Dehoga-Geschäftsführerin Ingrid Hartges fordert im Falstaff-Interview Erleichterungen von der Politik.

Dehoga-Geschäftsführerin Ingrid Hartges fordert im Falstaff-Interview Erleichterungen von der Politik.
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Warum will niemand mehr in der Gastronomie arbeiten, Frau Hartges?

Dehoga-Geschäftsführerin Ingrid Hartges spricht im Interview über Personalsorgen der Branche, steigende Preise und die Frage, ob der Restaurant-Besuch zum Luxusgut wird.

In der Gastronomie und Hotellerie bleiben viele Stellen unbesetzt, schon jetzt fahren viele Restaurants ihre Öffnungszeiten massiv herunter. Warum will niemand mehr im Gastgewerbe arbeiten? 

Vom Personalmangel sind viele Branchen hart getroffen, da sich der demographische Wandel von Jahr zu Jahr stärker auswirkt. Auch im Gastgewerbe gehört das Gewinnen und Halten von Mitarbeitern zu den großen Herausforderungen. Mehr als zwei Jahre Corona-Krise mit neun Monaten Lockdown und Kurzarbeit haben dazu geführt, dass Mitarbeiter die Branche verlassen haben. Teilweise wurden sie von anderen Branchen gezielt abgeworben. Gleichzeitig konnten die Betriebe während des Kurzarbeitergeldbezuges kaum Neueinstellungen vornehmen. Auf dem Höhepunkt der Coronakrise im Mai 2021 hatte die Branche fast 165.000 weniger sozialversicherungspflichtig Beschäftigte als im Mai 2019.
Ich widerspreche jedoch eindeutig der Behauptung, dass niemand mehr im Gastgewerbe arbeiten möchte. Wir haben seit März 2022 wieder über eine Million sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, und es werden mit jedem Monat mehr. Diese Entwicklung zeigt, dass Mitarbeiter wieder zurückkommen und sich mit wachsenden Perspektiven auch wieder rasch Beschäftigung aufbaut. Vor der Corona-Pandemie galt die Branche als einer der größten Jobmotoren des deutschen Mittelstandes und hat von 2009 bis 2019 fast 300.000 neue sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Das war ein Plus von 35,9 Prozent gegenüber 21,0 Prozent gesamtwirtschaftlichem Plus. Ich bin zuversichtlich, dass wir bei den richtigen politischen Weichenstellungen wieder an diese Zahlen herankommen.

Wie lässt sich die Attraktivität der Jobs in Küche, Service und Hotel wieder steigern? 
Die Unternehmen reagieren auf den sich verändernden Markt und Wettbewerb. In mehreren Regionen gab es in den letzten Monaten neue Tarifabschlüsse mit deutlichen Lohnerhöhungen im zweistelligen Bereich. Insbesondere in den Großstädten, wo Lebenshaltungskosten oft höher sind als in ländlichen Gebieten, zahlen viele Unternehmer seit längerer Zeit übertariflich und bieten zusätzliche Benefits, um engagierte Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen. Die aktuellen deutlichen Lohnsteigerungen sind ein wichtiger Baustein, um Jobs und Ausbildungen in der Branche attraktiver zu machen. Faire und marktgerechte Löhne sind notwendige Voraussetzung für einen funktionierenden Arbeitsmarkt. Zugleich wissen wir, dass Geld nicht alles ist. Faktoren wie ein gutes vertrauensvolles Betriebsklima, Wertschätzung, Respekt und Anerkennung spielen mindestens eine ebenso wichtige Rolle. Auch im Hinblick auf den Nachwuchs tut die Branche sehr viel dafür, die Ausbildung im Gastgewerbe zu stärken und jungen Menschen das notwendige Rüstzeug für eine erfolgreiche Zukunft im Gastgewerbe zu geben. Der aktuell wohl wichtigste Schritt sind die komplett überarbeiteten, jetzt sieben neuen Ausbildungsberufe, die seit dem 1. August 2022 gelten. Die Ausbildung in Hotellerie und Gastronomie ist noch vielfältiger und wertvoller geworden: Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Teamwork und Ernährungstrends nehmen jetzt einen noch breiteren Raum ein.

Wie kann die Zukunftssicherung gelingen?
Um dringend benötigte Perspektiven für die Zukunftssicherung der Branche zu schaffen, ist die Fortgeltung der Mehrwertsteuersenkung auf Speisen unabdingbar. Die Maßnahme war zur Stärkung der Gastronomie zum 1. Juli 2020 eingeführt worden und ist aktuell befristet bis Ende des Jahres. Wenn diese wichtige steuerpolitische Maßnahme zum 31.12.2022 tatsächlich auslaufen würde, wäre dies eine Katastrophe für die Restaurants und in erheblichem Umfang inflationsbeschleunigend. (Anm. d. Red.: Die Ampel-Koalition hat mittlerweile beschlossen, die 7-Prozent-Mehrwertsteuer-Regelung auf Speisen in Restaurants zu verlängern.) Die Lage der Branche ist nach wie vor hochproblematisch. So haben sich die Unternehmen von den Auswirkungen der Corona-Pandemie noch lange nicht erholt. Das belegen die preisbereinigten Umsatzrückgänge von Januar bis Juni, die das Statistische Bundesamt jetzt mit 22,1 Prozent gegenüber 2019 (nominal minus 13,1Prozent) bezifferte. Damit droht das dritte Verlustjahr in Folge. Gleichzeitig erleben wir eine nie gekannte Kostenexplosion in den
Bereichen Gas, Strom, Lebensmittel und Personal. Von den Energieversorgern liegen vielen Betrieben bereits Ankündigungen mit Preiserhöhungen von 300 bis 500 Prozent vor. Dazu kommt die große Sorge, ob die Energiesicherheit für alle Betriebe des Gastgewerbes im Winter gewährleistet ist. Zudem gibt es Befürchtungen, dass sich angesichts der ab 1. Oktober geplanten Corona-Maßnahmen und den Erfahrungen des letzten Winters die massiven Umsatzeinbußen wiederholen. Bei diesen enormen existenzbedrohenden Unwägbarkeiten ist eine Zukunftssicherung der Restaurants und Cafés mit 7 Prozent Mehrwertsteuer nicht nur arbeits-, wirtschafts- und gesellschaftspolitisch geboten, sie ist auch aus Gründen der steuerpolitischen Gleichbehandlung überfällig. Essen zur Mitnahme sowie Essenslieferungen und das Essen im Restaurant müssen endlich einheitlich mit 7 Prozent besteuert werden. Wir als die größte und besonders hat getroffene Branche in der Corona-Pandemie fordern Fairness, Wertschätzung und Planungssicherheit von den politischen Entscheidern. Die 7 Prozent Mehrwertsteuer auf Speisen müssen dauerhaft bleiben. In 22 EU-Staaten gilt diese von uns geforderte Gleichbehandlung von Essen.  

Droht die Gefahr, dass ein Restaurantbesuch aufgrund hoher Preise zum Luxusgut wird? Die Nachfrage ist in vielen Betrieben noch gut, auch wenn bei den Gästen teilweise bereits eine Zurückhaltung festgestellt wird. Die explodierenden Kosten in den Bereichen Energie, Lebensmittel und Personal haben und werden Preisanpassungen und Angebotsveränderungen auf der Speisekarte notwendig machen. Jeder Unternehmer ist gefordert, seine Gäste bei der Kalkulation im Blick zu haben. Diese ist auch abhängig vom Betriebstypen und der Klientel. Wer ein Fünf-Sterne-Hotel führt, der wird die Preise in der jetzigen Situation eher anheben können, ohne Kunden zu verlieren, solange das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt. Das Wirtshaus hingegen muss sehr genau austarieren, bei welchem Produkt welche Steigerung möglich ist, und ab welchem Preis Stammgäste nicht mehr kommen. Grundsätzlich ist jeder Unternehmer verpflichtet, Gewinne zu erwirtschaften, die Arbeitsplätze zu sichern, seine Familie versorgen zu können und dann auch wieder in die Zukunft seines Betriebes zu investieren.

Philipp Elsbrock
Philipp Elsbrock
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