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Ralf Flinkenflügel: »Wir vom Guide Michelin sind keine Unternehmensberater«

Ralf Flinkenflügel, Direktor des Guide Michelin Deutschland und Schweiz, spricht im Interview über die überraschende Rekordvergabe von 340 Sternen, erklärt, wie die deutsche Sternegastronomie die wirtschaftlichen Krisen meistert – und, ob Deutschland auf internationaler Ebene mithalten kann.

Herr Flinkenflügel, vor der Sterneverleihung herrschte der Eindruck, die deutsche Sternegastronomie stecke in einer Krise. Doch mit der Vergabe von insgesamt 340 Sternen wurde am Dienstagabend ein neuer Rekord aufgestellt. Ist es doch nicht so schlimm bestellt um die Branche, wie alle Gastronomen tun?

Die Qualität ist trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen auf einem unglaublich hohen Niveau geblieben. Wir können zudem gebannt beobachten, wie Gastronomen kreative Wege finden, mit der aktuell so angespannten Lage umzugehen, etwa die Einführung einer Viertagewoche oder Anpassungen der Speisekarten, um den steigenden Personalkosten und den veränderten Konsumgewohnheiten gerecht zu werden.

Nicht nur Speisekarten werden angepasst, sondern ganze Restaurant-Konzepte geändert – viele kehren der Sternegastronomie den Rücken. Das kann Ihnen doch nicht gefallen.

Ein neues Konzept muss nicht bedeuten, einen Stern zu verlieren. Wir beobachten schon lange den Trend, dass es immer unkomplizierter und lockerer in den Restaurants zugeht, das hat aber nichts mit der kulinarischen Qualität zu tun.

Ein gutes Beispiel ist Billy Wagner vom Restaurant »Nobelhart & Schmutzig«. Er hat sein Angebot von zehn kleinen Gerichten, die zuvor für 195 bzw. 225 Euro angeboten wurden, auf ein erschwinglicheres Sechs-Gänge-Menü für 115 bzw. 130 Euro umgestellt. Solche Beispiele zeigen uns, dass die Branche auf die veränderte finanzielle Situation der Gäste reagiert – und dabei wirtschaftlich klug handelt. Wir vom Guide Michelin sind jedoch keine Unternehmensberater; wir bewerten lediglich das, was wir vorfinden.

 

Wenn ein Restaurant nach einer Konzeptänderung auf solch gutem Niveau weiter kocht, wie es im »Le Moissonnier« der Fall ist, dann ist es unsere Pflicht, dies den Lesern mitzuteilen

 

Schaut man auf die Bib-Gourmand-Adressen, fällt auf, dass von den 274 im letzten Jahr, nur noch 199 in diesem Jahr übrig sind. Woran liegt das?

Es gibt drei Faktoren. Erstens haben einige Restaurants ihre Türen geschlossen. Zweitens spielen Qualitätsgründe eine Rolle: Wenn es an ausreichend qualifiziertem Personal mangelt, kann sich dies negativ auf die Qualität auswirken. Und drittens: wir verleihen den Bib Gourmand für ein herausragendes Preis-Leistungs-Verhältnis. Wenn die Preise jedoch zu stark steigen, können wir dieses gute Preis-Leistungs-Verhältnis also nicht mehr unterschreiben und müssen die Auszeichnung streichen.

Vincent Moissonnier aus dem gleichnamigen Bistro in Köln, wollte sich mit seinem neuen Konzept bewusst von den zuvor erkochten zwei Sternen befreien. Trotzdem haben Sie ihm wieder einen Stern verliehen. Ist es möglich, die Auszeichnung abzulehnen?

Nein, aber die Entscheidung, ob das Emailleschild letztlich aufgehangen wird, obliegt den Restaurants. Wenn ein Restaurant nach einer Konzeptänderung auf solch gutem Niveau weiter kocht, wie es im »Le Moissonnier« der Fall ist, dann ist es unsere Pflicht, dies den Lesern mitzuteilen.

Wie viele Inspektorinnen und Inspektoren waren in Deutschland für die neue Ausgabe unterwegs?

Rund 25 deutsche und internationale Inspektoren waren im Einsatz. Mittlerweile arbeiten wir länderübergreifend. Das bedeutet, dass Inspektoren aus Japan, Südkorea, Nordamerika und anderen europäischen Ländern auch in Deutschland unterwegs sind. Umgekehrt gehen auch wir in die anderen Länder, was natürlich unseren Horizont erweitert.

Sie legen Wert auf den internationalen Vergleich. Kann Deutschland auf internationaler Ebene mithalten?

Absolut. Die Zahlen und die Entwicklung der deutschen Spitzengastronomie in den letzten zehn Jahren sprechen für sich. Es ist beeindruckend und zeigt, dass wir uns keineswegs verstecken müssen – im Gegenteil, wir sollten stolz darauf sein.


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Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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