© Giorgia Panzera/Courtesy of Edra

Running the Family: Italienische Möbel-Clans

Italienische Interior-Brands gehören nicht unbegründet zu den Global Playern, wenn es um traditionelle Handwerkskunst und hohe Qualität geht. Dabei sind sie oft ­Familienangelegenheit und über die Jahre zu beachtlicher Größe gewachsen. LIVING sprach mit acht italienischen Möbelclans, die mit ihren Ideen und Designs Geschichte geschrieben haben und weiter schreiben.

25.05.2021 - By Manfred Gram

Manchmal ist es angebracht, harte Fakten gleich am Beginn zu servieren. Mit 29.000 Unter­nehmen und einen Umsatz von 4,9 Milliarden Euro belegt Italiens Design- und Möbelbranche europaweit Platz eins. Geht es um Interior, steht das Siegel »Made in Italy« für höchste Qualität, bestes Design und originelle Innovationen. 

Nicht selten ist in Italien die Herstellung hochwertiger Möbel dabei eine Familienangelegenheit. Vieles wird in traditionellen Manufakturen hergestellt, und einige dieser Manufakturen haben sich über die Jahre zu richtigen Global Playern entwickelt, die sich weiterhin auf die Tradition, die Handwerkskunst und die hohe ­Qualität des italienischen Möbelmachens ­berufen. Das klingt im ersten Moment vielleicht etwas widersprüchlich, ist es aber nicht, denn Industrietechnik und Handwerkskunst schließen sich in Italien nicht aus. Ebenso stehen klassische, traditionelle Formgebung und schräge, experimentelle Optik gleichberechtigt nebeneinander. 

»Italienisches Design ist weltweit für seine Herstellung und seine Qualität bekannt. In Italien schaffen wir originelle Stücke, die ­jahrhundertealtes Wissen und Handwerk zum Ausdruck bringen. Das wird überall als ­Kunstform wahrgenommen«, erklärt etwa Alessandro Minotti, Spross der berühmten Möbeldynastie, seine Sicht auf den italienischen Stil. Und Valerio Mazzei, Gründer und Präsident der Kultmarke Edra, sieht in der Qualität überhaupt das höchste Gut: »Ich mag das Wort Design immer weniger, es wir zu inflationär gebraucht. Es sind Qualität und qualitative Werte, die ein Projekt definieren. Darauf sollte man sich besinnen.«

Ein unschlagbares Argument, warum die Welt italienischer Möbelkunst oft den Vorzug gibt, hat aber auch Matteo Galimberti, dessen Großvater Flexform mitgegründet hat, in ­petto: »Der Wettbewerbsvorteil des italienischen Stils liegt in seiner Ästhetik. Denn Schönheit erzeugt Schönheit.« Gute Gründe für LIVING, acht der bekanntesten italienischen Möbel­dynastien, ihre Geschichte und ihre ästhetischen Zugänge näher vorzustellen und dazu zu befragen.

Edra

Von Anfang an stand bei Edra die Idee im Vordergrund, Dinge anders anzugehen. Für die erste Kollektion, die 1987 bei der Mailänder Möbelmesse vorgestellt wurde, verpflichtete man Designdebütanten. Das sorgte für reges Interesse, großartige Kritiken und brachte den Firmengründern Valerio und Monica Mazzei gleich einmal einen schönen Startvorteil.

Was dann folgte, waren Kooperationen u. a. mit Zaha Hadid, den Brüdern Campana oder Francesco Binfaré. Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte kam so einiges Ikonisches zustande. Auffällig dabei: Man konnte mit unkonventionellen Formen punkten und fungierte als Gegengewicht zum klassischen Minimalismus. Das Firmencredo hat sich dabei nie verändert, wie Edra-Gründer und Präsident Valerio Mazzei wissen lässt: »Wir wollen Sofas und Sessel herstellen, die höchsten Komfort und Schönheit vereinen.« Aktuell leitet die Gründergeneration noch das Unternehmen, aber die Folgegeneration ist bereits gut ins Geschäft involviert. Die Aufgabenverteilung ist innerbetrieblich pragmatisch und praktisch gelöst: »Jeder macht das, was er am besten kann – wie in jedem anderen Unternehmen auch«, so Valerio Mazzei. Nachsatz: »Was für mich wirklich zählt, ist, dass jeder seine Aufgaben und Verpflichtungen mit vollem Einsatz erledigt. Ich verlange viel – das Maximum. Auch von mir.« 

Das funktioniert jedenfalls seit über 30 Jahren mehr als gut. Rund 90 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in den Entstehungs-prozessen involviert, sowie drei zusätzliche italienische Unternehmen, die exklusiv für Edra zuliefern und produzieren. 

Minotti

Wie kaum ein anderes Unternehmen in der Möbelbranche steht Minotti für die perfekte Symbiose aus Kreativität, italienischem Stil und Familie. Dementsprechend wäre eine Story über Italo-Superbrands ohne die Minottis undenkbar. Eine langjährige Zusammenarbeit und Freundschaft verbindet die Brand auch mit LIVING.

Die Gründung der Firma selbst geht ins Jahr 1948 zurück. Damals eröffnete Alberto Minotti direkt am Hauptplatz von Meda eine Werkstatt. »1963 übersiedelte mein Großvater mit seiner Firma an den heutigen Standort, direkt gegenüber unserem Familienwohnsitz«, erzählt ­Alessandro Minotti. Er ist Mitglied der dritten Generation und General Manager des Luxus­labels. Co-CEOs sind nach wie vor sein Vater Renato, der die Finanzen im Auge hat, und sein Onkel Roberto, bei dem die Fäden aller Kreativprozesse zusammenlaufen. Aber es gibt noch mehr Minottis: »Mein Zwillingsbruder Alessio ist in der Produktentwicklung tätig, meine Cousine Susanna ist ebenfalls im Management und kümmert sich unter anderem um unsere Flagship-Stores und das weltweite Verkaufs­netzwerk. Und erst kürzlich ist mein Cousin Leonardo ins Unternehmen eingetreten. Er spielt eine wichtige Rolle in unserer Abteilung für Prototypen.«

Was die Familienmitglieder alle eint, kann man gleichzeitig auch als Erfolgs­rezept durchgehen lassen: »Wir teilen dieselben Werte und haben auch dieselben Visionen. Wir wollen etwas Langlebiges schaffen und mit Kontinuität und Innovation den Wesenskern unseres Unternehmens weiterentwickeln.« Geht’s bei Besprechungen dennoch einmal hoch her? »Unterschiedliche Ideen und Sichtweisen werden im intensiven Dialog diskutiert«, erzählt ­Alessandro Minotti offen und ergänzt: »Das positive Resultat ist, dass man am Ende immer gemeinsame Interessen erkennt und eine gemeinsame Richtung findet.«

Kartell

Die Firmengeschichte von Kartell beginnt 1949, als der Chemieingenieur Giulio Castelli das Unternehmen gründet und seine Frau Anna zur ersten Artdirektorin des jungen Unternehmens macht. Der Clou: Man vertraute in der Produktion von Alltagsgegenständen und Möbeln fast ausschließlich auf Kunststoff und kreierte damit zeitlose Klassiker wie den flexiblen und multifunktional einsetzbaren Container »Componibili«.

»Wir wollen damit Emotionen erzeugen und etwas erreichen, was wir den Kartell-Lifestyle nennen. Unsere Produkte sollen sich jedem Einrichtungsstil anpassen und trotzdem sofort wiedererkennbar sein«, erzählt Lorenza Luti. Die 43-Jährige ist gemeinsam mit ihrem zwei Jahre jüngeren Bruder Federico die dritte Generation, die mittlerweile im Unternehmen arbeitet und für Marketing und Verkauf ­verantwortlich ist. Nach wie vor ist der Vater des Geschwisterduos, Claudio Luti, Präsident von Kartell und steht bereits seit 1988 an der Firmenspitze.

Auf ihn gehen erfolgreiche und viel beachtete Kooperationen mit Designern wie Philippe Starck, Antonio Citterio oder Piero Lissoni zurück, aber auch die Lust, neue Werkstoffe und Materialien zu forcieren. Dabei spielen auch Themen wie Nachhaltigkeit oder innovativer Einsatz von Holz eine Rolle. »Aber erst wenn wir sicher sind, dass ein neuer Entwurf serienreif ist und den hohen Ansprüchen von Kartell genügt, launchen wir ihn am Markt«, so Lorenza Luti, die es als besonders große Ehre ansieht, Teil eines Familienunternehmens wie Kartell zu sein. »Auch wenn es hohen Einsatz verlangt, dass sich Berufliches und Privates zwangsläufig überlappt«, wie sie zusammenfasst.

Flexform

Die Geschichte von Flexform beginnt 1959, als die drei Brüder Romeo, Pietro und Agostino Galimberti in Brianza, der italienischen Möbelregion schlechthin, eine Werkstatt eröffneten. Ziel der Übung: Hoch­qualitative Produkte herstellen – und zwar mit dem Besten, was Italien in Sachen Rohstoffe zu bieten hat. 

Die Idee ging auf, auch weil man in den 1970er-Jahren den Schritt wagte, mit Kreativen und Architekten aus der italienischen Designszene wie Joe Colombo, Asnago Vender, Cini Boeri oder Antonio Citterio zusammenzuarbeiten. Heute steht die Marke für diskrete, ­italienische Eleganz und eine klare, unverschnörkelte ­Formensprache, die ebenso modern wie zeitlos ist. »Gutes Design ist stets ehrlich und dafür gemacht, lange zu halten. Es ist dafür da, den Alltag zu verbessern«, wird Matteo ­Galimberti deutlich. Er gehört zur dritten Generation, die mittlerweile das Familienunternehmen mit ­seinen 150 Mitarbeitern leitet. »Wir sind vier Cousins, und jeder hat seinen eigenen Zuständigkeitsbereich. Gemeinsam mit unseren Vätern sind wir auch im Vorstand von ­Flexform.« 

Bei derart viel Familie drängt sich natürlich die Frage auf, wie man mit etwaigen Konflikten und Meinungsverschiedenheiten umgeht. »Uns ist allen bewusst, dass wir nur im Team stark sind. Wir sind keine Einzelgänger, sondern haben als Gruppe immer das Beste für das Unternehmen im Blick. Natürlich passiert es öfters, dass man nicht einer Meinung ist. Dann wird diskutiert. Üblicherweise schläft man dann drüber und kommt zu einer Einigung.«

Gufram

Die Firmengeschichte des piemontesischen Labels Gufram entspricht ungefähr den Produkten, die seit 1966 auf Designfans losgelassen werden: versponnen und leicht verworren. Gegründet wurde das Unternehmen, das wie kaum ein anderes für das italienische Radical Design der 1960er-Jahre steht, nämlich als eine Art Experimentierlabor der Möbelmanufaktur Fratelli Gugliermetto. Hier tobten sich Designer mit Schaumstoff, Gummi und Plastik aus und irritierten mit ihren avantgardistischen Entwürfen. Dabei entstand Ikonisches wie das Lippensofa »Bocca« oder der Kleiderständer »Cactus«.

Pflichtinventar für Designmuseen dieser Welt. In den Nullerjahren wurde das Unternehmen an die Poltrona-Frau-Gruppe verkauft, bis es vor zehn Jahren die Unternehmerin Sandra Vezza erwarb, um die Marke gemeinsam mit ihrem Sohn Charley zu revitalisieren. Der leitet mittlerweile auch das Kult­label. »Aktuell sind wir 15 Personen, wie in einer großen Familie. Ich will auch nicht ein Unternehmen führen, bei dem ich meine Mit­arbeiter nicht mehr kenne«, scherzt Charley ­Vezza, der seine Chefrolle bei Gufram als »­Global Creative Orchestrator« definiert. Geschickt wird im Neofamilienunternehmen übrigens mit der Marken-DNA umgegangen. »Wir arbeiten mit Designern und Studios zusammen, die für zeitgenössisches Radical Design stehen«, erklärt der 34-Jährige. En passant erwähnt er Namen wie Studio Job, Snarkitecture, Fabio Novembre und Künstler wie Maurizio Cattelan oder Pierpaolo Ferrari. Designfans haben ­Gufram also wieder am Radar. 

Rimadesio

Das norditalienische Unternehmen ­Rimadesio ist seit Jahrzehnten ein wichtiger Player auf High-End-Niveau, wenn es um modulare Einrichtungssysteme geht. Ob Bücherregale, Schiebetüranlagen, Zimmertüren, Schrank- oder Ankleidesys­teme – nicht selten sind die Lösungen, die hier geboten werden, bei Kunden erste Wahl. Die Grundpfeiler des Erfolgs fasst Davide Malberti, CEO bei Rimadesio, so zusammen: »Techno­logische Innovationen, konsequente Forschung im Bereich Design, starkes Bewusstsein für Umwelt und Nachhaltigkeit und ein verlässlicher Kundenservice.« Sein Vater Francesco Malberti hat das Unternehmen 1956 gemeinsam mit Luigi Riboldi gegründet. In den 1980er-Jahren nahmen dann Davide und sein Bruder Luigi die Firmengeschicke in die Hand und formten aus Rimadesio einen internationalen Betrieb, der mittlerweile mehr als 250 Mitarbeiter zählt.

Zum Unternehmen, das 2020 einen Umsatz von 57 Millionen Euro erzielte, zählen zudem auch noch 55 Flagship-Stores, die auf der ganzen Welt verstreut sind. »Innerhalb der EU sind Deutschland und Österreich die am schnellsten wachsenden Märkte«, erzählt Davide Malberti. »Mit Luigis Sohn Giulio und meiner Tochter Francesca ist auch schon die nächste Genera­tion mit an Board«, unterstreicht er noch einmal die enge familiäre Verknüpfung. Für ihn übrigens eine typisch italienische Angelegenheit: »Familienunternehmen spiegeln die kulturelle Orientierung der italienischen Geschäftswelt wider, vor allem am Feld der Designermöbel. Man ist unentwegt gefordert, ein Gleichgewicht zwischen strategischem Denken, ökonomischen Interessen und Familienbanden zu finden.« 

Selett

Ganz einfach macht es Seletti einem nicht. Irgendwo zwischen Klassik und Moderne, Kunst und Design ist der kreative Output des Italo-Labels zu verorten. Und der ist gleichermaßen fordernd wie provokant. Aber noch viel wichtiger – die Seletti’sche Produktpalette aus Möbeln, Leuchten und Wohnaccessoires ist unverkennbar und niemals langweilig. Und zwar seit Romano Seletti 1964 das Unternehmen gegründet hat. Das Firmencredo »(R)evolution is the only ­solution« hat er an seine Kinder weitergeben. ­Stefano arbeitet als Artdirector im Unternehmen, seine Schwester Miria verantwortet den Verwaltungs- und Rechtsbereich des Unter­nehmens, das mit 30 Mitarbeitern gut ­überscha­ubar ist. Dependancen gibt’s übrigens in New York und China, Flagship-Stores in London und Amsterdam.

»Ich betreue den Kreativprozess, bin aber kein Designer. Daher arbeiten wir mit zahlreichen unterschiedlichen Kreativköpfen zusammen, die nicht ausschließlich aus der Designwelt kommen müssen«, präzisiert Stefano Seletti. »Ich sehe nämlich Seletti nicht als Designunternehmen im engeren Sinn. Daher bedeutet gutes Design für uns, Objekte herzustellen, die Leichtigkeit und Spaß verkörpern und ein Gespräch in Gang bringen – sogar zwischen Fremden.« Diplomatisch zeigt sich Stefano Seletti auch, wenn man ihn fragt, ob er ein Lieblingsstück im Sortiment hat. »Es ist immer das, was gerade neu herausgekommen ist. Und ich schätze natürlich alle,
die sich sehr gut verkaufen.« 

Poliform

Die Geschichte von Poliform beginnt eigentlich 1942. Und zwar als kleiner Handwerksbetrieb mit dem klingenden Namen Spinelli Anzani in der Lombardei. Richtig Fahrt nimmt aber alles erst 1970 auf, als Giovanni Anzani mit seinen Cousins, dem Brüderpaar Alberto und Aldo Spinelli, den Betrieb übernimmt und in Poliform umbenennt. »­Damals hieß es bloß: Schauen wir uns doch an, wie sie alles zerstören«, erinnert sich Giovanni ­Anzani an die Anfangsphase mit Poliform und ergänzt amüsiert: »Wir waren alle Anfang 20, und meine Eltern mussten mich am Jugend­gerichtshof für volljährig erklären lassen, weil ich noch nicht im geschäftsfähigen Alter war.« 

In den letzten 50 Jahren hat sich allerdings einiges getan. Man arbeitet mit gefragten Designern und Architekten zusammen: »Partnerschaften mit Kreativkalibern wie Jean-Marie Massaud, Marcel Wanders, Emmanuel Gallina oder Soo Chan sind eines der fundamentalen Elemente, die Poliform wachsen und seinen Platz in der Möbelbranche finden ließen«, so Anzani. Aus dem kleinen Handwerksbetrieb wurde ein Global Player in der Möbelbranche mit aktuell rund 700 Mitarbeitern, der 2019 einen Jahresumsatz von rund 213 Millionen Euro erwirtschaftete. Ein Erfolgsrezept: »Entscheidungen werden ­immer einstimmig getroffen«, so Anzani. Aber ebenso wichtig: Die nächste Generation ist ­bereits bei Poliform involviert. Die Kinder der Gründer, es sind deren acht, haben alle kleinere und größere Aufgaben im Unternehmen übernommen. Da drängt sich an den Grandseigneur die Frage auf, was denn ein erfolgreiches Family-Business ausmacht. »Man muss sein Leben, seine Leidenschaften und seine Bestrebungen immer auch als Teil des Familienunternehmens sehen.«  

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 04/2021

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