© Johannes Kernmayer

Wie klingt ein guter Raum?

Räume kann man nicht nur sehen, tasten und riechen, man kann sie vor allem auch hören. Eine gute, hochwertige Akustikplanung sorgt dafür, dass man sich an einem Ort wohlfühlt. Was genau dabei zu beachten ist, darüber sprechen Architektin Irmgard Frank, Akustiker Thomas Mayer und Elena Yaneva, die sich auf die Produktion von Akustikpaneelen spezialisiert hat.   

07.03.2024 - By Wojciech Czaja

Titelbild: (v.l.n.r) Ein Treffen im Impact Hub Vienna: Architektin Irmgard Frank, die bereits einige Restaurants geplant hat, Akustiker und Musiker Thomas Mayer und Elena Yaneva, Gründerin des Start-ups Hempstatic, im Gespräch über den guten Ton. 

LIVING Haben Sie einen Lieblingsklang? 

Irmgard Frank: Ich muss an den klassischen Om-Ton denken, der entsteht, wenn man summt. 

Thomas Mayer: 136 Hertz! 

Frank: Oh danke, so schnell, und schon habe ich wieder etwas gelernt. Als ich in der Therme Vals von Peter Zumthor war, habe ich in einem der Grottenräume einfach nur Om gemacht. Was für eine innere Beruhigung. Herrlich! 

Elena Yaneva: Bei Lieblingsklang muss ich unweigerlich an Klangtherapie denken. Das ist immer eine Kombination aus mehreren, harmonischen aufeinander abgestimmten Tönen, die ineinanderfließen. 

Mayer: Ganz ehrlich? Mein Lieblingsklang ist die Pause. Pause ist genauso wichtig wie Nichtpause.

Wie wichtig ist Ihnen eine gute akustische Atmosphäre im Alltag? 

Frank: Ich mag die Lautstärke der Stadt, dieses Wuseln und Grundrauschen im urbanen Raum. Oder auch in einer Hotellobby, wenn da eine Art gesellschaftlicher Klangteppich entsteht. Lobbys, in denen es mucksmäuschenstill ist, hingegen finde ich beklemmend. 

Yaneva: Die städtischen White Noises können wirklich sehr schön sein, da stimme ich Ihnen zu. Auch in unserer Werkstatt in Spillern gibt es einen schönen Grundgeräuschpegel. Zuhause aber mag ich die Stille. Ich bin sogar so penibel darauf bedacht, dass ich beim Musikhören auf die Wahl der richtigen Lautsprecher und Kopfhörer achte. 

Mayer: Ich habe zwei Geräuschprobleme, die mich ehrlich gesagt wahnsinnig machen, und zwar erstens Essgeräusche wie etwa Schmatzen, aber auch das Hineinbeißen in einen Apfel, da bin ich wahrscheinlich etwas eigen, und zweitens das Knacken und Rauschen eines Radiosenders. Das macht mich ganz unrund. 

Yaneva: Ich habe auch solche Geräuschsituationen, die mich wahnsinnig machen! 

Und zwar? 

Yaneva: Ein quietschender Stift auf Papier.  

Frank: Hintergrundzwangsbeschallung im Lift, im Supermarkt, im Shoppingcenter. Das nervt wirklich. 

Wenn wir in die Geschichte zurückblicken: Wie haben Räume früher geklungen? 

Frank: Klang, Schall, Geräusche sind natürlich viel schwieriger zu rekonstruieren als etwa die visuelle Geschichte der Stadt. Aber wenn wir mal an das Marktgeschrei, an die innerstädtischen Handwerksbetriebe und an das Klackern der Pferdefuhrwerke auf Kopfsteinpflaster denken, dann können wir mit einer gewissen Sicherheit sagen, dass die Stadt früher eine laute gewesen sein muss. 

Mayer: Ich kann mir auch vorstellen, dass man früher toleranter und weniger geräuschempfindlich war als heute. Die mitteleuropäische und angloamerikanische Stadt ist rechtlich sehr reglementiert. Im Wohnen und Arbeiten dürfen gewisse Dezibel-Werte nicht überschritten werden. 

Und wie war das früher in Innenräumen? 

Mayer: Die Wohnungen selbst dürften eine ähnliche Akustik gehabt haben wie heute. Anders in Kirchen, Bahnhöfen und imperialen, Macht demonstrierenden Bauten wie etwa Schlössern und Palästen: Da wurde ein gewisser Nachhall immer schon bewusst eingesetzt. 

Seit wann setzen wir Akustik als Gestaltungsmittel aktiv ein? 

Mayer: Eigentlich immer schon. Halt jeweils mit den gerade wissenschaftlich zur Verfügung stehenden Mitteln. 

Dann muss ich präziser fragen: Seit wann gibt es Akustikplanung und Akustikberechnung im heutigen Sinne? 

Mayer: Einer der ersten, der sich damit befasst hat, war der US-amerikanische Physiker Wallace Clement Sabine. 

Frank: Ah, schon gehört! Architekturstudium Bauphysik, auch schon lange her. 

Yaneva: Ich kann mich erinnern, wie ich in meinem Bauingenieur-Studium noch die Sabine-Formel lernen musste. 

Mayer: Zwischen 1910 und 1915 entwickelte er die Grundlagen der Raumakustik. Dazu zählen beispielsweise Kenngrößen für Nachhallzeit, Schallabsorption und Schalltransmission. Er hat ein eigenes Akustiklabor in Illinois gegründet und hat sogar die Akustik für die Boston Symphony Hall berechnet. Im Laufe der Zeit wurde das Thema immer weiter erforscht. Mein ältestes Buch zu diesem Thema stammt aus dem Jahr 1948, ein Fachbuch von Lothar Cremer. Eine wunderbare Lektüre für alle Nerds! 

Welche architektonischen, materiellen, technischen und hochtechnologischen Möglichkeiten gibt es, um Akustik in den Griff zu kriegen? 

Frank: Einer der wichtigsten Parameter ist die Form. Und wenn ich mir historische Gebäude anschaue, so habe ich den Eindruck, dass man Akustik früher nicht so gut und so präzise berechnen konnte wie heute – doch das Grundgespür für Akustik, für die Geometrie eines wohlklingenden Raumes war früher meines Erachtens besser und weitaus elaborierter als heute. Man denke nur an die alten Amphitheater in der griechischen Antike. Die Akustik in diesen Arenen ist einfach perfekt! 

Mayer: Die Form eines Raumes ist auch für uns Akustiker ein wichtiger Parameter. Grundsätzlich kann man sagen: Je größer das Raumvolumen und je mehr reflektierende Oberflächen, desto länger ist der Nachhall. 

Das heißt, ein Rundraum mit Kuppel ist das Schlimmste, was es gibt? 

Mayer: Ja, Gewölbe können zu unangenehmen Schallreflexionen führen. Große Räume mit wenig Absorptionsflächen haben lange Nachhallzeiten und sind akustisch gesehen am schlechtesten – es sei denn, der lange Nachhall ist gewollt. 

Frank: Das hat natürlich auch große Auswirkungen auf die Architektur. Gerade in einer schlichten, minimalistischen Architektur mit glatten Wänden, wenig Mobiliar und harten Oberflächen wie etwa Stein- oder Betonboden muss man umso mehr auf eine gute Akustik achten! Für uns Architektinnen ist das eine große Herausforderung. 

Mayer: Dem kann ich mich nur anschließen. Deshalb ist es ratsam, schon während der Planungsphase eines Projekts die Raumakustik zu berücksichtigen und gemeinsam mit dem Architekten passende Lösungen zu erarbeiten.

Yaneva: Wichtig ist außerdem die Oberfläche – und zwar sowohl in geometrischer als auch materieller Hinsicht. Wenn man die Akustik optimieren möchte, dann muss man die Oberfläche vergrößern – entweder in der Geometrie des Raumes, mit Nischen, Vor- und Rückspringen und möglichst vielen, nicht parallelen Ecken und Kanten, oder aber in der Oberfläche des Materials selbst, beispielsweise mit weichen, offenen, porösen Baustoffen, die die Schallwellen möglichst gut absorbieren und möglichst wenig reflektieren. Genau darauf bauen wir mit unserem Produkt Hempstatic auf. 

Frank: Wichtig ist natürlich auch, wie die Baustoffe montiert und angebracht sind: Ein schwingender Parkettboden, eine schwingende Vorsatzschale, eine weiche Schilfdecke in einem gründerzeitlichen Wohnhaus wirken sich auf die Raumakustik sehr positiv aus. Harte Betonwände und direkt auf Estrich verklebter Parkettboden, wie dies meist im Neubau zu finden ist, sind da weitaus unangenehmer. 

Ob Wohnbau, Büro, Schule, Museum, Theater, Restaurant oder Krankenhaus: Seit wann gibt es denn akustische Richtlinien für die unterschiedlichen Bautypologien, in denen wir uns bewegen? 

Mayer: Es gibt die Bauordnung, die Normen und viele andere Regelwerke wie etwa die OIB-Richtlinien, in denen Kenngrößen und Grenzwerte ganz genau festgehalten sind. Leider wissen das nicht alle, denn Akustik fristet immer noch ein Schattendasein in der Architektur. Die Sensibilität darauf lässt zu wünschen übrig. 

Yaneva: Ich habe das Gefühl, dass sich in den letzten Jahren schon viel getan hat auf diesem Gebiet! Ich beobachte, dass sich immer mehr Architekt:innen und Auftraggeber:innen dafür interessieren und auch verstanden haben, dass eine gute Akustik ein sehr wesentlicher Wohlfühlfaktor ist. 

Außer in der Gastronomie! Gerade in Cafés und Restaurant hallt es oft sehr unangenehm, und der Grundgeräuschpegel ist manchmal so hoch, dass man einander am Tisch kaum noch versteht. 

Frank: Cafés und Restaurants sind schöne Beispiele, die beweisen, wie wichtig eine integrale Planung ist. Oft ist es laut, es hallt, man kann sich kaum unterhalten, manchmal versteht man sogar die Worte am Nachbartisch besser als die seines eigenen Gegenübers. Meines Erachtens hat dies mit einem fehlenden Bewusstsein für diese Thematik zu tun. Man denkt nicht dran, oder vielleicht zu spät, und dann gibt es kein Budget mehr, um entsprechend akustische Maßnahmen zu setzen. 

Mayer: Wichtig ist der sogenannte Lombard-Effekt: Je höher der Grundgeräuschpegel in einem Raum, desto lauter und höher sprechen die Personen – und zwar intuitiv. Somit schaukelt sich der Lärmpegel im Raum nach und nach hoch. Ein Teufelskreis! 

Was tun? 

Mayer: Die Zauberformel lautet, ein Lokal so zu planen, dass ein gewisser Grundgeräuschpegel gar nicht erst überschritten wird. 

Frau Frank, Sie haben bereits viele Cafés und Restaurants geplant. Wie haben Sie die Akustik in den Griff gekriegt?

Frank: Proportion, Bauweise, Textilien, Holzvertäfelung, Mobiliar, schalldämpfende Tisch­unterseiten, integrierte Akustikmaßnahmen in Leuchten, Ausstattung wie etwa Tischdeko und so weiter. Es gibt viele, viele Möglichkeiten! Eine gute Akustik jedenfalls, finde ich, muss auch ohne Teppich und Vorhang funktionieren. 

Gibt es auch Möglichkeiten, einen Raum nachträglich zu verbessern? 

Yaneva: Natürlich! Genau das ist unser Fokus. Unsere Arbeit fängt dort an, wo die Akustik nicht optimal gelöst ist und wo Verbesserungsbedarf besteht. 

2022 haben Sie gemeinsam mit Ihrem Partner Igor Fekete ein Start-up gegründet und stellen seitdem nachrüstbare Akustik-Elemente her. Was war der Beweggrund für die Entwicklung des Panels?

Yaneva: Wir kommen eigentlich aus der materiellen Nachhaltigkeit und aus dem Bereich der Ressourcenschonung. Und wir haben uns angesehen, welche materiellen, in Unmengen verfügbaren Güter es in Österreich gibt, die eigentlich noch nicht – oder zumindest nicht zur Genüge – genutzt werden. Eines davon ist der Abfall aus der Hanfproduktion. Von den materiellen Eigenschaften her ist Hanf ein perfekter Schallabsorber.

Von welcher Produktion sprechen wir da?

Yaneva: Von der Lebensmittelproduktion. In erster Linie handelt es sich dabei um die Entfaserung, um Samen und Öl zu gewinnen. Eine Win-win-Situation für alle, denn bislang war das ein reines Abfallprodukt, das die Bauern wieder auf die Felder hinausgebracht haben.

Wie genau funktioniert Ihr Produkt?

Yaneva: Zunächst wird der Hanf zu kleinen Fasern gehäckselt, danach binden wir ihn mit Kalk, Wasser und einem natürlichen Klebstoff zu Modulen in unterschiedlichen Formen und Kombinierbarkeiten. Durch das hohe spezifische Gewicht von 270 bis 300 Kilogramm pro Kubikmeter gibt es nicht nur im Raum eine gute Akustik, sondern auch einen entsprechenden Schallschutz zwischen den Räumen.

Gibt es schon genormte Kennwerte oder gar eine Zertifizierung darauf?

Yaneva: Ja, wir haben bereits alle wichtigen Kennwerte zu Schallschutz, Brennbarkeit und Ökobilanz. Aber wir sind noch in einer sehr jungen Entwicklungsphase. Bislang haben wir rund 15 Projekte realisieren können.

Frau Frank, Herr Mayer, haben Sie schon mal mit Hempstatic-Elementen gearbeitet?

Frank: Nein, noch nicht.

Mayer: Ich auch noch nicht. Aber ich denke, das ist nur eine Frage der Zeit, bis ich das erste Mal solche Produkte in die Berechnung einfließen lassen werde.

Ganz allgemein gesprochen: Wie viel kostet eine gute Akustik?

Frank: Je früher und integraler man sie mitdenkt, desto billiger ist sie. Je später man an die Akustik denkt, desto mehr Geld wird man in die Hand nehmen müssen. Nachträgliche, additive Akustikplanung kann sehr teuer sein.

Yaneva: Leider ist es so, dass in einem Einsparungsprozess – und das passiert in der Architektur sehr oft – die Akustik als Erstes eingespart wird. Aus genau diesem Grund gibt es uns! Unser Ziel ist es, die nachträgliche Akustikplanung so günstig und so ästhetisch wie möglich anzubieten.

Eine Vision zum Abschluss: Wie wird die Zukunft klingen?

Mayer: Ich bin froh, dass Akustikplanung in den letzten Jahren schon viel an Bedeutung gewonnen hat. Daher denke ich, dass die Zukunft in unseren gebauten Räumen sehr gut klingen wird.

Frank: Hoffentlich ohne Kriegsgerassel. Und mit viel Vogelgezwitscher in unseren Städten.

Yaneva: Zukunftsmusik ist immer schön! Wir sind alle unsere eigenen Komponist:innen.

Ich mag das Wuseln, den gesellschaftlichen Klangteppich in einer Hotellobby. Lobbys, in denen es mucksmäuschenstill ist, hingegen finde ich beklemmend.

Irmgard Frank, Architektin

Die Gesprächspartner:innen

Irmgard Frank (70) studierte Architektur, Innenarchitektur und Industrieentwurf an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. 1987 gründete sie ihr eigenes Büro. Ihre Schwerpunkte sind Wohnungs-, Büro- und Geschäftsumbauten, Möbelbau, Ausstellungen sowie Forschung zum Thema Raum. Sie entwarf zahlreiche Restaurants wie etwa Limes, Henrici, Sitzwohl, Culinaric und books & bagels.
irmgardfrank.at

Thomas Mayer (44) gründete 2012 sein eigenes Akustikbüro Raumecho – Agentur für Akustik mit Sitz in Guntramsdorf. Sein Fokus richtet sich auf eine ganzheitliche Akustikplanung. Seine Arbeit umfasst Architektenberatung, Konzepterstellungen, akustische Berechnungen, Schallmessungen und die Entwicklung von Akustikmodulen für Wohnen, Büro, musikalische Räume und Gastronomie.
raumecho.com

Elena Yaneva (30) studierte Bauingenieurwesen an der TU Wien und gründete gemeinsam mit ihrem Partner Igor Fekete 2022 das Start-up-Unternehmen Hempstatic mit Sitz in Spillern, Weinviertel. Im Zentrum der Hempstatic-Module aus Nutzhanf stehen Akustik, Schallschutz und Kreislaufwirtschaft. Zu den realisierten Projekten zählen Impact Hub Vienna und das i2c innovation incubation center.
hempstatic.at

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