in den letzten Jahren wiederholt von Hagel und Frost heimgesucht. Ein Problem für die raren Weine – und ein Katalysator für die Entwicklungen auf dem Sekundärmarkt.

Während einige wenige Etiketten des Jura wirklich rar sind, gibt es daneben andere Jura-Weingüter, deren Produkte in normalen Jahren gut verfügbar und erschwinglich sind. Zu diesen ewigen Geheimtipps gehören etwa die Weine von Stéphane Tissot – allen voran seine erstklassigen Chardonnays aus klassischer, reduktiver Weissweinbereitung. Tissot bewirtschaftet seine rund 25 Hektar biodynamisch und produziert echte Handwerksweine, die ihre Herkunft klar zum Ausdruck bringen. Ehrliche Weine, die weder gemacht noch gekünstelt und genau darum zeitlos grandios sind.

Jean-François Ganevat gehört zu den legendären Produzenten des Juras. Seine Weine sind weltweit gefragt.
© Sebastien Bozon / Getty Images
Jean-François Ganevat gehört zu den legendären Produzenten des Juras. Seine Weine sind weltweit gefragt.

Unter den Kennerinnen und Kennern des Jura sind aber lange nicht nur die oxidativen und klassischen Weissweine, sondern auch die roten Spezialitäten beliebt. Der Jura verfügt mit   über gleich zwei autochthone rote Traubensorten, die vor Einzigartigkeit und Charakter nur so strotzen. Während der hellrote Poulsard duftig und filigran gelingt, ist der Trousseau meist kräftiger, intensiver in der Farbe und höher im Alkohol. Poulsard und Trousseau sind im Jura heimisch, letzterer wird aber auch in Portugal und Spanien unter dem Namen Bastardo angebaut.

Während die Weinwelt in der Masse nach Kraft und Konzentration strebt, punkten die Rotweine des Jura mit Frische und Authentizität. Es sind Weine, die auf natürliche Weise über diese Eigenschaften verfügen und nicht etwa mittels besonders kurzer Mazeration oder früher Ernte in diese Richtung getrimmt werden. Den forcierten Beaujolais-Typus findet man heute in vielen Regionen unserer Weinwelt – in der Region Jura hat man das schlichtweg nicht nötig. Trinkfluss und Frische gibt es hier genug – und zwar von Natur aus. Während die weissen Juraweine besonders lagerfähig sind, schmecken die roten oft am besten, wenn die Primärfrucht noch intakt ist – also in den ersten Jahren nach der Ernte. Alt werden die meisten Juraweine heute aber sowieso nicht. Die immense Nachfrage verunmöglicht dies ganz einfach. 

Opfer des eigenen Erfolgs?

Die Weine des französischen Jura treffen den Nerv der Zeit. Sie sind eigentliche Gegenkonzepte zu kräftigen Wein-Blockbustern, wie sie vor einigen Jahren noch angesagt waren. Nicht wenige Winzer in unseren Breiten nutzen den Weinstil des Jura heute auch als Inspiration, als Anstoss für eine Rückbesinnung auf traditionelle Methoden und zurückhaltende Weinbereitung. Bemerkenswert ist dabei, dass die Betriebsgrössen oder Rebflächen dennoch nicht explodieren. Es scheint den Produzenten in der Region zu gelingen, dieser Verlockung zu widerstehen. Ein Kommerzwein wird der Jurawein nie werden, denn diese Entwicklung würde ihm seine Identität als ewiger Geheimtipp und rare Delikatesse nehmen. Tradition verpflichtet eben – und in diesem Fall ist das gut so.


Die Traubensorten des Jura

Der Jura verfügt über einige autochthone Traubensorten, die für Furore sorgen.

Savagnin
Die Weissweinsorte Savagnin ist die Grundlage für den legendären Vin Jaune. Die im Jura heimische Sorte wird im schweizerischen Wallis unter den Namen Heida und Payen angebaut. Ausserdem ist sie mit dem heute hier nur mehr selten anzutreffenden Traminer identisch. Savagnin ergibt einen alkoholreichen, vollmundigen Weisswein mit reifer, nussiger und zuweilen honigartiger Aromatik.

Poulsard
Poulsard ist eine rote Traubensorte mit grossen Beeren und dünner Haut. Diese Eigenschaften machen sie anfällig für Krankheiten und resultieren in einem hellroten, tanninarmen Wein. Poulsard-Weine sind meist duftig, frisch, filigran und säurebetont. Der Wein verfügt über ein Alterungsvermögen von etwa fünf bis acht Jahren. Lokal wird die Sorte auch als Ploussard bezeichnet.

Trousseau
Die Rotweinsorte Trousseau ist im Jura heimisch. Die Sorte gilt als zuckerreich und säurearm, dennoch überzeugen die Weine oft mit einer prägnanten Frische und nicht selten mit einem etwas rustikalen Charakter. In Spanien und Portugal ist die Sorte unter dem Namen Bastardo bekannt. Unter den dortigen Bedingungen neigt die Sorte jedoch zur Überreife.


Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2021

Zum Magazin

Benjamin Herzog
Benjamin Herzog
Chefredaktion Schweiz
Mehr zum Thema