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Sie ist die Brücke zwischen Europa und Afrika, sie mischt die Kulturen zu einem aufregenden Tableau: Die sizilianische Hafenstadt Palermo gilt als die aufregendste italienische Kunstdestination der Gegenwart – und das zu Recht. Eine Reise in den wilden Süden.

07.10.2023 - By Maik Novotny

HEADER Schöne Synthese Die Kathedrale von Palermo, UNESCO-Weltkulturerbe, ist mit ihrer Kombination von normannischen und arabischen Elementen ein Symbol für den kulturellen Mix, der die sizilianische Metropole im Herzen des Mittelmeers bis heute prägt.

Vier Kanonenschüsse, und aus vier Ecken rieseln Tausende bunte Papierstreifen auf die Menschenmenge, die sich auf der Quattro Canti versammelt hat, wo sich die zwei Hauptachsen von Palermo kreuzen. So euphorisch wurde im Juni 2018 die Manifesta 12 eröffnet, und spätestens da war klar: Palermo hat sich vom Geheimtipp zur Kunstdestination Italiens gemausert. Die Biennale BAM und die Rolle als Kulturhauptstadt Italiens 2018 stärkten diese Position. Was macht Palermo so besonders? Die Lage im Zentrum des Mittelmeerraums und die Brückenfunktion zwischen Europa und Nordafrika, die Palermo heute wieder mit Leben erfüllt. Bürgermeister Leoluca Orlando deklariert seine Hafenmetropole als »offene Stadt« und sagt in seiner Charta von Palermo: »Ich unterscheide nicht zwischen denen, die hier leben und denen, die hier geboren sind. Wer in Palermo ist, ist Palermitaner.« Das heißt auch: Wer hier zu Besuch ist, wird mit offenen Armen und südlicher Herzlichkeit empfangen. Wer auf der Suche nach Kunst ist, findet sie an allen Ecken. Vor allem in den vielen alten Palazzi, die nach Jahrzehnten des Zerfalls jetzt wieder ihre Türen öffnen und sich als ideale Orte für zeitgenössische Kunst erweisen. Mit viel ­Improvisation und viel Imagination natürlich.

FREITAG

Einer der prachtvollsten Palazzi ist der Palazzo Butera aus dem 18. Jahrhundert, der sich in ganzer Breite parallel zum Meer erstreckt. 2016 wurde er von Massimo und Francesca Valsecchi erworben, die die heruntergekom­mene historische Nobelimmobilie für eine öffentliche Nutzung restaurierten. Während der Manifesta durfte man schon durch die hohen Raumfluchten wandeln, seit 2021 läuft hier der reguläre Ausstellungsbetrieb: zeitgenössische Kunst kombiniert mit Kunsthandwerk aus vielen Jahrhunderten – und dazwischen immer wieder der Blick aus den Fenstern auf das Meer.

REGIONALE SCHATZKAMMER

Von hier ist es nicht weit bis zum Palazzo Patella, ebenfalls im lange berüchtigten Altstadt-Viertel Kalsa gelegen. Fast schon provinziell ­bescheiden klingt der Name der Galleria Regionale della Sicilia, die hier untergebracht ist, doch man lasse sich nicht täuschen: Was hier regional heißt, ist eine Schatzkammer auf intenationalem Niveau und eines der größten Museen Siziliens. Hier sind vor allem religiöse Kunstwerke aus dem Mittelalter und der Renaissance zu sehen, das heißt: die Fundamente der italienischen Kultur. Ein Zeitsprung ins 21. Jahrhundert: Die Zisa Zona Arti Contemporanee, kurz »ZAC«, wurde von der 2005 gegründeten Fondazione Merz ins Leben gerufen, die sich dem Werk des Künstlers Mario Merz widmet. Nach den in Sizilien üblichen langen Verhandlungsprozessen wurde ein Art Space am Rande der Stadt gefunden, in dessen großen Hallen reichlich Platz für Ausstellungen und Festivitäten ist – zumindest bis 2023. Also: nichts wie hin!

Palazzo Butera Dauerausstellung https://palazzobutera.it/it

Galleria Regionale della Sicilia Dauerausstellung https://www.regione.sicilia.it/

ZAC: Zisa Zona Arti Contemporanee Mario Merz: My Home’s Wind, bis 24. 9. 2023
https://www.fondazionemerz.org/en/

Alle in der Halle Die Ausstellung »My Home’s Wind« des italienischen Künstlers Mario Merz (1925–2003) in der ZAC (Zisa Zona Arti Contemporanee).

© Roberto Boccaccino

Epische Szenerie Das berühmte Fresko »Triumph des Todes« in der Galleria Regionale della Sicilia stammt aus dem 15. Jahrhundert.

© Filippo M. Nicoletti

SAMSTAG

Eine Wanderung durch Gassen, Portale und alte Gemäuer in der Altstadt. Hier trifft man
oft ganz unerwartet auf Museen und Galerien. Einer der schönsten Palazzi der Stadt, der Palazzo Branciforte, wurde von 2007 bis 2012 von der Architektin Gae Aulenti im Auftrag der Fondazione Sicilia restauriert und eröffnete als veritables Kulturzentrum. Alleine die prachtvolle Bibliothek, in der man sich unvermittelt in einen Umberto-Eco-Roman versetzt wähnt, lohnt schon den Besuch. Dazu kommen zahlreiche Sammlungen von Bildhauerei bis zu ­Majolika-Fliesen, die Wechselausstellungen werden in den Räumen der Monte di Santa ­Rosalia gezeigt. All das macht den Palazzo Branciforte­ zu einem Gesamterlebnis aus Bau- und Kunstgeschichte.

KUNST IM KLOSTER

Festungsartig und wuchtig wirkt das Gebäude aus dem 15. Jahrhundert, später als Franziskanerkloster genutzt, in dem seit 2006 die Galleria d’Arte Moderna untergebracht ist. In den stattlichen Gemäuern wird vor allem die eigene Sammlung italienischer Malerei aus dem 18., 19. und frühen 20. Jahrhundert gezeigt, darunter viele Stadt- und Landschaftsansichten. Dazu kommen temporäre Positionen aus der Gegenwart in allen Kunstformen, etwa Fotografien von Richard Avedon. Jetzt könnte man fragen: Findet Kunst hier nur in alten Palazzi statt? Nicht ganz, denn es gibt auch eine junge Galerienszene in Palermo. Bestes Beispiel dafür: die RizzutoGallery, mitten im dichten Gassen­gewirr der Altstadt gelegen und 2013 von Giovanni Rizzuto und Eva Oliveri gegründet. Ihre Ausstellungen suchen das Spannungsfeld zwischen sizilianischen Künstler:innen, wie sie etwa in der Reihe »Salon Palermo« präsentiert werden, und internationalen Namen, beides von hoher Qualität.

Palazzo Branciforte Giovanni Chiaramonte: Realismo Infinito, bis 8. 9. 2023
https://www.palazzobranciforte.it/

Gallerie d’Arte Moderna (GAM) Dauerausstellung https://www.gampalermo.it/en/

RizzutoGallery Katharina Maderthaner, Jochen Mühlenbrink: Double Eye Trouble, bis 4.11. 2023 https://www.rizzutogallery.com/

Klare Linien Die Rizzuto Gallery ist eine der ersten Anlaufstellen für zeitgenössische Kunst in Palermo.

© Rizzuto Gallery

Kulturelles Gedächtnis Der aufwendig restaurierte Palazzo Branciforte, eine Schatztruhe sizilianischer Kunstgeschichte.

© beigestellt

SONNTAG

Vom Palast des Zitronen-barons in die Welt der Fliesen und wieder zurück in die Mitte der Stadt. Die Zitrone spielt eine Schlüsselrolle in der Geschichte Siziliens: Ihr Anbau ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, und die Zitronenhaine um Palermo boten in den heißen, staubigen Sommermonaten Zuflucht vor der Stadt. Auch die Villa Zito ist nach einem Zitronenbaron benannt, der das prachtvolle Anwesen 1909 kaufte. Heute ist sie, wunderbar restauriert, ein Ausstellungsort der Fondazione Siciliana, die hier italienische Grafiken und Malerei aus dem 15. bis 20. Jahrhundert zeigt. Danach ist ein Spaziergang durch den Garten Pflicht! Eine weitere Tradition Siziliens, die auf den großen Einfluss islamischer Kunst und Architektur verweist, ist das Fliesenhandwerk. Rund 5000 Fliesen aus Sizilien und Kampanien sind im Museo delle Maioliche in den Räumen der Stanze al Genio zu besichtigen, fast lückenlos bedecken sie hier die Wände. Jedes Zimmer ist einer Region gewidmet und zusammen erzählen sie so die Geschichte Süditaliens aus dem Blickwinkel eines einzigen Kunsthandwerks.

IM HERZEN DER STADT

Zum Abschluss des Wochenendes kommen wir wieder in der Gegenwart an, mit einem Besuch bei einem weiteren Highlight der Galerienszene. Die Francesco Pantaleone Contemporary Art wurde 2013 gegründet und ist somit Teil von Palermos künstlerischem Erwachen im 21. Jahrhundert. Unmittelbar bei den Quattro Canti gelegen, fungiert sie als Schaufenster lokaler und internationaler Kunst im Herzen der Stadt. Also genau dort, wo die Kunst bei den Palermitanern zu Hause ist – und auch das nächste Fest wird nicht lange auf sich warten lassen. Denn, wie Bürgermeister Orlando sagt: Wir sind alle Palermitaner.

Villa Zito Jean Boghossian: Il linguaggio del fuoco, bis 9. 10. 2023
https://www.villazito.it/

Museo delle Maioliche Dauerausstellung https://www.stanzealgenio.it/en/

Kennst du das Land wo die Zitronen blühen: Die Villa Zito, wo einst der gleichnamige Zitronenbaron residierte.

© beigestellt

Eingekreist Die Galleria Francesco Pantaleone (FPAC) bringt die junge Gegenwart ins Herz des alten Palermo.

© beigestellt

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 06/2023

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