© Sam Stephenson

Picknicken in England: Damals und heute

Im Sommer zieht es uns ins Freie. Gespickt mit feinem Essen in illustrer Gesellschaft ist das Picknick gelebte Kulturgeschichte. Besonders in England. LIVING zeigt, wie ein elegantes Arrangement aussieht.

19.06.2023 - By Elisabeth Klokar

Wenn der Champagner fehlt, gibt es kein Glyndebourne-Picknick. Die Brit:innen zelebrieren und kultivieren das Speisen im Grünen, und inspirier(t)en: »Fürst Nikolaus II. Esterházy brachte die Londoner Trends im 19. Jahrhundert nach Eisenstadt«, wie Georg Geml, Direktor des KochKulturMuseums, erklärt. »Vordergründig ging es um den Wunsch nach dem Naturerleben und der gemeinschaftlichen Erkundung des neugeschaffenen Landschaftsparks.«

Und heute? Das Picknick ist gelebte Kulturgeschichte und weiterhin beliebt. Wenn man nach den schönsten Plätzen im Sommer sucht, wird man schnell fündig, von Kulturveranstaltungen bis hin zum Themenpicknick, gefolgt vom Picknick im Park, im Weinberg und am Wasser. Zudem ist die elegantere Variante vom Take-away-Setting tatsächlich so alt wie die Menschheit. In der Antike traf man sich zum »Freundschaftsmahl«, das man nun auf Vasen und Mosaiken verewigt findet. Noch jetzt setzen wir das sorglose Beisammensein im Grünen gleich mit Freundschaft, Liebe, Genuss und Stil. Und wo, wenn nicht in England, findet man all diese Attribute stimmig vereint? Gepicknickt wird neben der Pferderennbahn in Ascot, am Ufer während der Henley-Regatta und in sanften Hügellandschaften im feinsten Tweed, mancherorts sogar in Black Tie, wenn man zu einem Opernfestival fährt. Die Kulissen hier: ein Schloss oder Herrensitz. Das Wichtigste fürs »Downton Abbey«-Lebensgefühl sind aber die Picknickpausen, für die sich das Publikum zwischen den Arien am Rasen einfindet. In den 90er-Jahren wurden Land-Opern beliebt und gehören seither, bespielt als Sommerfestivals, zur traditionsreichen britischen »Summer Season«. Weltklasse-Sänger:innen samt Sandwiches und Schaumwein gönnt man sich etwa in der Longborough Festival Opera in den Cotswolds oder der Grange Park Opera im West Horsley Place (bekannt übrigens aus »The Crown«).

Picknick-Events In England trifft man sich von Mai bis September mit gefüllten
Picknickkörben unter anderem am Spielfeldrand des »Windsor Polo Club«-Parks, beim Ascot Race oder bei der Henley-Ruderregatta. Der Dresscode »elegant« ist Voraussetzung.

© Grape Smith

»reversed volumes«-Serie Gefäße und Schalen von mischer'traxler heben verschiedene Oberflächen der Natur hervor. Die Gussabdrücke von echtem Obst, Gemüse und Blättern werden seit 2013 vom spanischen Hersteller PCM seriell produziert. mischertraxler.com

© Jara Varela

Beispielhaft ist auch der Glaspavillon für die Garsington Opera im Wormsley Park in den Chiltern Hills in Buckinghamshire. Nicht zu vergessen Glyndebourne, das erste seiner Form, wo sich ein üppiges Picknick in den Gärten eines idyllischen britischen Landhauses in East Sussex genießen lässt, während man sich einen Nachmittag lang eine Opernaufführung ansieht, was schnell zu einem Gesamterlebnis in Abendgarderobe führt. Picknick in Style sozusagen. Was das Kulinarische anbelangt, sind bei diesen Veranstaltungen Exklusivität und Raffinesse gefragt: Eine Renaissance erlebt der Krabbencocktail, im Gläserset serviert, geräucherter Lachs mit einem Spritzer Zitrone passt jederzeit, ­Gemüsesticks, Spargel, diverse Käsesorten, Roastbeef, getrüffeltes Kartoffelgratin, Rote-Rüben-Tarte, verschiedenste Pasteten, Dips, backfrisches Baguette, Kuchen und Obst machen es zu einem exquisiten Fest. Für die Tablewear wählt man Leinenservietten, ­Porzellanteller, Kristallgläser, Teelichter, alles passend zum Gourmetmahl.

Perfekte Perlage Die Zutaten für ein gelungenes Picknick sind schönes Wetter, gute Gesellschaft, deliziöses Essen und elegante Tablewear, wie (Kristall-)Gläser für den Champagner.

© Getty Images

Dem Hedonismus frönen Ein Picknick ist bei den Briten gelebte Kulturtradition und die Landschaft Teil der Kulisse. Das Blöken der Schafe gehört zum Gesamtereignis.

© Sam Stephenson

Freiheit im Freien, aber stilvoll

Der Brit-Chic begeistert(e), denn maßgeblich waren die Engländer:innen an der Verbreitung der Kultur beteiligt, auch dessen, was wir heute unter Picknick verstehen. Groß in Mode kam das Freiluftspeisen während der Regierungszeit Königin Viktorias. Überschaubare, kleine Picknicks kommen schon im Roman »Emma« (1816) von Jane Austen vor. Ausladende »picnic parades« veranstaltete damals die High Society und verabredete sich am Rande der Cricket-Matches in Eton oder beim Derby von Epsom, um weniger formell, aber ohne kulinarische Einbußen gemeinsam dem Genuss zu frönen. Selbst auf den Tee wurde nicht verzichtet. Gedeckt waren die Tische mit opulentem Proviant. Die Kuratorinnen Anna Keblowska und Sophie Morawitz vom KochKulturMuseum verweisen hier auf das Kochbuch der Mrs. Beeton, die unter anderem Roastbeef, Lammrippen, gebratene Enten, Kalbs-, Tauben- und Schinkenpasteten, Hummer, Salat, Obstkompott, Kekse, Pflaumenpudding, Käse, Butter, Brot und Brötchen anführt. Auch Fortnum & Mason lieferte Picknickkörbe, gefüllt mit »Schildkrötensuppe, Wildschweinkopf mit Pistazien und Trüffeln, Gänseleberpastete, eingelegten Krabben oder Mangos aus Bombay«, wie Historikerin Diana Noyce für den Katalog zur Ausstellung »Picknick-Zeit« recherchierte. Seit dem 18. Jahrhundert gehört zudem der Korb (mit Porzellangeschirr und Silberbesteck) zur wichtigsten Ausstattung fürs Picknickglück und steht bis heute sinnbildlich für das perfekte Arrangement.

Geschichte des Picknicks

Gewandelt haben sich im Laufe der Jahrhunderte jedenfalls die Orte, die Anlässe, der Umfang der Speisen sowie die begrifflichen Bedeutungen: In Frankreich spracht man
von »pique-nique« (»piquer« – aufpicken, »nique« – eine Kleinigkeit) erstmals 1649. Im Barock wurden Sommerpicknicke veranstaltet, was in der Regel ein Ausflug in den Garten eines privaten Landhauses war, ebenso gab es Winterpicknicke – private Hausbälle verbunden mit Spiel, Tanz und mitgebrachtem Essen, gefeiert wurde in einer geschlossenen Gesellschaft. In England findet sich ein schriftlicher Beleg in einem Brief Lord Chesterfields: 1748 bezeichnete er eine Versammlung als »picnic«. In Japan sprach man schon im achten Jahrhundert von »pikunikku«, hier gehören Mahlzeiten im Freien vor allem zur Zeit der Kirschblüte (Hanami) zur Tradition.

Kaum verwunderlich ist auch, dass die in gewisser Weise ritualisierte Mahlzeit schnell die Aufmerksamkeit von Künstler:innen erregte. Das berühmte »Frühstück im Grünen« von Manet aus dem Jahr 1863 wurde seither zahlreich interpretiert: Picasso malte über 150 Variationen in reizvoller Manier, die Afroamerikanerin Mickalene Thomas nutzte das Setting aktivistisch und Daniel Spoerri verarbeitete das Thema ökologisch-mahnend. Designer:innen überlegen sich neue Tablewear, etwa das kompakte Besteckset von Pentatonic in Zusammenarbeit mit Pharrell Williams oder Schalen, aus Gemüse gegossen, von mischer'traxler. Die Geschichte des Picknicks selbst wurde im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main thematisiert.

Warum aber fasziniert die gustatorische Freizeitbeschäftigung so sehr? Julia Schwarz, Experience-Designerin mit Fokus Food Futures und NDU-Lehrende, weiß: »Spannend am großen Thema Picknick finde ich, dass es tatsächlich etwas ist, was es überall auf der Welt gibt, es schon immer gab und wahrscheinlich immer geben wird. Diese freie und flexible Art bietet Möglichkeiten für (Meinungs-)Freiheit und es kann sehr inklusiv gestaltet werden. Ein Picknick lädt ein, Landschaft und Gesellschaft zu genießen.« In diesem Sinne: Pack den Hamper ein, wir fahren ins Grüne.

Stilvoll improvisiert Für die Picknickdecke bieten die Glyndebourne-Gärten reichlich Platz. Selbstmitgebrachtes kann unter anderem im Schatten des Maulbeerbaums am »main lawn« oder mit Seeblick neben dem Mary-Christie-Rosengarten ausgebreitet werden.

© James Bellorini

Aufregendes Motiv Das wohl berühmteste Picknick stammt von Édouard Manet aus dem Jahr 1863. Damals löste sein Bild Kritik aus – zu provokant. Seit der Moderne inspiriert es berühmte Künstler:innen.

© Groth-Schmachtenberger

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 04/2023

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