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Schnellschuss-Politik: »Bodenversiegelung & Häuslbauerbonus sind fatal«

Elisabeth Oberzaucher leitet seit Jahren die ORF-Sendung »Science Busters«. Außerhalb des Hauptabendprogramms beschäftigt sich die Verhaltensbiologin mit Bäumen, Stadt-räumen und menschlichen Bauchgefühlen. Fragt sich also: Wir klimafit sind wir eigentlich?

02.09.2024 - By Wojciech Czaja

Titelbild: Bodenversiegelung: Schon heute sind wir Europameister, wenn es darum geht, grünes Land zuzubetonieren. Pro Tag werden in Österreich elf Hektar Boden versiegelt.

LIVING Wir sprechen heute übers Klima, und ich muss leider mit einer fatalistischen Frage anfangen.

Elisabeth Oberzaucher Her damit! Auch wenn wir es mit Fatalismus nicht übertreiben sollten.

Vor ein paar Wochen war in den Medien zu lesen, dass die Temperatur in den Weltmeeren schneller angestiegen ist, als von Forscher:innen prognostiziert worden war. Haben wir den Point of no Return erreicht?

Zum jetzigen Zeitpunkt können wir das nicht mit Sicherheit sagen. Aufgrund der Komplexität der Ereignisse ist es derzeit kaum festzulegen, wie viel davon dem El-Niño-Phänomen und wie viel der menschlichen Verantwortung zuzuschreiben ist. Die dramatische Erwärmung der Weltmeere ist – in dieser Heftigkeit – in der Tat ein überraschendes Ereignis, das die Forscher:innen in den kommenden Monaten intensiv beschäftigen wird.

Welche Auswirkungen könnte die Meeres-erwärmung auf unser aller Leben am Land haben? Betrifft uns das überhaupt?

Aber ja! Wetter ist ein lokales, regionales Phänomen, das Klima hingegen ist ein globales Thema. In der Überlagerung der Parameter wie etwa Wind, Luftfeuchtigkeit, Druckunterschiede und so weiter wird von den maritimen Veränderungen auch das kontinentale Europa betroffen sein. Man kann davon ausgehen, dass die Auswirkungen auch in einer Stadt wie Wien massiv zu spüren sein werden.

Sie leiten das Forschungszentrum Urban Human, das sich mit der Erforschung des menschlichen Verhaltens im städtischen Raum befasst. Wenn ich mir unseren Umgang mit dem Klima anschaue, stellt sich unweigerlich die Frage: Warum agieren wir alle so kurzsichtig, als ob es kein Morgen gäbe?

Diese Frage beschäftigt mich schon seit Langem! Als Homo sapiens sind wir – wie der Name schon sagt – durchaus vernunftbegabt, und wir müssten in der Lage sein, Probleme mit Vernunft zu lösen. Doch wenn eine Situation eine gewisse Komplexität übersteigt, dann ist unser Denken überfordert, und wir treffen falsche Entscheidungen. Das hat evolutionsbiologische Gründe und steckt ganz tief in uns drinnen.

Inwiefern?

Ein Blick in die Urgeschichte: Wenn wir gerade Beeren pflücken und sammeln, um nahrungsmitteltechnisch vorzusorgen, und plötzlich -lauert hinter uns der Säbelzahntiger, der uns jeden Moment anzugreifen droht, dann werden wir in diesem Moment keine nachhaltig kluge Entscheidung fällen, sondern eine, die uns in genau diesem Augenblick das Überleben sichert, und zwar ohne Rücksicht auf morgen. In Angst und Panik agieren wir meist mit unserem Bauchgefühl, anstatt vernünftig zu handeln. So machen wir das bis heute.

 

Häuslbauer-Prämie? Anstatt die Versiegelung zu stoppen und die Ressourcen zu schützen, will die ÖVP den Bau von Einfamilienhäusern sogar belohnen.

Ist Bauchgefühl etwas Schlechtes?

Nein, grundsätzlich nicht. Aber es ist nicht nachhaltig. Anstatt vernünftig zu handeln und endlich umzudenken, fürchten wir, unseren Lebenskomfort, unsere Prosperität und unsere vermeintliche Sicherheit zu verlieren – und dann kommen plötzlich so fatale Schnellschüsse wie der Häuslbauer-Bonus, der uns ermutigen soll, noch mehr Einfamilienhäuser zu bauen, noch mehr Straßen zu betonieren und noch mehr Landschaft zu versiegeln. Die Häuslbauer-Prämie, die die ÖVP vorgeschlagen hat, ist die größte klimapolitische Katastrophe, die man sich vorstellen kann.

Dabei ist Österreich eh schon längst Europa­meister in Sachen Versiegelung!

Eine Katastrophe! Wir betonieren unsere ­Wiesen, Wälder und Ackerflächen zu, um ­darauf ein Häusl, einen Supermarkt oder ein Fachmarktzentrum mit Parkplatz zu errichten. Und das, obwohl wir längst wissen, wie wichtig Grünräume sind, um das Klima zu sichern, um CO2 zu binden, um die Biodiversität zu schützen und – am allerwichtigsten – um unsere ­Ernährungssicherheit zu gewährleisten.

Wenn wir auf städtische Begrünung blicken, so gibt es Grünstreifen, Stauden und Sträucher, Baumpflanzungen, Dach- und Fassaden­begrünungen sowie diverse Urban-Gardening-Projekte. Welche Maßnahmen sind denn besonders effektiv?

Als Biologin kann ich nur sagen: Jedes bisschen Grün ist gut, es soll keine einzige Grünfläche infrage gestellt werden! Die effektivste ­Maßnahme von allen ist die Pflanzung von Bäumen: Ein Baum hat eine sehr große ­Blattoberfläche und sorgt nicht nur für ­großflächige Verschattung, sondern auch für ­Verdunstungskälte. Die Kombination aus Schatten und Verdunstung macht’s aus!

Wie groß ist der Effekt?

Unter einem großen, ausgewachsenen Baum – das kann man physikalisch messen – wird die Umgebungstemperatur um fünf bis acht Grad Celsius reduziert. Das ist enorm. Die Frage also ist: Wollen wir Bäume oder Beton? 

In neu geschaffenen Parkanlagen sieht man kaum noch Sträucher. Warum eigentlich?

Das hat einen sehr einfachen Grund: In irgend­einer Studie wurden Sträucher einmal als Synonym für städtische Angsträume dargestellt, weil die Möglichkeit besteht, dass sich dahinter jemand verstecken kann. Seitdem ist der Strauch seinen schlechten Ruf nie wieder losgeworden. In der Stadtverwaltung werden Sträucher konsequent vermieden.

Aus der Sicht der Verhaltensbiologin und Nachhaltigkeitsexpertin: Plädieren Sie für mehr Sträucher?

Man kann soziale Faktoren wie Angst nicht gegen klimatische Faktoren wie Verschattung ausspielen. Das muss von Projekt zu Projekt abgewogen werden. Aber ich finde schade, dass diese Option in der aktuellen Grünraumdebatte gar nicht mehr vorkommt, denn in klimatischer Hinsicht hat ein Strauch einen ähnlichen klimatischen Effekt wie ein kleiner Baum.

Durch die ORF-Wissenschaftssendung »Science Busters« sind Sie in ganz Österreich bekannt. Hilft diese Bekanntheit, wenn es darum geht, die Menschen auf die Klimakrise aufmerksam zu machen und sie zum Umdenken zu bewegen?

Alle Menschen, die öffentlich sichtbar sind, haben in der Bevölkerung eine gewisse ­Vorbildwirkung. Ihr Verhalten wird oft von anderen imitiert.

Wie nehmen Sie Ihre Vorbildwirkung wahr?

Ich habe noch nie in meinem Leben ein Auto besessen. Darauf bin ich stolz, ich empfinde die Autolosigkeit nicht als Verzicht, sondern als mobile Befreiung und Bereicherung, und das kommuniziere ich auch regelmäßig in der Öffentlichkeit.

Zum Abschluss: Wie lautet Ihre ganz persönliche Dystopie?

Ich fürchte mich davor, dass wir in einem falschen Verständnis von Traditionen und Werten auf den Dingen beharren, die uns nicht guttun.

Und was wäre eine schöne Utopie?

Dass wir durch ein intelligentes Einsetzen unserer geistigen Kapazitäten als Homo ­sapiens nicht nur die Probleme von heute ­lösen, sondern auch neue, großartige ­Qualitäten für morgen schaffen.

Elisabeth Oberzaucher (50) ist wissenschaftliche Leiterin des Forschungszentrums Urban Human. Zudem forscht und lehrt sie an der Fakultät für Lebenswissenschaften der Universität Wien. 2017 erschien Ihr Buch »Homo urbanus. Ein evolutionsbiologischer Blick in die Zukunft der Städte«. Öffentliche Bekanntheit erlangte sie durch die ORF-Wissenschaftssendung »Science Busters«, für die sie 2018 und 2022 mit dem Österreichischen Kabarettpreis ausgezeichnet wurde.
oberzaucher.eu, urbanhuman.eu

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Erschienen in:

Falstaff RESIDENCES 01/2024

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