© Walaa Alshaer

Sinn und Sinnlichkeit: Frauenpower in der Design-Welt

Skulpturen aus Licht, Sofas, die an Wolken erinnern, oder ein Kaktus, der Lärm schluckt. Zeitgenössische Designerinnen finden überraschende Lösungen für profane Alltagsgegenstände. Und erweitern dabei die Grenzen dessen, was Design alles sein kann.

08.02.2024 - By Karin Cerny

Header-Bild: Meisterin des Lichts Die Niederländerin Sabine Marcelis neben ihrer Spiegel-Installation vor den ägyptischen Pyramiden.

Sabine Marcelis lebt in Rotterdam, sie wurde mit ihren kühnen Entwürfen aus Glas, Licht und Harz berühmt. Eine Kooperation mit Ikea im Vorjahr machte sie auch einem breiten Publikum bekannt. Sie arbeitet gern mit reflektierenden Ober­flächen und Spiegeln, ihre minimalistischen Objekte werden auch im Kunstkontext geschätzt.

Die Berliner Designerin Hanne Willmann beschreibt ein Dilemma, das viele Kolleginnen kennen: Es freut sie zwar, wenn Entwürfe von Frauen gefeiert werden, aber gleichzeitig möchte sie, dass ihre kreative Arbeit unabhängig von ihrem Geschlecht besprochen wird. Dem »AD Magazin«, das sie zu den 100 wichtigsten Kreativen 2024 kürte, vertraute sie an: »Viele Frauen neigen dazu, sich eher zu unterschätzen. Im Produktdesign aber muss man sich manchmal überschätzen – damit überhaupt jemand an dich glaubt.«

NEUES SELBSTBEWUSSTSEIN

Historisch betrachtet haben Frauen schon immer maßgeblich zur Designgeschichte beigetragen, aber sie wurden lange bloß als Zulieferer für geniale Männer gelistet. Viele wichtige Gestalterinnen gingen als Teamplayer in die Geschichte ein, entwarfen mit ihren berühmten Designer-Männern. Von Ray Eames bis Aino Aalto: Man arbeitete gemeinsam an Projekten, und irgendwann ließ sich nur mehr schwer trennen, welcher Input von wem kam. Mittlerweile ist gerade im Design ein neues Selbstbewusstsein zu beobachten. Federführende Player sind längst weiblich: von der ästhetisch vielfältigen spanischen Architektin und Designerin Patricia Urquiola bis zur niederländischen Künstlerin Sabine Marcelis, die durch ihre kühnen Entwürfe aus Glas, Licht und Harz beeindruckt. Eine Kooperation mit Ikea brachte ihre hippen Designobjekte einem breiten Publikum nahe. Wie sehr Kunst und Design bei ihr zusammenhängen, bewies sie mit der Installation eines rot schimmernden Turms vor den ägyptischen Pyramiden, der das Licht der Sonne reflektierte. Aber auch Hanne Willmann ist mit ihrer klaren, reduzierten Formensprache längst so etwas wie das Gesicht der deutschen Möbel­industrie. Sie hat Vasen aus Beton entworfen und Sofas, die so bequem sind, dass man sich wie in einer Wolke fühlt. Die haptische Qualität ist ihr wichtig: »Sinn und Sinnlichkeit« nennt sie ihre Standbeine. Hinzu kommen ein offener Geist und eine starke Hingabe an das Handwerk. Das Körpergefühl ist wichtig, wenn man die Gegenstände verwendet. Nicht allein die Funktion zählt. Durch gutes Design soll man sich auch emotional angesprochen fühlen.

Kuschelkurs Die Sofa-Kollektion »Nana« von Hanne Willmann ist weich wie eine Wolke.

© beigestellt

Hanne Willmann wirkt in Berlin und steht für eine klare, reduzierte Formensprache. Ihr sind haptische Qualität und hochwertiges Handwerk wichtig. Durch gutes Design soll man sich auch emotional angesprochen fühlen. Ihre wolkenartigen Stühle sind formschön und maximal bequem.

© Alicia Kassebohm

Cristina Celestino hat ihr Studio in Mailand. Sie läuft bewusst keinen Trends hinterher, ihre Marke Attico Design, die sie 2011 gründete, setzt auf zeitlose Qualitätsstücke. Sie kombiniert historische und aktuelle Formen neu. Ihre Sofas sind Module, die sich ständig verändern lassen. Sie entwirft aber auch Vasen und Fliesen.

© Claudia Zalla

Faible für die Natur

Auch die Mailänder Designerin Cristina Celestino, 1980 in Pordenone geboren, ist eine Meisterin der klaren Formen. Inspiration holt sie sich aus der Natur – sie wäre eigentlich gern Floristin geworden. Celestino läuft bewusst keinen Trends hinterher. Ihrer Marke Attico Design, die sie 2011 gründete, merkt man an, dass sie eine begeisterte Sammlerin von italienischen Design-Klassikern ist, dass sie historische und zeitgemäße Formen neu und überraschend kombiniert. Auch ihr ist die Haptik wichtig, die sinnliche Qualität eines Objekts, das sorgfältige Erforschen von Materialien und Formen – weniger der schnelle Effekt. Viele Designerinnen lassen die engen Grenzen des Produktdesigns hinter sich. Ist es Kunst, Mode oder Design? Das lässt sich auch bei der Schwedin Alfhild Külper nicht klar unterscheiden. Die Absolventin der renommierten Central Saint Martins University of the Arts in London war zehn Jahre lang Designchefin des avantgardistischen Modehauses Viktor & Rolf. Jetzt entwirft sie großformatige Wollteppiche für die Wand. Külper sagt, sie möchte die weichen Stellen in unseren Köpfen physisch darstellen. Sie sieht ihre Objekte als Gegenstück zu unserem digitalen Leben, sie sollen kuschelige und sichere Räume schaffen in Zeiten der Unsicherheit. Insofern sind sie auch soziale Skulpturen.

Organische Formen Die Mailänder Designerin Cristina Celestino holt sich ihre Inspiration aus der Natur.

© beigestellt

Puzzle-Stücke Das »Quinti«-Sofasystem von Cristina Celestino lässt sich individuell zusammensetzen.

© beigestellt

Alfhild Külper kommt aus Schweden, lebt und arbeitet in Amsterdam. Ursprünglich kommt sie aus der Modebranche und hat lange als Designchefin für das Avantgarde-Label Viktor & Rolf gearbeitet. Ihre Wandteppiche und Möbel sind von der nordischen
Mythologie beeinflusst, sie wuchern organisch wie Moos und sollen eine heimelige Atmosphäre schaffen.

© Arnout Hulskamp

Soziale Plastik Die Wandteppiche der Schwedin Alfhild Külper wollen Gemeinschaftsgefühle zelebrieren.

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Marie Aigner ist eine in München lebende Architektin und Designerin, die mit knallbunten, ironischen Entwürfen berühmt wurde. Ihre Möbelstücke sind ein gutes Beispiel für den aktuellen Dopamin-Trend, aber zugleich haben sie auch eine sehr praktische Funktion: Sie wurden aus Materialen hergestellt, die Lärm absorbieren.

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Merve Kahraman lebt in Istanbul und London. Ähnlich wie das gerade wieder gefeierte Memphis Design sind ihre Entwürfe knallbunt, verspielt und höchst originell: von einer Stehlampe mit barocker Halskrause bis zu einem Tisch in Wolkenform. Ihre Wohn­objekte sollen Spaß machen, die Besitzer:innen sollen persönliche Beziehungen zu ihnen aufbauen.

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In der Ruhezone Die Möbelstücke von Marie Aigner bestehen aus Schallabsorbern, die Nebengeräusche schlucken.

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Dopamin-Power Merve Kahraman sorgt für gute Laune mit ihrem farbenfrohen Design.

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Ein stiller Kaktus

Was verbindet die Entwürfe von jungen Designerinnen? Wahrscheinlich ist das die falsche Frage. Man wirft kreative Männer ja auch nicht in einen Topf. Gleichzeitig beobachtet man gerade bei Newcomerinnen eine große Experimentierfreude. Sie versuchen kreative Antworten auf alltägliche Anforderungen zu finden. Das beste Beispiel dafür ist die, in München lebende, Architektin und Designerin Marie Aigner, die mit farbenfrohen Entwürfen berühmt wurde, die nicht nur gute Laune machen, sondern vor allem auch den Schall dämpfen. Ein riesiger gelber Kaktus sorgt für ein ruhiges Raumklima. Ein Daybed nennt sich »Very Last Supper« und besteht aus hochwirksamen Schallabsorbern, die jedes Nebengeräusch verschlucken. »Knock out Acoustics« nennen sich ihre stylischen Anti-Lärm-Skulpturen. Eine Nachwuchsdesignerin der Stunde ist auch Merve Kahraman. Sie hat eine Stehlampe mit barocker Halskrause erfunden und Sitzmöbel, die an eine Krone erinnern. Einen Tisch, dessen Platte die Form einer Wolke hat – oder ein Auge in der Mitte, um den bösen Blick zu bannen. Ihr »Hasa Rug« ist ein Teppich, der wie ein Terrazzo-Steinboden aussieht. Die in Istanbul und New York lebende Designerin passt ideal in den aktuellen Dopamin-Trend, der Farbe und Ironie in unser Zuhause zaubert: Memphis Design trifft auf Kindergeburtstag, höchste Produktqualität auf Augenzwinkern. Auch Entwürfe aus afrikanischen Ländern bringen eine neue Formensprache in die oft festgefahrenen Traditionen. Eine spannende Newcomerin ist dabei die britisch-nigerianische Designerin Mimi Shodeinde, deren Möbel sowohl an afrikanische Skulpturen als auch an brutalistische Gebäude erinnern. Meist sind es geschwungene Formen, die sie faszinieren. Sie liebt die große Geste, entwirft im XXL-Format. Eigentlich wollte sie Zahnärztin werden. Jetzt macht sie Tiefenbohrungen in Sachen Design, die ihre nigerianischen Wurzeln ebenso erfassen wie ihre Liebe zur westlichen Architektur. Komplex, kreativ, innovativ: typisch weiblich.

Mimi Shodeinde ist eine gefeierte Newcomerin mit britisch-nigerianischen Wurzeln. Ihre Objekte sind im XXL-Format und meist geschwungen. Zugleich nehmen sie Anleihen bei nigeria­nischer Kunst, wirken wie Skulpturen, die perfekt zu brutalistischer Architektur passen. Dunkel gebeiztes Holz fasziniert sie, aber auch Stahl und Marmor.

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Wuchtige Geste Die Kollektion »Borris« von Mimi Shodeinde versucht Bewegung einzufangen.

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Erschienen in:

Falstaff LIVING 01/2024

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