Ein (fast) ganz normales Château – mit Teich und Turm und Gutsgebäude.

Ein (fast) ganz normales Château – mit Teich und Turm und Gutsgebäude.
© Robert Dieth

Van Volxem: Kellerneubau mit Ausblick

Es ist genau 20 Jahre her, seit Roman Niewodniczanski das historische Weingut Van Volxem erwarb. Jetzt folgt ein Kellerneubau, der der Saga die Krone aufsetzt.

Roman Niewodniczanski hat alle Hände voll zu tun. Das gilt sogar jetzt, im zähen Trierer Stadtverkehr, da der zwei-Meter-Mann mit dem Knie lenkt, um nebenbei eine Zigarette drehen zu können. Zum Geradeausfahren bei 10 km/h benötigt man keine Hände. So ist das, wenn man es gewohnt ist, viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Wenn man 90 Hektar Reben umtreibt. Hier pachtet, dort kauft, in einem Seitental eine aufgegebene historische Lage wiederaufstockt. Wenn man seine Weine innerhalb von 24 Stunden in Dresden und Dornbirn vorstellt und dabei natürlich mehr Zeit auf der Straße verbringt als irgendwo sonst. Heute Berlin, morgen Wiltingen, übermorgen New York oder Tokio. Und wenn man, wie nebenbei, einen Kellerneubau in die Landschaft setzt, der mehr sein will und mehr ist als nur ein Funktionsgebäude: ein Gesamtkunstwerk.

Dominik Völk angelt sich einen Karton Gläser aus einem Regal und sagt: »Gehen wir erst mal in den Keller.« Niewodniczanski steht noch im Freien und telefoniert. »Geht schon mal vor«, ruft er seinem Betriebsleiter nach. Niewodniczanski ist der Boss, der Macher, Völk ist sein Angestellter, aber auf seine Art ist auch er ein Boss, der weiß, was er braucht und will. »Das Wichtigste im Keller ist«, sagt Völk, ein gebürtiger Franke, »dass man ohne Hektik arbeitet.«

Hunderte Kelterungen

Gemütlich geht es bei ihm trotzdem nicht zu. Hunderte verschiedene Kelterungen stehen jeden Herbst an. Auf den verschiedenfarbigen Schildern, die jetzt, im Frühjahr, vor den Gebinden baumeln, stehen so kryptische Bezeichnungen wie »Kronjuwelen«, »Fellmann alt jung alt«, »Atrium oben neben Kopf«, »Soldat Schule« oder »Code Alex«. Völk kann aus dem Gedächtnis aufsagen, wie die Trauben ausgesehen haben und ob sie aus der Parzelle dies- oder jenseits des Wirtschaftswegs kamen, von oben am Wald oder von der Hangmitte. Steillagen sind es alle. Handarbeit ist es überall. Und auch im Keller ist behutsames Handwerk höchste Bürgerpflicht. Schon fließt vom 18er-Jahrgang eine fruchtige Spätlese ins Glas. Bockstein. Ein Wow-Wein mit der Kraft des warmen Jahrgangs und zugleich mit einem immens kühlen Spannungsbogen, mit einer Mineralität von geradezu elektrisierender Eindringlichkeit. Jetzt ist auch Niewodniczanski da und streckt Völk ein leeres Glas entgegen. Noch während des ersten Schlucks hellt sich seine Mine auf, der getriebene Multitasker wird im Handumdrehen zum freudestrahlenden Genießer. Und verwandelt sich zurück: »Den sollten wir zum Großen Ring in die Versteigerung geben.« Weg ist er wieder, das Telefon in der Hand.

Der Keller, in dem Völk diesen und andere 18er-Spitzenweine gekeltert hat, ist bereits seit dem Herbst 2016 in Gebrauch. Denn praktischerweise befand sich am selben Ort auch zuvor schon eine Kellerei. Deren unterirdische Räumlichkeiten wurden im Lauf des Jahres 2016 grundlegend erneuert und konnten dann bereits in Betrieb genommen werden, als im Erdgeschoss noch Tabula rasa war und die Phase des Rohbaus begann.

© Robert Dieth

Inzwischen ist, nach rund drei Jahren Bauzeit, auch über der Erde alles fertig. Fast jedenfalls. Bei der Tour über das Gelände notiert Niewodniczanski hier ein abgesprungenes Eck in einer Bodenplatte – »die Platte muss ersetzt werden« –, dort fallen ihm vergessene Abstandshalter in einer Fuge auf, an denen er vorsichtig zu rütteln beginnt. In der Vinothek fehlt noch die wandfüllende Lagenkarte – »damit man auch weiß, was man vor dem Fenster sieht«. Vier Wochen vor der offiziellen Eröffnung des Gebäudes sind es wirklich nur noch Kleinigkeiten. Aber eben viele von ihnen. Vor dem Haupteingang muss noch Rasen verlegt werden. Und die Lieferung des Hauptportals, das in Italien geschmiedet wird, wurde ein ums andere Mal verschoben. »Die machen mich wahnsinnig«, sagt Niewodniczanski. Er ist nicht jemand, der den Abnutzungskämpfen des Alltags aus dem Weg geht, im Gegenteil.

Die Kraft dafür scheint er daraus zu schöpfen, dass ihm stets das große Ganze vor Augen steht: Denn mit dem Neubau möchte Niewodniczanski an nichts weniger anknüpfen als an den Stolz und das Selbstbewusstsein des Saarweins um das Jahr 1900 herum. »Ich habe Dutzende Weinkarten berühmter Restaurants aus jener Zeit, Saarweine waren damals immer die teuersten, weit teurer als Bordeaux.« Aus dieser Position heraus errichtete die Ockfener Weinbaudomäne im Jahr 1893 einen Bismarckturm.

In Wiltingen hat Niewodniczanski nun eine postmoderne Entsprechung gebaut: Sein Turm ist zwar nur zwei Stockwerke hoch und eckig, aber man muss von ihm auch gar nicht weit in die Landschaft blicken können, und es sollen auch gar nicht alle Richtungen gleichberechtigt sein. Der Turm ist vielmehr ein Logenplatz, von dem aus sich ein Panorama Großer Lagen bestaunen lässt: mit dem Scharzhofberg als zentralem Bezugspunkt, der die Hauptachsen des Turms bestimmt hat. Links davon die Lagen Braunfels und Gottesfuß, die Wawerner Großen Lagen im Rücken. Für diese Hommage an seine Grands Crus hat Niewodniczanski unter anderem eine 8,6 Meter breite Glasscheibe anfertigen ­lassen. »Das Ding wiegt 1,8 Tonnen. Am Anfang war gar nicht klar, ob sich so eine Scheibe überhaupt herstellen lässt.«

Form follows Vitticulture

Es sagt viel über den Spirit des Gebäudes aus, dass Niewodniczanski und Völk als komplette Laien auf diesem Gebiet die Bauleitung selbst ausgeführt haben. All das, um sicherzustellen, dass auch noch das kleinste Detail der baulichen Ausführung der weinbaulichen Idee dient. Denn ähnlich wie das Gebäude die Château-Assoziation spielerisch auf ein neues Abstraktionsniveau hebt, dient der Neubau auch dazu, dem Weinkonzept Van Volxem eine kühne Zukunftsvision angedeihen zu lassen. Im Untergeschoss des Turms ist ein Raritätenkeller installiert, in dem mehr als 30 dickwandige Edelstahltanks darauf warten, ausgesuchte Partien für eine langjährige Reifung aufzunehmen. Ein Rädchen greift ins andere: Die Größe der Tanks entspricht einem, zwei oder drei Fudern. Nach einer Vergärung und einem ersten Ausbau im Fass sollen hier Reserve-Versionen großer Lagenweine entstehen – auch hier wieder so, wie es im 19. Jahrhundert schon üblich war. Direkt daneben liegt ein Holzfasskeller, in dem 80 Fässer der österreichischen Edel-Küferei Stockinger Platz finden. Das Eichenholz für die Gebinde stammt aus dem Eifler Forst der Familie Niewodniczanski – so schließt sich der Kreis. Der Nachhaltigkeit verpflichtet ist die technische Ausstattung auch in anderen Aspekten – etwa indem das Regenwasser der Dachflächen gesammelt wird, um damit den Teich unterhalb des Turms zu speisen.

All das ohne einen Cent öffentlicher Zuschüsse, wie Niewodniczanski nicht ohne Stolz anmerkt. Und nun kann er sich selbst kaum losreißen vom Panoramafenster im Obergeschoss des Turms: »Diese Traumlandschaft, und dann fährt dazu auch noch diese Märklin-Eisenbahn am Fuße der Weinberge entlang.« Doch schließlich muss es weiter­gehen, am Zoll in Singapur ist eine Lieferung wegen unvollständiger Papiere gestrandet. Und unten wartet ein Filmteam, das den Neubau mit einer Drohne aus der Luft ins Bild setzen wird. »Ach«, sagt Niewodniczanski noch, »das wird Sie vielleicht interessieren, ich bin grade dabei, eine Herde von Wagyu-Rindern aufzubauen. Bald kommen schon die Schnitte aus der ersten Schlachtung.«

Da ist sie wieder: die Verwandlung des Multitaskers in den Genussmenschen. Aber vielleicht ist es auch gar keine Verwandlung. Denn eines ist klar: Dieser Mann kann gar nicht anders, als immer noch ein Projekt anzugehen, und noch eines und noch eines. Es muss ein großer Genuss sein, das Multitasking, wenn man es so zu spielen versteht wie Roman Niewodniczanski.



Erschienen in
Falstaff Nr. 05/2019

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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