Sofa Surfen: Geschichte und Designklassiker des liebsten Möbelstücks
Für nicht wenige Menschen ist das Sofa der Lebensmittelpunkt in den eigenen vier Wänden. Aber woher kommt das Möbelstück eigentlich? Wo hat es seine Wurzeln, wie hat es sich im Laufe der Zeit verändert und was sagt sein heutiger Status über unsere Gesellschaft aus? Eine Spurensuche zwischen Sitzen und Chillen.
26.10.2023 - By Manfred Gram
Header Bilder: Von very british.. (li.) Das Chesterfield-Sofa geht auf den 4. Earl von Chesterfield, Philip Dormer Stanhope zurück, der Ende des 18. Jahrhunderts ein Sofa mit aufrechtem Sitz und größter Bequemlichkeit in Auftrag gab. Das charakteristische Rautenmuster hat sich bis heute erhalten.
.. zur Plastik-Revolution (re.) Im Jahr 2000 launchte Kartell das »Bubble Club Sofa«. Philippe Starck hat es entworfen. Der Witz: Es folgt in Form und Linienführung ikonischen Sofas, stellte aber dennoch die Couch-Welt auf den Kopf, denn es ist leicht, robust, verhältnismäßig günstig, schnell zu produzieren und muss nicht unbedingt im Wohnzimmer stehen.
Der Mensch neigt zum Vermenschlichen. Die Wissenschaft bezeichnet dieses Phänomen als Anthropomorphismus, und das hat durchaus etwas Tröstliches. Man kann Tiere, aber auch leblosen Objekten des Alltags menschliche Charaktereigenschaftenin die Schuhe schieben. Dann sieht man zum Beispiel in einem Sofa, das seit Ewigkeiten verlässlich zu Hause steht, so etwas wie einen treuen, alten Freund. Ein Freund, der seine Arme nach einem austreckt und liebevoll dazu auffordert, eine gemütliche und gute Zeit mit ihm zu verbringen. Könnte dieser Freund dann auch noch reden, er hätte einiges zu erzählen. Zum Beispiel, dass seine Ahnenreihe bis in die Antike zurückreicht. Damals einem Liegebett noch sehr ähnlich, lungerte die alte Verwandtschaft unserers Sofas etwa in Speisesälen herum, weil auf ihnen gegessen wurde. Vielleicht würde der gute Freund auch erzählen, dass sich sein Name vom arabischen Wort »suffa« ableitet, das eine mit Polstern und Decken bequem gemachte Bank beschrieb. Dummerweise redet aber ein Sofa nicht mit einem, da kann man noch so viel anthropomorphisieren.
»Das Sofa sollte so in der Wohnung platziert werden, dass es zum Lebensstil passt. Am Ende könnte ein Sofa überall stehen. Im Badezimmer? Warum nicht! Wenn Sie ein großes Bad mit genügend Platz haben, herzlichen Glückwunsch!«
Paola Navone Designerin
Prestigeobjekt
Glücklicherweise gibt es aber auskunftsfreudige Expert:innen, die man zu den Ursprüngen des Sofas, so wie wir es heute kennen, befragen kann. Eva Ottillinger zum Beispiel, die im Wirtschaftsministerium als stellvertretende Sammlungsleiterin zuständig für das Möbelmuseum Wien ist. »Sofas haben sich in der frühen Neuzeit aus der hölzernen Sitzbank entwickelt«, so die Möbelexpertin. »Die Sitzbank ist ein Sitzmöbel für mehrere Personen mit Rückenlehne und Armlehnen. Dieser Möbeltyp erhielt eine Polsterung und wurde so zum Sofa oder Kanapee.« Eine Idee, auf die gleich mehrere Leute unabhängig voneinander kamen, wie die Möbelhistorikerin erklärt. »Diese Entwicklung hat sich in Europa an mehreren Orten gleichzeitig vollzogen.« Die Resultate schauten freilich überall ein wenig anders aus, aber was sie alle einte, war ihr Wesenskern als absolutes Prestigeobjekt und Luxusprodukt, das zunächst nur in Königs- und Adelshäusern zu finden war. Im 19. Jahrhundert eroberten dann die Sofas, die zur Sitzgarnitur – also zu einer Gruppe gleichartig gestalteter Sitzmöbel – ausgewachsen waren, auch die Repräsentationsräume des aufstrebenden Bürgertums. »Im Biedermeier und in der Ringstraßenzeit fanden sich solche Garnituren sowohl bei Hofe wie auch im gutbürgerlichen Ambiente. Sie folgten in ihrer Gestaltung der Stilentwicklung vom Rokoko über das Biedermeier bis zum Historismus«, bringt Ottillinger ein wenig Licht ins Design-Dunkel.
»Es gibt bereits so viele gute Sofas. Man kann in diesem Bereich nur sehr schwer innovativ sein und es braucht schon einen guten Grund, um ein weiteres zu entwerfen. Das erhöht den Druck bei der Suche nach einem Objekt, das etwas Neues darstellt.«
Hella Jongerius Designerin
Sitzgarnitur ade
Letztlich landete das Sofa auch in den Wohnräumen des Kleinbürgertums und wurde zum Symbol von Biederkeit. »Durch die Reform-bewegungen des 20. Jahrhunderts wurde die gutbürgerliche Sitzgarnitur kritisch hinterfragt«, so Ottillinger. Das war auch dringend nötig, wenn man sich ein typisches 1950er-Jahre-Wohnzimmer-Setting vor das Auge führt. Ein gemütlicher Sessel war üblicherweise einem Zigarren rauchenden und Zeitung lesenden Mann vorbehalten, die Dame des Hauses saß auf der gepolsterten Bank und zwar gesittet mit geradem Rücken und den Händen am Schoß, da Arm- und Rückenlehne diese Position forcierten. In der Zwischen- und vor allem der Nachkriegszeit veränderte sich die Gesellschaft – und mit ihr auch Sofa und Couch. »In kleinen Sozialwohnungen wurde das Sofa zum Klappbett, auf dem man tagsüber sitzen und nachts schlafen konnte, in entsprechend großen Wohnungen oder Häusern hat die Wohnlandschaft die traditionelle Sitzgarnitur abgelöst«, analysiert Möbelhistorikerin Ottillinger.
»In erster Linie muss ein Sofa gemütlich sein. Die verwendeten Materialen sollten dabei aber nicht nur hohe Komfortansprüche erfüllen, sondern auch haltbar, langlebig, reparierbar und nachhaltig sein.«
Stefan Diez, Designer
Von der Wohn- zur Loungelandschaft
Und heute? Die Wohnlandschaft entwickelte sich zur Lounge-Landschaft weiter, die nicht selten die Grenzen zwischen Liegen und Sitzen, Sofa, Bett und, ja, auch Arbeitsplatz verschwimmen lässt. Die strikte Sitzordnung der biederen Nachkriegsjahre hat sich irgendwo zwischen Vintage-Lust, Scandi-Chic und Multifunktionalitätsanspruch aufgelöst. »Ich beziehe mittlerweile ins Design mit ein, dass Menschen theoretisch den ganzen Tag darauf sitzen werden – beim Zeitunglesen am Morgen, während des Arbeitens und beim Fernsehen am Abend«, gab die Grande Dame des italienischen Designs, Paola Navone, einmal im »Zeit-Magazin« zu Protokoll. Und das international erfolgreiche Wiener Designer-Trio EOOS stellt gar fest: »Das Sofa hat wieder mehr Bedeutung im Alltag erfahren«, und ergänzt: »Dabei ist die räumliche Komponente der kleinste gemeinsame Nenner. Jedes Sofa spannt einen Raum auf und definiert ihn.« Die drei EOOS-Designer sind Vollprofis am Sofa-Sektor und haben im Laufe ihrer Karriere unzählige davon entworfen. Wie viele genau, wissen sie gar nicht mehr, aber: »Wir haben in unserem Atelier eigentlich immer ein Sofa in Arbeit.« Deutlicher wird die Design-Troika, wenn man danach fragt, was ein gutes Sofa heute eigentlich können muss? »Für einen guten Entwurf muss man Proportion, Ergonomie, Herstellung, Materialreduktion, Lebensgefühl, Produktionskosten, Deklinierbarkeit, Kreislauffähigkeit, visuelle Signifikanz und Eigenständigkeit berücksichtigen. Wir nennen das die 360-Grad-Betrachtung – und das betrifft eigentlich alles, was wir entwerfen.« Die Gretchenfrage, wie Sofas eigentlich sein sollen, lässt sich aber auch mit einem Drall ins Anthropomorphe beantworten, wie Star-Designerin Hella Jongerius zeigt: »Ein Sofa ist ja sehr präsent, wenn man ein Zuhause betritt. Es sollte daher nicht aufdringlich wirken und doch eine klare Handschrift haben. Grundsätzlich gilt für mich als Designerin: Ein Sofa ist ein wirklich kompliziertes Wesen.«
»Es ist ein sehr großer Unterschied, für wen wir ein Sofa entwerfen. Die Firmen, für die wir designen, sind für uns wie einzelne Länder mit unterschiedlichen Kulturen – man spricht überall eine andere Sprache.«
EOOS Designer-Trio