© Dominique Perrault Architecte ADAGP

Große Pläne: »Paris wird zur Megacity«

Eine Stadt sprengt ihre engen Grenzen: Mit vier neuen Metrolinien werden Paris und seine Banlieue endlich zu einer gemeinsamen Großmetropole. Architekt Dominique Perrault ist seit Langem in den Planungen für Grand Paris involviert. Im LIVING-Interview erklärt er die großen Ambitionen.

22.10.2023 - By Maik Novotny

Header Neue Knoten 70 neue Metrostationen werden derzeit in der Pariser Banlieue gebaut. Der Bahnhof Villejuif – Institut Gustave-Roussy wurde von Dominique Perrault geplant.

Dominique Perrault ist der Mann für den großen Maßstab. Er wurde schlagartig berühmt, als er für -François Mitterand die Bibliothèque Nationale in Paris plante. In Wien hinterließ er seine Spuren mit dem DC Tower, dem höchsten Gebäude Österreichs. Der 70-jährige Architekt ist ein Weltarchitekt, doch sein Herzensprojekt ist Paris. Genauer gesagt: Grand Paris. Er war schon während der Präsidentschaft von Nicolas Sarkozy an den Plänen für die Großmetropole beteiligt und ist es bis heute. Im LIVING-Talk erklärt er, wie der Grand Paris Express ins Laufen kam.

Living Sie sind schon seit vielen Jahren in die Visionen von Grand Paris involviert. Wie haben sich die Planungen im Laufe der Jahre entwickelt?

Dominique Perrault Das stimmt, ich war von Anfang an dabei, zuerst als Berater von Präsident Sarkozy, dann im Atelier International du Grand Paris (AIGP). Grand Paris wird mehr als eine Metropole, es wird zu einer Megacity mit 12 Millionen Einwohnern, die größte in Europa. Das heißt, Paris muss sich neu strukturieren, neu organisieren, muss diese Dynamik umsetzen – genau das haben alle Präsidenten seit Sarkozy getan. Auch der Grand Paris Express mit 70 neuen Metrostationen in einer Schleife um Grand Paris geht auf seine Initiative zurück.

Sie planen selbst eine dieser Metrostationen, Villejuif – Gustave Roussy, die gerade in Bau ist.

Diese Station nimmt eine Schlüsselrolle ein, weil sich hier das alte radiale und das neue konzentrische System kreuzen. Eine weitere Besonderheit ist, dass sie nach oben offen und natürlich belichtet ist, obwohl sie 50 Meter in der Tiefe liegt. Das wird ein einzigartiges Raumerlebnis.

2021 präsentierten Sie Grand Paris in einer Ausstellung auf der Expo Dubai. Was war das Konzept?

Es sollte eine Ankündigung eines der größten europäischen Infrastrukturprojekte auf der Weltbühne sein. Das ist natürlich ein tech­nisches Projekt, mit zehn Bohrmaschinen, die derzeit unter Paris 200 Kilometer neue ­Tunnels graben. Das ist schon sehr außergewöhnlich. Aber für die Pariser ist diese Infrastruktur noch abstrakt und unsichtbar, sie sehen nur lästige Baustellen, obwohl die ersten Züge schon zu den Olympischen Spielen 2024 fahren werden. Die Expo Dubai war die Gelegenheit, die Dimension des ganzen Projekts begreifbar zu machen.

In die Tiefe Mit viel Tageslicht und dramatischer Rauminszenierung macht Perrault in seiner Metrostation das Ein- und Aussteigen zum Erlebnis.

© Dominique Perrault Architecte ADAGP

Die Pariser Banlieue litt jahrzehntelang auch in sozialer Hinsicht unter ihrer schlechten Anbindung ans Zentrum. Wie gestaltet man das erfolgreiche Zusammenleben im neuen Grand Paris?

Der neue Außenring stellt einen radikalen Wechsel dar: Bisher musste man immer in Châtelet – Les Halles im Zentrum von Paris umsteigen, aber in Zukunft wird es ein konzentrisches System geben, das für Millionen von Menschen schnelle Querverbindungen in der Banlieue ermöglicht, und damit auch neue und gut angebundene Räume zum Wohnen und Arbeiten eröffnet.

Seit dem Tour Montparnasse in den 1970er-Jahren ist das Thema Hochhaus in Paris heiß umstritten. Gibt es in Grand Paris Pläne für Hochhausviertel?

Nein, der letzte Turm im Stadtzentrum wird der Tour Triangle von Herzog & de Meuron sein, danach gibt es keine weiteren. In den Außenbezirken ist der Bedarf an neuem Wohnraum sehr hoch, aber dieser wird mit verdichteten Wohnformen mittlerer Höhe abgedeckt. Es wird kein zweites La Défense geben, aber was ich interessant finde, ist dass La Défense selbst plant, sich vom reinen Büroviertel in Richtung Wohnbau zu wandeln. Das ist eine Entwicklung, die wir überall in Europa beobachten.

Sie haben viele Kulturbauten entworfen und realisiert. Wie wichtig ist die Kultur, um in Grand Paris eine Urbanität herzustellen?

Das Infrastrukturprojekt Metro ist an sich monofunktional und hat ein genau formuliertes Ziel. Kultur bringt ein Gleichgewicht in diese Infrastruktur und sie hilft den Reisenden, sich zu orientieren. Deshalb gibt es für jede neue Station ein Team aus Architekt:innen und Künstler:innen. Ich habe diese tolle Erfahrung schon bei der U‑Bahn in Neapel mit dem Künstler Michel­angelo Pistoletto gemacht. Bei unserer neuen Station in Villejuif wird der tolle chilenische Künstler Ivan Navarro mit einer Lichtinstallation diesen kathedralenartigen Raum inszenieren. Die Kultur ist untrennbar mit dem Ingenieursprojekt verbunden.

Fassen wir zusammen: Was sind für Sie heute die wichtigsten Faktoren, die Grand Paris zum Erfolg machen?

Meiner Meinung nach ist es vor allem der Faktor Kommunikation. Wir müssen Grand Paris mit allen Mitteln in die Öffentlichkeit bringen, denn es ist kein Projekt für wenige, sondern für alle! Wir müssen die konstruktiven, sozialen und ästhetischen Aspekte nachdrücklich vermitteln. Aus diesem Grund bereiten wir gerade gemeinsam mit der Société du Grand Paris die Ausstellung »Métro! Le Grand Paris en mouvement« vor, die ab November in Paris gezeigt wird, und für die ich Hauptverantwortlicher bin.

Mann fürs Große Architekt Dominique Perrault (70) baute unter anderem die Bibliothèque Nationale in Paris und den DC Tower 1 in Wien. Jetzt nimmt er sich Grand Paris vor.

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 06/2023

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