(c) Tiziano Sartorio

Giulia Molteni: »Familiärer Zusammenhalt hat Priorität«

Die Möbelmanufaktur Molteni feiert heuer ihr 90-jähriges Jubiläum. Im LIVING-Interview reflektiert Giulia Molteni, wie sich das Unternehmen zum modernen Betrieb entwickelte, worauf es heute ankommt und warum Designkooperationen so wichtig sind.   

18.04.2024 - By Florentina Welley

Titelbild: Giulia Molteni: Die Enkelin von Angelo Molteni und Head of Marketing im Unternehmen hält das kulturelle Erbe im Betrieb hoch und setzt sich für Frauenrechte ein. molteni.it

In der Nähe von Mailand, der traditionellen Drehscheibe für Mode und Mobiliar, liegt die Brianza. Hier siedelten sich seit jeher Handwerker:innen an. Schon im 18. Jahrhundert fertigten sie besondere Möbel, etwa für die Villa Reale in Monza. Dass die Brianza auch heute noch als ein Zentrum für weltbekannte Möbelmarken gilt, ist Unter­nehmer:innen wie Angelo und Giuseppina Molteni zu verdanken. Als sie 1934 den Handwerksbetrieb Molteni & C in Giussano gründeten, hätten sie nicht gedacht, dass er 90 Jahre später zu den führenden interna­tionalen Möbelproduzenten zählen würde. Angelo Molteni, Großvater von Giulia Molteni, die heute als Head of Marketing des Unter­nehmens agiert, gehörte 1961 u. a. mit Franco Cassina auch zum Gründerausschuss des ersten Salone del Mobile und machte den Begriff Design erstmals bekannt. Heute produziert Molteni & C hochwertige Möbel­kollektionen, steckt Geld in Nachhaltigkeit und Forschung und arbeitet mit den besten Designer:innen der Welt. Und auch die Enkelin Giulia weiß genau, was sie tut. Nahe des Firmensitzes in Brianza aufgewachsen, begann sie bereits im Alter von zwölf Jahren, beim jährlichen Salone del Mobile auszuhelfen und Kataloge an die Besucher:innen des Molteni-Stands zu verteilen. Als sie 20 war, wusste sie, dass sie in das Unternehmen einsteigen würde. »Designunternehmen sind sehr oft in Familienbesitz, weil es eine Art Tradition ist, die vom Vater an die Tochter oder den Sohn weitergegeben wird. Es ist eine Philosophie«, weiß die Marketingchefin zu berichten und holt zum 90-jährigen Jubiläum im LIVING-Interview noch intensiver aus.

LIVING Molteni feiert heuer 90 Jahre! Wie sehr hat sich der Betrieb im Laufe der Zeit verändert?

GIULIA MOLTENI Es hat sich unglaublich viel verändert! Früher stellten wir Möbel von Hand her, heute ist die Produktion industriell. Wir haben einen internationalen Vertrieb und investieren laufend in Forschung und Entwicklung.

Welche Veränderungen waren eklatant?

Das war, als mein Vater Carlo die Produktion von klassischen Möbeln in den 1960er-Jahren auf moderne Designmöbel umstellte. Wir machten das auf Anraten seines Freundes, des Architekten Luca Meda, bei dem er selbst Designunterricht nahm. Denn wir entdeckten, dass sich unsere Firmengeschichte mit der Entwicklung des italienischen Designs deckt. Beides begann 1955 in der Brianza mit der ersten Selettiva di Cantù, die von meinem Großvater gegründet wurde. Die Ausstellung machte Design in der Region schlagartig bekannt. In der Jury saßen Architekten wie Gio Ponti, Alvar Aalto und Carlo De Carli.

Ist auch etwas unverändert geblieben?

Ja, die Qualität, die seit drei Generationen das Unternehmen zu einem der Weltmarktführer im Möbel- und Designsektor macht und heute »Made in Italy« in über 100 Ländern garantiert.

Sie stehen als Frau an der Spitze des Unternehmens. Ist es schwierig, im Team mit der eigenen Familie zu agieren?

Eigentlich nicht. Ich folgte einfach dem Beispiel meines Vaters. Wir wollen unser Wissen und die Besessenheit vom Schönen an die folgenden Generationen weitergeben. Unsere Tradition ist zur Mission geworden, die uns immer weiter vorantreibt.

Molteni & C ist bis heute ein Familienbetrieb, der wächst. Wie wichtig sind soziale und kulturelle Verantwortung?

Wir halten das künstlerische und kulturelle Erbe großer Meister wie Gio Ponti oder Aldo Rossi hoch und machen es zukunftsfit. Für mich persönlich steht aber eine Aufgabe an erster Stelle: die Gleichstellung von Frauen. Ich möchte das ganz konkret umsetzen, deswegen beschäftigen wir auch bewusst viele Frauen.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Gio Ponti?

Gio Ponti war ein enger Freund meines Groß­vaters. In unserer »Heritage Collection« würdigen wir Meisterstücke der »Casa Ponti« und andere Projekte, die zwischen 1935 und 1970 entstanden sind. Dazu haben wir eng mit Kurator Salvatore Licitra, der die Archive mit den Ponti-Erb:innen durchstöberte, zusammengearbeitet. So kam es zur Neuauflage historischer Entwürfe.

Ikonisch: Der Indoorstuhl »D.154.2« von Gio Ponti wurde als -Outdoormodell 1952 für das Kreuzfahrtschiff »Andrea Doria« geplant. Jetzt wurde er neu aufgelegt.

(c) Molteni

Stabil: Afra und Tobia Scarpa setzten schon 1973 bei der Stuhlserie »Monk« auf hochwertige -Qualität mit massiven Beinen aus Nussholz und einer Lehne aus Rindsleder. moltenimuseum.com

(c) Molteni

Vielseitig: In der neuen Outdoorkollektion von Molteni & C vereint Vincent Van Duysen den Spirit von In- und Outdoor und kombiniert solides Teakholz mit nachhaltig produziertem Geflecht aus Polypropylen. Der Beistelltisch »Picea« ist aus Keramik.

(c) Frederik Vercruysse

Gio Pontis Stuhl, den er 1954 für die Villa des Sammlers Planchart in Caracas entwarf, wurde letztes Jahr als Neuauflage zum Outdoor-Sessel. Ist heuer Ähnliches geplant?

Die Outdoorkollektion ist ein echtes Testfeld für uns, auf dem technisches Know-how und handwerkliches Können zum Einsatz kommen. In unserer neuen Outdoorkollektion wurden Materialien wie massives Teakholz in natürlichen Farben, Aluminiumprofile in Merlotrot und handgeflochtene Polypropylenseile vom kanadischen Designerduo Yabu Pushelberg bei ihrem modularen Sofasystem »Sway« eingesetzt. Neu ist auch der Couchtisch »Picea« aus Keramik.

Molteni & C hat auch eine Abteilung für Nachhaltigkeit. Sie legen darauf einen großen Wert …

Es wird immer wichtiger. Ökologische Nachhaltigkeit liegt seit jeher in der DNA von Molteni. Wir haben über vierzig Möbel im Museum, die fünfzig Jahre alt und immer noch perfekt sind. Praktisch setzt das Molteni Vernici etwa beim Outdoor-Couchtisch »Regent« um. Die Farben der Lavasteinoberflächen stammen aus recyceltem Glas von TV- und PC-Moni­toren. Das Utopia-Leder wird metall- und chromfrei gefärbt, ist zu 94 Prozent biologisch abbaubar und mit reduzierter CO2-Emission produziert.

Was möchte das Unternehmen in Zukunft kommunizieren?

Besonders heuer ist es uns wichtig, das Gespür für Wohnen mit hochwertigem Interior in der Welt zu verbreiten.

Beim Salone del Mobile haben Sie gerade die neue Kollektion mit dem Mailänder Architekten Piero Portaluppi präsentiert. Wie wichtig ist die regel­mäßige Zusammenarbeit mit neuen Designer:in­nen und Architekt:innen für das Unternehmen?

Genau. Vincent Van Duysen hat für die »Molteni & C«-Kollektion mit Portaluppi zusammengearbeitet. Sie verschmilzt Tradition und Moderne, Emotionen und Funktion. Ich denke, wenn wir Wohnkultur verstehen und zeitlose Produkte herstellen möchten, sind es vor allem Designer:innen, die aktuelle soziale Tendenzen und Lebensstile neu interpretieren. Deshalb sind Kooperationen wie diese oder etwa mit Herzog & de Meuron, Naoto Fukasawa, Yabu Pushelberg und anderen so wichtig für uns.

Welche Design-Lieblingsstücke findet man bei Ihnen zu Hause?

Ein Stück, das mir sehr am Herzen liegt, ist der von Aldo Rossi entworfene »Carteggio«, ein hölzerner Sekretär mit Schubladen. Auch »Monk«, ein Stuhl von Afra und Tobia Scarpa, ist ein Lieblingsteil.

Was wünschen Sie sich noch für die Zukunft?

Wir müssen als Unternehmen mit der Region weiterhin eng verbunden bleiben, die Familie zusammenhalten und gleichzeitig Innovationen schaffen. Und die Lebensqualität für die Menschen und unseren Planeten verbessern.

Erschienen in:

Falstaff LIVING 03/2024

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