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Gastronomie: Wie die Mehrwertsteuer zweckentfremdet wurde

Die geplante Mehrwertsteuererhöhung ab 2024 gefährdet Deutschlands Gastgewerbe. Gastronome warnen vor dem Aus und fordern eine dauerhafte Senkung. Aus ökonomischer Sicht zu Unrecht: Dr. Daniela Steinbrenner vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung erklärt, warum die Mehrwertsteuer wieder erhöht werden sollte, wie sie auf die Wirtschaft wirkt – und warum sie zweckentfremdet wurde.

Die Gastronomie sieht sich mit der Wiedererhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent konfrontiert und befürchtet das Schlimmste. Steht es aus ökonomischer Sicht wirklich so schlimm um die Branche?

Es ist schwierig vorherzusagen, wie viele Unternehmen infolge einer Steuererhöhung Insolvenz anmelden würden. Die Senkung war allerdings als temporäre Maßnahme gedacht. Im Rahmen ihrer unternehmerischen Planung sollten Gastronomen einkalkuliert haben, dass der Satz wieder auf 19 Prozent steigen könnte.

Welche Funktion hat die Umsatzsteuer überhaupt?

Die Umsatzsteuer ist im Grunde ein durchlaufender Posten – und nicht Teil des Gewinns. Die Gastronomen erheben diese Steuer vom Kunden für das Finanzamt und sie müsste als Verbrauchsteuer eigentlich auf den Kunden abgewälzt werden. Wenn die Mehrwertsteuer wieder erhöht wird, sollte sie an den Kunden weitergegeben werden und die Preise würden in dem Fall um etwas mehr als zehn Prozent steigen.

Hieße das nicht gleichzeitig, dass ein geringerer Satz zu niedrigeren Preisen führt?

In der Theorie müssten die Preise sinken, wenn man mit der Mehrwertsteuer heruntergeht. Wenn man sich die vergangenen Jahre aber anschaut, hat man die Preise nicht sinken sehen – im Gegenteil. Das heißt, dass die Steuersatzsenkung nicht an den Konsumenten weitergegeben wurde, was der Sinn und Zweck der Senkung ist. Die Mehrwertsteuer ist eine Verbrauchersteuer: Sie soll indirekt den Konsumenten final belasten. Wenn sie sinkt, sollte der Verbraucher davon auch profitieren.

Was war das Ziel der Senkung 2020?

Die Senkung der Umsatzsteuer erfolgte als temporäre Krisenunterstützung während der Corona-Pandemie. Sie sollte den Konsum anregen, doch während der Pandemie war das Problem eher der eingeschränkte Betrieb als der Konsumrückgang. Die Senkung wurde oft nicht direkt an den Kunden weitergegeben, was den eigentlichen Zweck der Maßnahme verfehlte. Sie wurde als Liquiditätshilfe genutzt, um der Gastronomie schnell zu helfen. Aus dem Grund äußerten Ökonomen damals schon Bedenken an der Maßnahme.

Die Mehrwertsteuer wurde demnach zweckentfremdet?

Eine Umsatzsteuersenkung sollte niemals das Ziel haben – das steht auch indirekt in Evaluierungsrichtlinien von Subventionen –, den Gewinn einer Branche zu steigern. Die Branche steht vor Herausforderungen, diese sind jedoch nicht branchenspezifisch. Der Fachkräftemangel betrifft viele Branchen, ebenso wie die hohen Energiekosten. Daher kann eine branchenspezifische Subvention kritisch sein: Sie wirkt verzerrend und selektiv. Eine Verbrauchersteuer soll alle Güter und Dienstleistungen vergleichsweise neutral besteuern. Je mehr solcher Ermäßigungen eingeführt werden, desto mehr entstehen Forderungen wie: Warum erhält eine Branche Vergünstigungen und darf ihren Gewinn indirekt steigern, während andere Branchen vor ähnlichen Problemen stehen und diese Steuersatzsenkung nicht erhalten.

 

»Die Hauptprobleme sind der Fachkräftemangel, hohe Energiekosten und Personalengpässe. Die Umsatzsteuersenkung kann diese Grundprobleme nicht direkt beseitigen.«

Wie ist geregelt, ob etwas mit sieben oder 19 Prozent besteuert wird?

In Deutschland haben wir zwei Umsatzsteuersätze: sieben Prozent und 19 Prozent. Der siebenprozentige Satz ist ein ermäßigter Steuersatz, der normalerweise durch außergewöhnliche Begründungen gerechtfertigt werden muss. Es müssen arbeitsrechtliche oder soziale Gründe vorliegen, um von dem regulären Satz abzuweichen. Gemäß dem EU-Recht nutzt Deutschland den siebenprozentigen Satz für Lebensmittel im Einkauf sowie im Gastronomiebereich für To-go-Bestellungen.
Dienstleistungen werden in Deutschland grundsätzlich mit neunzehn Prozent besteuert. Dies liegt daran, dass in Restaurants der Besuch nicht nur aufgrund der Nahrungsaufnahme erfolgt. Nicht mehr nur der Konsum der Speisen steht im Vordergrund, sondern auch andere Faktoren wie die Atmosphäre und das soziale Miteinander. Daher handelt es sich um eine Dienstleistung, die mit neunzehn Prozent besteuert werden muss.

Warum sollte man sich aus ökonomischer Sicht von der ermäßigten Umsatzsteuer verabschieden?

Falls Senkungen ihr Ziel nicht erreichen, ist es sinnvoll, alternative Lösungen zu finden, die die zugrundeliegenden Probleme wirklich angehen. Man darf nicht vergessen, dass die Mehrwertsteuer eine der wichtigsten Quellen für Steuereinnahmen darstellt. Die vorübergehende Senkung war im letzten Jahr eine der kostspieligsten Steuersubventionen. Diese Maßnahme hat hauptsächlich einer spezifischen Branche genutzt, löste jedoch letztendlich nicht das grundlegende Problem der Gastronomen. Statt lediglich Liquidität zur Verfügung zu stellen, sollte das Hauptaugenmerk darauf liegen, die zugrundeliegenden Probleme anzugehen.

Die Mehrwertsteuererhöhung ist also nicht das größte Problem der Gastronomie?

Die Hauptprobleme sind der Fachkräftemangel, hohe Energiekosten und Personalengpässe. Diese Aspekte beeinflussen die Öffnungszeiten und den Betrieb von Restaurants. Die Umsatzsteuersenkung kann diese Grundprobleme nicht direkt beseitigen.

Die Gastronomen argumentieren, dass eine Erhöhung der Umsatzsteuer die Inflation weiter anheizen würde.

Die Gastronomen befürchten, dass höhere Preise zu weniger Konsumenten führen könnten. Dies könnte zu einer indirekten Preiserhöhung führen, aber der Einfluss auf die Gesamtinflation wäre wahrscheinlich begrenzt.

Wie sieht man als Ökonomin die Debatte?

Die Debatte ist verständlich aufgeheizt und hochemotional. Wir als Wissenschaftler verstehen die Gastronome und ihre Forderung, müssen aber versuchen, die Situation neutral zu analysieren. Subventionen sollten ihr Ziel erreichen, andernfalls sollte man alternative Lösungen finden. Eine umfassende Überarbeitung der ermäßigten Steuersätze könnte sinnvoll sein, um mehr Einheitlichkeit zu schaffen und Verzerrungen zu minimieren. Das würde aber nicht zwangsläufig die Gastronomie unterstützen.


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Anna Wender
Anna Wender
Redakteurin
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