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Steckt die Sterneküche in der Krise?

In Berlin steckt die Spitzengastronomie in der Krise. Marco Müller, Küchenchef des einzigen Drei-Sterne-Lokals in der Hauptstadt, spricht im Interview über die Herausforderungen der Inflation, die bevorstehende Mehrwertsteuererhöhung – und die Zukunft der Branche.

Falstaff: Mit dem »Ernst« und »Lode & Stijn« haben innerhalb nur einer Woche gleich zwei Berliner Sternerestaurants ihre Schließung angekündigt. Was ist los in der Hauptstadt?

Marco Müller: Die gegenwärtige Situation ist keine plötzliche Krise, sondern Ergebnis mehrerer Negativentwicklungen der jüngsten Vergangenheit: die Pandemie, die durch den Krieg angestiegenen Nebenkosten, die Klimakrise, die Inflation und die allgemeine Kostenstruktur, die Jahr für Jahr zunimmt. All das hat zu einer Verdrossenheit in der Branche geführt. Selbst etablierte Gastronomen, haben keine Lust und Energie mehr, gegen die aktuellen Herausforderungen und Hindernisse anzukämpfen. Sie führen auch dazu, dass die Gäste nicht mehr bereit sind, so viel Geld für den Restaurantbesuch auszugeben.

Diese Probleme beschränken sich aber nicht nur auf Berlin.

Stimmt, sie betreffen die Branche landesweit. In Berlin sind die Gastronomen jedoch mutiger, wenn es darum geht, diese Probleme offen anzusprechen und bei der Politik Unterstützung einzufordern. Auch wenn das nicht immer von Erfolg zeugt, wie wir bei der angekündigten Rückkehr zum regulären Mehrwertsteuersatz sehen.

Bestehen alternative Möglichkeiten, diese Mehrwertsteuererhöhung nicht unmittelbar an den Gast weiterzugeben?

Die Entscheidung darüber liegt bei jedem einzelnen Gastronomen. Wahrscheinlich ist, dass die Hälfte an den Gast weitergegeben wird. Auch wir überlegen momentan, wie wir im kommenden Jahr vorgehen werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation letztendlich entwickelt.

Warum erlebt die Spitzengastronomie eine überdurchschnittlich hohe Betroffenheit durch die aktuellen Herausforderungen, im Vergleich zu günstigeren gastronomischen Angeboten?

Die Spitzengastronomie hat von Natur aus höhere Betriebskosten. Dazu gehören teurere Produkte, anspruchsvollere Menüs und höhere Personalkosten. Je höher die Qualität des gastronomischen Angebots, desto geringer fällt der erzielte Gewinn aus. Wenn ich beispielsweise ein Bistro betreibe und ein Kalbsschnitzel für 27€ anbiete, wird natürlich ein ordentlicher Gewinn erzielt. Die Spitzengastronomie ist hingegen stark von der Qualität und dem Geschmackserlebnis abhängig. Wenn die Betriebe gezwungen sind, an der Qualität zu sparen oder weniger hochwertige Produkte zu verwenden, kann dies ihren Ruf und ihre Attraktivität für Gäste beeinträchtigen.

Sowohl die Betreiber des »Lode & Stijn« als auch des »Ernst«, wollen sich nun auf ihre günstigeren Zweitrestaurants konzentrieren. Gleiches gilt für das Sterne-Restaurant »Richard«, das kürzlich ebenfalls sein Angebot um eine günstigere Bistroküche erweitert hat. Auch Sie betreiben mit dem »Rutz Zollhaus« ein zweites Restaurant-Konzept in Kreuzberg, das mit erschwinglicheren Preisen lockt. Kann es sein, dass in vielerlei Fällen das Geschäftsmodel Sternegastronomie einfach nicht aufgeht?

Einige Restaurants schließen ihre Spitzengastronomie, wenn die gegenseitige Subventionierung nicht ausreicht, um ordentlich zu wirtschaften. Kalkulation ist schließlich kein Glücksspiel. Je gehobener das Restaurant ist, desto geringer ist die Gewinnmarge. Die Spitzenrestaurants kalkulieren sehr genau – da gibt es kaum noch Spielraum.

Das erinnert mich an das Sprichwort »Wer nichts wird, wird Wirt«

Könnte die Mehrwertsteuererhöhung auch solch eine Institution wie das »Rutz« in die Bredouille bringen?

Wir, mit dem Rutz und dem Rutz-Zollhaus, sind fast jeden Tag ausgebucht und haben durch die kontinuierliche Auslastung noch etwas Luft. Mit den beiden Läden zusammen müssen wir uns hoffentlich keine Sorgen machen, solange es nicht zu einem weiteren Krieg oder einer zusätzlichen Preissteigerung kommt.

Es scheint als hätte sich in den vergangenen Jahren ein regelrechter Hype um die Fine-Dining-Szene entwickelt. Dementsprechend hoch ist mittlerweile das Angebot. Haben Sie schon einmal drüber nachgedacht, dass jetzt eine Sättigung erreicht sein könnte?

Ich glaube, dass es kein Hype ist, sondern eine großartige Entwicklung, das kreative, hochwertige Küchen immer weiter Fuß fassen. Aber es zeichnet sich auch der Trend ab, das Restaurants kostengünstigere Angebote einzuführen, um die meist schwereren ersten zwei bis drei Monate des Jahres zu überstehen. Gleichzeitig können so die freibleibenden Plätze mit einer erschwinglicheren Zweitkonzept-Lösung gefüllt werden. Es scheint, dass vorübergehend verstärkt über die Einführung solcher Mischkonzepte nachgedacht wird. Zudem gibt es einfach Preise, die die Menschen nicht mehr bereit sind zu zahlen. Wir haben derzeit eine übermäßige Anzahl an Gastronomieangeboten in unserer Stadt. Das erinnert mich an das Sprichwort »Wer nichts wird, wird Wirt«. In der Qualitätsgastronomie haben wir jedoch eine angemessene Anzahl von Restaurants, die Berlin gut aufnehmen kann – und die angenommen werden, wenn die Umstände passen.


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Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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