Homestory: Zu Gast bei den Arrivabenes
Die Dynastie Arrivabene Valenti Gonzaga verkörpert die venezianische Aristokratie wie kaum eine zweite. Zu richtigen Rockstars wurde die Familie mit dem Besitz des Pracht-Palazzos Papadopoli im 19. Jahrhundert, wo heute das Luxushotel »Aman Venice« logiert. Das exklusive LIVING-Interview mit Graf Giberto Arrivabene, erfolgreicher Glas-Designer und Ikone italienischer Lebensart.
05.03.2020 - By Angelika Rosam
Kreativtalent
Der Conte drückt uns einen Espresso aus der Maschine in die Hand – er macht ihn selbst, Standesdünkel gibt es im Hause Arrivabene nicht. Wie aus dem Bilderbuch erscheint »La Famiglia« – besser könnte in der Tat royaler italienischer Lifestyle nicht präsentiert werden. Die Gattin, Prinzessin Bianca di Savoia Aosta, schenkte dem Grafen fünf Kinder und managt nicht nur die Familie – in der Kunst zu Hause, hält die elegante Principessa den Vorsitz bei Christie’s Italien und betreibt nebenbei eine feine Event-Agentur. Und im Gegensatz zu ihren zugeknöpften britischen Kollegen dürfen die jüngsten Mitglieder dieser edlen Linie auch ihr fabelhaftes Dasein auf Instagram zur Schau stellen und das Scheinwerferlicht genießen. Die It-Girls der Familie (die venezianischen Versionen von William und Harry) heißen Viola und Vera Arrivabene. Zusätzlich zu ihrem ererbten Rang auf der höchsten Stufe der italienischen Society haben sich die bildhübschen Schwestern als unabhängige Fashionistas etabliert und das trendige Schuhlabel ViBi Venezia gegründet – natürlich ganz im Sinne des Herrn Papa.
Der LIVING-Talk über Glas-Ästhetik, die Liebe zum Design, Kindheitserinnerungen und warum Europa Venedig helfen muss.
Nun, es kommt ja auch nicht so oft vor, dass man als Sechsjähriger unter Giambattista Tiepolos Freskenmalerei frühstückt …
Certamente (lacht). Wie gesagt, als Kind nimmt man diese Privilegien gar nicht so wahr. Tiepolos schönste Deckenmalerei war jene im Schlafzimmer meiner Mutter. Ich bin auf ihrem Bett herumgesprungen und habe dabei auf Tiepolos Kunst gestarrt. Natürlich inspirieren mich
seine Arbeiten bis jetzt, wie alles in Venedig.
Dann erinnern Sie sich sicher gerne an das Lied »Santa Lucia« – von einem Gondoliere gesungen …
Es war ein besonders heißer Tag in Venedig. Ich war ein kleiner Junge, und die Hitze war selbst
im Palast fast unerträglich. Auch in der Nacht wurde es nicht besser. Ich bin mehrmals aufgewacht, und da habe ich erstmals einen Gondoliere »Santa Lucia« singen hören. Dieses Lied ist eine wunderbare Kindheitserinnerung, ich fühle mich wohl und zu Hause, wenn ich es höre.
Wie ist es zur Glaskunst gekommen? Eigentlich sind Sie doch Broker bei dem Versicherungsunternehmen Aon …
Alles begann mit einem Spiel. Ich habe von meiner Familie wunderbare Glassammlungen aus dem 18. Jahrhundert vererbt bekommen. Irgendwann sind diese alten Gläser gebrochen oder
haben Sprünge bekommen. Ich bin nach Murano gefahren und habe in Glasmanufakturen versucht, die Gläser wiederherzustellen. Als meine Freunde registriert haben, was ich mache, habe ich auch für sie Gläser repariert und ihnen damit geholfen. Dann habe ich Lust bekommen, mich immer mehr mit Glasdesign zu beschäftigen. Das war der Startschuss für ein Hobby, das neben meinen Tätigkeiten für Aon auch zu meinem Beruf geworden ist.
Was bedeuten Ihnen Gläser persönlich?
Schöne Gläser transportieren Ästhetik pur, sie sind elementare Bestandteile eleganter Tischkultur und implizieren Freude am geselligen Beisammensein. Es ist immer wieder interessant, welche Geschichten man mit Glasdesign erzählen kann. Ich liebe es, die alten Formen zu bewahren und ihnen einen gewissen modernen Twist zu geben. Aber vor allem: Schöne Gläser gehören natürlich zu Venedig, so wie auch die Rialtobrücke oder »Harry’s Bar«!
Sie kreieren viele verschiedene Glas-Objekte. Was davon designen Sie am liebsten?
Das ist ganz unterschiedlich. Wenn man ein neues Glas-Design macht, das man vorher noch nirgends gesehen hat, macht das Freude. Ich mag auch meine Bilderrahmen, denn sie sind sehr
speziell, da ich beim Rahmen einen Mix verschiedener Materialien verwende, darunter auch Stoffe. Ich mag unsere Brieföffner, denn für diese verwende ich schwere Materialien wie Kristalle oder Achat, kombiniert mit Glas, Holz oder Samt. Es sind sehr simple und elegante Objekte, aber dennoch schwierig in der Produktion.
Haben Sie spezielle Projekte, die Sie in den nächsten Jahren verwirklichen wollen?
Ich arbeite gerade an zwei außergewöhnlichen Projekten, die ich bis zur nächsten Glas-Biennale finalisieren möchte. Da ist zum einen Alberto Giacomettis »Der schreitende Mann« und weiters Giacomo Manzùs »Der Kardinal«. Ich könnte mir nicht vorstellen, diese Objekte woanders zu fertigen als in Murano selbst.
Ein Venezianer hat mir einmal gesagt, dass es ein Geschenk ist, in Venedig aufwachsen zu dürfen und man dieser Stadt immer in besonderer Weise verbunden sein wird. Geht es Ihnen auch so?
Über Weihnachten fahren wir jedes Jahr einige Wochen nach Südamerika – es ist eine wunderbare Zeit. Doch was soll ich sagen: In der letzten Woche werde ich schon ziemlich unrund, da ich Venedig bereits vermisse. Das geht sogar so weit, dass ich selbst auf den schrecklichen Kanal-
Gestank nicht verzichten möchte, denn dieser Geruch ist so wie all die schönen Dinge dieser Stadt in meinem venezianischen Herz verankert.
Erzählen Sie mir von der aktuellen Situation in Venedig. Die Probleme der globalen Klimaerwärmung schreiten voran – die Überschwemmungen im Dezember waren so dramatisch wie schon lange nicht mehr. Wird Ihre Heimatstadt in 50 Jahren noch existieren?
Es ist leider sehr traurig und schwierig. Seit Jahrzehnten arbeitet man hier schon am immer wiederkehrenden Hochwasser-Problem – das sogenannte MO.S.E.-Projekt hätte schon vor ein paar Jahren fertiggestellt werden sollen. Dieses System besteht aus riesigen mobilen Deich-Modulen, die den Eingang der Lagune bei drohendem Hochwasser versperren sollen. Ich bin diesem Projekt gegenüber optimistisch eingestellt, dennoch weiß man nicht genau, was daraus wird. Das Risiko ist, dass mit diesem System die Stadt in Hochwassermonaten fast ständig vom Frischwasser abgeschnitten wäre und sich schnell in eine Kloake verwandeln könnte.
Was wünschen Sie sich für Venedig?
Ich würde mir wünschen, dass sich Europa um Venedig kümmert, was leider unmöglich ist.
Um Venedig wieder attraktiv für junge Leute zu machen, dürfte man nur geringe Steuern verlangen, und man müsste Apartments zur Verfügung stellen. Die Stadt stirbt sukzessive, und nur mit jungen Familien, die hier ihre Unternehmen und Firmen gründen, kann Venedig überleben. Und meine Hoffnung stirbt zuletzt.