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Die Architekt:innen der New Yorker High Line im Porträt

Wer kennt Diller Scofidio + Renfro? Während dieser Name nur eingefleischten Architekturfans ein Begriff ist, hat die Arbeit des New Yorker Büros weltweit alle Rekorde gesprengt – der High-Line-Park in Manhattan lockt heute sogar mehr Besucher:innen an als die Freiheitsstatue.

17.01.2024 - By Wojciech Czaja

Titelbild: The High Line, New York Wo einst voll beladene Güterzüge hin und her fuhren, offenbart sich nun ein linearer Park mit 2,7 Kilometern Länge. Der High-Line-Park ist ein Paradebeispiel für urbane Revitalisierung und hat weltweit viele Stadtentwicklungsprojekte beeinflusst. thehighline.org

Sie lockt mehr Besucher:innen an als das Guggenheim Museum, als das Empire State Building, ja sogar mehr als die weltberühmte Freiheitsstatue vor der New Yorker Skyline. Mit sieben Millionen Besucher:innen pro Jahr zählt die sogenannte High Line in der Tat heute zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten im niemals schlafenden Big Apple. Errichtet wurde das Viadukt 1932, und zwar als vom Straßen­niveau entrückte Zugstrecke für den Güterverkehr, mit der Aufgabe, das Gewerbegebiet des Meatpacking District an den St. John’s Park Terminal und somit an die New York Central Railroad anzubinden. Doch der Niedergang der Lebensmittelindustrie an der Westseite Manhattans hatte auch Auswirkung auf die High Line: Der letzte Zug verkehrte im Herbst 1980 und war mit gefrorenen ­Truthähnen beladen. Mehr als zwei Jahrzehnte lang schlummerte das 2,7 Kilometer lange Viadukt vor sich hin, unbegangen, unbefahren, ohne jegliche Funktion.

Prominente Initiatoren eines Großprojekts

Auf Initiative der Schauspieler Edward Norton und Kevin Bacon, der Designerin Diane von Fürstenberg und des New Yorker Architekturbüros Diller Scofidio + Renfro sollte die einstige Zugstrecke in einen linearen Park umgebaut und öffentlich zugänglich gemacht werden. Im April 2006 war Spatenstich, im Juni 2009 konnte der erste Abschnitt der High Line in Betrieb genommen werden. Die Zeitschrift »­Wallpaper« verlieh dem neuen Park sogar den Titel »Lebensverbesserer des Jahres«. »Für mich war von Anfang an klar, dass ich nie eine Architektin im konventionellen Sinne sein möchte, dass ich nicht nur ein Haus nach dem anderen bauen möchte«, sagt Elizabeth Diller, die das Büro gemeinsam mit ihrem Mann Ricardo Scofidio und den später hinzugekommenen Partnern Charles Renfro und Benjamin Gilmartin leitet. »Viel eher wollte ich mich für ein Verständnis von Architektur starkmachen, das in der Lage ist, den Ort nachhaltig aufzuwerten und die Lebensqualität von uns Menschen auf diese Weise zu verbessern.«

Seltsamer Zyklus

Mit dem High-Line-Projekt, das mit dem letzten Bauabschnitt 2014 in Vollbetrieb ging und seitdem das neue Stadtentwicklungs­gebiet Hudson Yards erschließt, ist dieses Vorhaben jedenfalls gelungen. »Und vielleicht sogar zu gut«, meint Diller. »Niemand hätte vorhersagen können, wie erfolgreich die High Line eines Tages werden würde. Doch nun wissen wir, dass der Erfolg ringsum zu einer massiven Gentrifizierung und somit auch zu zahlreicher Spekulation geführt hat. Erst hat ein Projekt die Aufgabe, ein Stadtviertel aufzuwerten und vor dem Verfall zu retten, und am Ende vertreibt es die Menschen, weil sich dann niemand mehr die Miete leisten kann. Ein seltsamer Zyklus.« Elizabeth Diller wurde 1954 in Polen in eine jüdische Familie hineingeboren und emigrierte 1960 mit dieser in die USA. Sie studierte Architektur an der Cooper Union School of Architecture, wo sie ihren Lehrer und späteren Mann Ricardo Scofidio kennenlernte. 1979 gründeten die beiden ein gemeinsames Büro. Zu Beginn war sie Professorin an der Princeton University und beschäftigte sich in dieser Zeit vor allem mit Kunstprojekten an der Schnittstelle von Skulptur, Fotografie, Landschaft und Lebensalltag. Ihre Serie »Bad Press« besteht aus 25 weißen Hemden, die mithilfe von Bügel­eisen und Stärke in unorthodoxe, ganz und gar unübliche Faltungen hineingezwängt werden – und befindet sich heute in der Sammlung des San Francisco Museum of Modern Art.

Unorthodoxes Gespann Charles Renfro, Elizabeth Diller, Ricardo Scofidio und Benjamin Gilmartin beschäftigen sich mit Projekten an der Schnittstelle von Kunst, Architektur, Stadtleben, Landschaft und Lebensalltag (v. l.). dsrny.com

Foto: © Geordie Wood

»The Shed«, New York »Der Schuppen« wurde 2019 eröffnet und ist nichts anderes als ein Kultur- und Veranstaltungszentrum mit einem mobilen Dach, das je nach
Wetterlage auf einer gigantischen Schienenkonstruktion zur Seite geschoben werden kann. Die Baukosten in der Höhe von 500 Millionen US-Dollar wurden vor allem über private Spenden finanziert. theshed.org

Griff zu den Sternen

1999 erhielt Elizabeth Diller von der MacArthur Foundation ein Forschungsstipendium, mit dem es ihr gelang, das erste große Architekturprojekt zu finanzieren und schließlich auch zu realisieren. Für die Schweizer Landesausstellung 2002 errichtete sie eine begehbare Stahlkonstruktion mitten im Lac de Neuchâtel, die mit 35.000 Hochdruckdüsen ausgestattet war. Der ausgestoßene Sprühnebel verwandelte das sogenannte »Blur Building« in eine fast entmaterialisierte Wolke aus Wasserdampf, die über dem See zu schweben schien. Das »Blur Building« wurde weltweit rezipiert und katapultierte das Büro in den Architekturolymp. 2018 wurde Elizabeth Diller vom »Time Magazine« zu einer der einflussreichsten Frauen der Welt gekürt, 2019 erhielt sie den »Women in Architecture Award«. Heute ist Diller Scofidio + Renfro, das mittlerweile mehr als 70 Mitarbeiter:innen beschäftigt, vor allem im öffentlichen Bausektor tätig. Eines der bekanntesten Projekte der letzten Jahre ist die bewegliche, auf Rollen verschiebbare Veranstaltungshalle »The Shed« am Hudson River. Hinzu kommen Museums- und Bildungsbauten wie etwa die Business School der Columbia University in New York, das Tarrkarri – Centre for First Nations Cultures im australischen Adelaide oder die Juilliard School in Tianjin an der Ostküste von China. »Antworten zu geben ist unser Ziel«, sagt Diller. »Das beinhaltet auch eine konstruktiv kritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft – mit neuen Wegen und Grundlagen einer Zusammenarbeit in unseren menschlichen Netzwerken. Nur auf diese Weise können wir Veränderungen in der Welt herbeirufen.«

Olympic & Paralympic Museum, Colorado Springs Das Museum widmet sich dem US-amerikanischen Anteil an der Geschichte der Olympischen Spiele.
Aufgrund der inklusiven und barrierefreien Architektur wurde es mit dem »Grand Award 2020« der Interna-tional Association for Universal Design ausgezeichnet. usopm.org

(c) Nic Lehoux

Tarrkarri Centre, Adelaide Das neue Aboriginal Art and Cultures Centre (AACC) in Adelaide hat die Aufgabe, die Kunst und Kultur der Aborigines vor den Vorhang zu holen und die Ureinwohner Australiens auch aus einem zeitge-nössischen Blickwinkel zu porträtieren. Baubeginn war 2021, die Fertigstellung des 12.000-Quadratmeter-Komplexes ist für 2025 geplant.

(c) ERA co + Woods Bagot

Erschienen in:

Falstaff LIVING 08/2023

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