Die »Gin-Queen« Lesley Gracie im Interview

Die »Gin-Queen« Lesley Gracie im Interview
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Audienz bei der Gin-Queen: In diesen exzentrischen Räumen startete der Hype

»Fast niemand wollte 1999 Gin trinken«, erinnert sich Leslie Gracey – bis man das Rezept mit Rose und Gurke radikal änderte. »Hendrick’s«-Gin zog in seinem Windschatten eine ganze Reihe neuer Rezepte nach sich. FALSTAFF bekam exklusiven Einblick in seine Geburtsstätte.

Eine Destillerie, in der eine Schildkröte ihre Runden geht, ist schon ungewöhnlich genug. Doch wo anderswo Warnwesten und Sicherheitsschuhe hängen, finden sich hier Einräder zwischen farbenprächtigen Hecken in der schottischen Mittagssonne angelehnt. Der Kontrast zwischen dem »Gin-Palace« der Weltmarke Hendrick’s und der größten Destillerie ihres Eigentümers gleich nebenan könnte nicht größer sein. Die Grain Whisky-Destillerie von William Grant & Sons produziert jährlich 100 Millionen Liter und ist ein gigantischer Industriebetrieb. Wenige Meter weiter hingegen öffnet sich das hölzerne Burg-Tor nur, wenn mit einer Messingglocke gebimmelt wird.

Botanisches Märchenschloss in Girvan

»Who is it?«, schallt es dann aus dem Guckloch? Lesley Gracie lässt die Gäste mit gespielter Ahnungslosigkeit noch etwas schmoren, ehe sie von der Trittleiter steigt, öffnet und ein britisch-humoriges »Ich bin keine Zwei-Meter-fünfzig groß« hören lässt. Zierlich und mit vorne kurzen, hinten als Knie-langer Zopf gebundenen weißen Haaren steht dann die Gin-Queen persönlich Rede und Antwort zum Gin, den sie vor 23 Jahren kreiert hat. Es ist eine rare Gelegenheit, denn »Hendrick’s« betreibt kein Besucherzentrum. Auch, wenn das »Gin Palace« – Importeuren wie Österreichs »Top Spirit« und Bartendern vorbehalten – mehr als spektakulär gestaltet wurde.

Die nördlichsten Bananen-Bäume Schottlands finden sich in den beiden Gewächshäusern ebenso wie ein ausgestopfter Kasuar nebenan still den Afternoon Tea beäugt, den der FALSTAFF mit Lesley Gracie einnimmt. Die Gewächshäuser sind kein Selbstzweck: Mit ihnen experimentiert die Destillateurin für neue Rezepte. »Leider kamen die Bananen nie über die Schokokuchen-Sauce hinaus«, lacht sie verschmitzt. Hätten sie es zum Gin-Aromageber alias »Botanical« geschafft, würden sie nun im Gewürzlager von Girvan hinter den alles dominierenden 25 Kilo-Säcken mit mazedonischem Wacholder stehen.

Aufwendigste Aromen-Abstimmungen

Elf »trockene« Botanicals kommen für »Hendrick’s« zum Einsatz, seit sich Charles Gordon als damaliger Eigentümer einen neuen Gin gewünscht hatte. Dass daraus ein Welterfolg mit aktuell 12 Millionen Liter Jahresproduktion werden würde, war keinesfalls klar. »Anfangs nahm das langsam Fahrt auf«, erinnert sich Lesley Gracie, nachdem man sich 1999 für zwei Zusatz-Aromen entschieden hatte: »Was kann schon englischer sein als Rosengärten und Gurkensandwichs?« Nicht einmal einen echten Verkaufsstart, heute weltweit bei neuen Hendrick’s-Füllungen die Regel, habe es damals gegeben. »Unsere Verkaufsleute klapperten die Hotels und Restaurants ab und sagten: Wir hätten da diesen neuen Gin…. Der noch dazu in einer dunklen Apotheker-Flasche abgefüllt wurde, wo doch alle klare und hohe Flaschen erwarteten«.

Heute ist diese Aufmachung bereits stilbildend; »erst voriges Monat wurde ein Supermarkt wegen eines Imitats mit Rauten-Logo und Apothekerflasche geklagt«. Geblieben ist aus den Anfangszeiten die aufwendige Machart, die zwei Brennblasen, eine »Bennet still« aus 1868 (!) und eine »Carter-Head still« von 1948, zum Einsatz bringt. Während in der ersten die elf Aromageber in 96%-igen Alkohol zur Destillation kommen, finden sich die gleichen Botanicals bei der »Carter-Head still« im Geistkorb, durch den der Alkoholdampf zieht. In einem geheimen Verhältnis werden diese beiden Destillate – angereichert mit Gurke und Rose – dann zum finalen Produkt vermischt.

Gin-Geschmack, einmal dekonstruiert

So wird aus dem ursprünglichen »London Dry Gin« (nichts wird nach der Destillation zugegeben) ein »Distilled Gin«. Allerdings einer, der mit seinem ur-britischen Geschmack ebenso stilbildend wurde wie mit dem leicht exzentrischen Marketing. Eine Kostprobe liefert das Dinner mit Lesley Gracie, bei dem Markenbotschafter Adam Templeton trotz Vollbarts als leicht geschürzte Nixe »Neptunia« auftritt – und Gedichte rezitiert!

Für Spirituosen-Nerds wird es dann bei der »dekonstruierten« Verkostung spannend. Dabei werden die beiden Einzeldestillate der Brennblasen von 1860 und 1948 im 80%-igen Urzustand gereicht. Während die Kräuter und der Wacholder aus der »Bennett Still« erdig und würzig ausfallen, strahlt die Charge aus der Carter-Head-Brennblase förmlich vor Fruchtigkeit: Orangen und etwas Kamille sind überaus präsent. »Man würde nie glauben, dass das Dasselbe ist«, nickt die Gin Queen, die die feine Abstimmung der beiden Teile schließlich erfunden hat.

Der ewige Boom – und ein Rezept-Tipp

Damit begann aber auch der Aufstieg des »Gin & Tonic«, der sich Pionieren wie Hendrick’s und dem nahezu zeitgleich (1998) von Bacardi vermarkteten »Bombay Sapphire« verdankt. Dass der Boom des Gins schon so lange anhält, freut die »Hendrick’s«-Erfinderin jedenfalls: »Es kommen immer neue Destillerien nach, also wollen die Leute offenbar Gin trinken«. Lediglich beim Geschmack versteht sie keinen Spaß: »Ein Gin, der nach Rhabarber schmeckt, ist kein Gin«, so Gracie. Was die Frage aufwirft, wie die »Gin-Queen« selbst ihren Longdrink mag? Die Antwort ist naturgemäß »botanisch« und eine clevere »G&T«-Alternative: »Ich mag einen Holunderblüten-Cordial und Soda zum Gin«, so Gracie, »denn das Chinin im Tonic Water kann manchmal zu viel sein!«

Roland Graf
Autor
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