Interior Trend: Skulpturales Wohnen
Skulpturale Formen haben beim Interieur sukzessive unsere Wohnräume erobert. Was einst für den Privatbereich eine zu große Exaltiertheit besessen hätte und höchstens in den Wohnungen von hippen Werber:innen Platz gefunden hätte, ist heute ein Mainstream Produkt. Der Trend des skulpturalen Wohnens ist ein globales Phänomen, LIVING kennt die Hacks und Brands dahinter.
21.08.2024 - By Verena Schweiger
Mit nur wenigen Handgriffen bewältigt US Interior-Star Kelly Wearstler das Zusammenspiel von eigensinnigen Wohnskulpturen, Kollegin Athena Calderone zupft lässig baumgroße Zweige in einer Statement-Vase zurecht, Pierre Yovanovitch liebt hingegen auffällige Schlichtheit mit markanter Linienführung und Patina. Es sind zumeist eindrückliche Statement Pieces, die um die Aufmerksamkeit der Betrachter:innen buhlen. Das Arrangement solcher Gegenstände im Plural ist eine Kunst an sich, die sich scheinbar mühelos bei den prominenten Befürworter:innen dieses Stils ausmacht. Dass dahinter ein ausgeklügeltes System und ein sehr genaues Maß an kompatibler Formensprache, Texturen und Größenverhältnissen steckt, wird freilich verschwiegen und sollte auch nicht weiters auffallen. Denn die Perfektion liegt im gespielten Zufall mit Ungewöhnlichem, der in Wahrheit alles andere als Fortunas Tochter ist.
Skulpturales Wohnen als Trend
Einzelne Wohnskulpturen sind keine Neuigkeit per se und auch die Beschaffung solcher Gegenstände hat sich stark verbreitet, denn Interior Gallerien und Collectible Läden sind längst nicht mehr die einzigen Mekkas für ihren Ankauf. Mainstream Labels, wie der italienische Küchenwaren und Heimaccessoire Hersteller Alessi, haben daraus lange schon ein Geschäftsmodell daraus gemacht, man denke an dessen Kettle-Kannen oder Mokkakocher. Auch Möbelbrands wie der französische Hersteller Big Game frönen mit Modellen der ikonischen »Bold«-Serie dem skulpturalen Wohntrend. Diese Sitz-Kreationen erinnern dabei an Terje Ekstroms legendären Sessel der 1980-er Jahre. Die Herkunft der Designer:innen solcher stellaren Interior Stücke ist nicht selten die Architektur. Gaetano Pesce, Charlotte Perriand oder Alvaro Aalto sind prominente Beispiele dafür. Auch Künstler:innen, wie die US-amerikanische Keramikerin Simone Bodmer Turner sind rege im Geschäft und fertigen neben Kunst am Bau-Projekten serielle Stücke - teils in limitierter Auflage. Mehr und mehr Kreative verlassen beim Vertrieb der Wohnskulpturen den Pfad der Design-Kooperationen und nutzen das demokratische Medium des eigenen Onlineshops als Absatzweg. Antiquitäten, Vintage Stücke und zeitgenössische Einrichtungsgegenstände co-existieren beim skulpturalen Wohntrend gleichberechtigt nebeneinander. Sie kontrastieren sich selbstverständlich gegenseiting und ihre Umgebung, tanzen laut aus der Reihe, überraschen mit avantgardistischem Flair und brechen ausgetretene Farbschemata auf. Was sie eint ist die große Geste, das Außergewöhnliche sowie die Ablehnung der reinen Besinnung auf Funktionalität und das sich calvinistische Einfügen in glatte Wohnkonzepte.
Skulpturales Wohnen als Ausdruck des Zeitgeistes
Die Innenarchitektur ist ein sich ständig wandelnder Bereich, beeinflusst von Moden und verändernden Lebensrealitäten. In einer dynamischen Epoche der Leichtfüßigkeit, in der Werte wie Tradition und Dauer eher als träge denn trendy gelten, braucht es im privaten Umfeld scheinbar ein Gegengewicht, das erdet und Substanz ausstrahlt. Die skulpturale Form scheint dafür wie geschaffen. Auch jeweilige Idole einer Zeit beeinflussen, oder besser influencen, die vorherrschende Ästhetik. Manche dieser Stillichter verglühen jedoch nicht, überdauern ihre Epoche und werden zu Fixsternen am Firmament des veränderlichen Zeitgeists. Der Wohn- und Kleidungsstil von Kunstsammlerin Peggy Guggenheim gilt beispielsweise bis heute als richtungsweisend für Menschen, die ein avantgardistisches Selbstverständnis pflegen und kann gerade in Bezug auf den skulpturalen Wohntrend als immer währendes Mood-Board herangezogen werden. Sei es die kinetische Kunst und das schmiedeeiserne Betthaupt von Alexander Calder oder Kunst am Bau von Jenny Holzer: Peggy had it first! Auch die von Flora und Fauna inspirierten Wohnskulpturen des französischen Künstlerehepaars Claude und François-Xavier Lalanne sind nicht zuletzt durch die amerikanische Kunstsammlerin zu Evergreens geworden. Möchte man nicht die gesamte Einrichtung umkrempeln, lohnt es sich beim skulpturalen Wohnen schrittweise vorzugehen und Interior-Trend anhand von skulpturalen Accessoires im eigenen Zuhause einfließen zu lassen. Wandleuchten, Beistelltischchen, Vasen, Schalen und weitere dekorative Elemente sowie Kleinmobiliar sind im Stande ein einzigartiges Ambiente zu kreieren. Besonders en vogue sind derzeit skultpturale Wohnaccessoires im biophilen Design, deren Form und Material das Natürliche im Sinne einer zeitgeistigen Ursprünglichkeit erkennbar machen. Amorphe oder runde Formen und Naturmaterialien wie Holz, Stein oder Metall sind dabei tonangebend.