Immo-Talk: Zins- und Zeitenwende
Die Finanzierung von Immobilien ist mit den neuen Kreditvergaberichtlinien und höheren Zinsen schwieriger geworden. Hier gilt es, genau hinzuschauen. Wir haben Expert:innen nach ihren Einschätzungen und Prognosen gefragt.
04.12.2023 - By Maik Novotny
Drei Buchstaben sind in der Immobilienbranche seit einem Jahr in aller Munde, und für Euphorie sorgen sie selten: KIM. Sie stehen für die neuen Kreditvergaberichtlinien, die die Finanzmarktaufsicht (FMA) im August 2022 erließ. Seitdem müssen Kreditkund:innen mindestens 20 Prozent an Eigenkapital für die Wohnbaufinanzierung einbringen und die monatlichen Kreditraten dürfen 40 Prozent des Haushaltseinkommens nicht überschreiten. Für viele ein Hindernis auf dem Weg zum Eigenheim – und eine Verschärfung der Situation für bereits bestehende Kreditnehmer:innen, die auf einen variablen statt auf einen fixen Zinssatz gesetzt hatten. Wer etwa 2021 einen Kredit mit 30 Jahren Laufzeit für den Immobilienerwerb aufgenommen hatte, musste dafür monatlich im Durchschnitt rund 30 Prozent seines Nettohaushaltseinkommens aufwenden, im Jahr 2023 liegt dieser Prozentsatz bereits bei 46 Prozent.
Zinswende voraus
Immerhin: Variable Kreditzinsen sind inzwischen deutlich in der Minderheit. Lag die Anzahl der Kredite mit fixem Zinssatz 2013 noch bei unter fünf Prozent, wurden im Frühjahr 2020 bereits 60 Prozent der Kredite mit einer fixen Verzinsung abgeschlossen. Das bestätigt auch Christiane Flehberger, Leiterin Privatkund:innen der »Raiffeisen Wien. Meine Stadtbank«. »Unser Bestreben in der Beratung ist es, dem Wunsch nach Sicherheit unserer Kund:innen gerecht zu werden«, so Flehberger. »Vor allem beim Thema Wohnbaufinanzierung sind deshalb fix kalkulierbare Rückzahlungsraten auf Basis einer Fixzinsvereinbarung bereits seit vielen Jahren der Standard. Denn letzten Endes können wir alle nicht voraussehen, wie sich die Zinsen langfristig entwickeln werden.« Kritik übt sie jedoch an der 40-Prozent-Schuldendienstquote der KIM, die vor allem für junge Familien die Schaffung von Eigentum verhindere: »Grundsätzlich ist es nicht nachvollziehbar, dass die KIM-Verordnung wesentliche Faktoren nur ungenügend berücksichtigt, wie etwa das Alter der Kreditnehmer:innen oder die spezifische Lebenssituation wie den Karriereweg und die Einkommensentwicklung.« Was die 20 Prozent Eigenmittel betreffe, sei die KIM-Verordnung vernünftig, meint Hans Jörg Ulreich, Immobilienentwickler und Bauträgersprecher bei der Wiener Wirtschaftskammer, beim Limit von 40 Prozent des Familieneinkommens weniger: »Es gibt einige, die fürs Wohnen auf Geldmittel aus anderen Quellen zurückgreifen könnten, aber selbst nicht ausreichend verdienen. Viel besser wäre hier eine Pauschale. Das wäre auch leicht festzulegen, aber die Beamtenschaft hat hier zu spät reagiert und ist zu unflexibel.«
Luxusimmobilien relativ stabil
Was den hochpreisigen Wohnbau betrifft, hätten die neuen Rahmenbedingungen weniger dramatische Auswirkungen, denn hier sei ausreichend Geld bei den Kund:innen vorhanden, so Ulreich. Probleme sieht er hingegen für den niedrigpreisigen großvolumigen Wohnbau, wie es ihn etwa in den transdanubischen Bezirken Wiens in großer Zahl gibt. »Da brechen die Kund:innen und die Fonds weg, da wird der Neubau einbrechen.« Allerdings werde der Neubau überhaupt, trotz manch anderslautender Meldungen, nicht billiger, da die Baukosten stark steigen. »Was billiger wird, sind unsanierte Nachkriegsbauten mit schlechter Energiebilanz. Die kommen derzeit massenweise auf den Markt, weil viele Eigennutzer:innen die Heiz- und Sanierungskosten nicht stemmen können.« In Zukunft werde der Faktor Energie generell ganz entscheidend für Angebot und Preisgestaltung: »Wer jetzt Geld hat, sollte in hochwertig sanierte Altbauten investieren, denn hier wird kaum noch Neues auf den Markt kommen.« Etwas rosiger sieht es für die gemeinnützigen Bauträger aus, zumindest in Wien, wo ihnen die Landesregierung mit der am 10. Oktober beschlossenen Novelle der Neubauverordnung rettend beisteht. Dabei wurden die Hauptfördersätze um rund zwölf Prozent und die Fördersätze bei kleineren Bauvorhaben unter 2.000 Quadratmeter um rund 25 Prozent angehoben sowie die Fördersätze für SMART-Wohnungen und für den Gemeindebau NEU nahezu verdoppelt. »Das ist ein Meilenstein für den geförderten Wohnbau in Wien«, lobt Michael Gehbauer, Obmann der gemeinnützigen Bauvereinigungen, Landesgruppe Wien. »Nachdem die Verordnung bereits 2022 den gestiegenen Baukosten Rechnung getragen hat, wird nunmehr auf die gestiegenen Finanzierungskosten und die aktuellen hohen Zinsen wirkungsvoll reagiert.« Doch außerhalb dieses besonderen Segments besteht vorerst kein Grund für Euphorie. Laut Hans Jörg Ulreich wird vor allem die Baubranche 2024 erhebliche Einbrüche erleben, und bei Raiffeisen verzeichnet man einen deutlichen Rückgang bei Finanzierungsanfragen für Bauträgerprojekte, da aufgrund der schwierigen Immobilienmarktlage nur sehr wenige Projekte geplant und in weiterer Folge auch realisiert werden. Immerhin, die Zinsen werden laut Analysen von Raiffeisen nicht weiter steigen: »Wir erwarten keine weitere Zinsanhebung, denn mittlerweile sind leichte Fortschritte bei der Kerninflation erkennbar, während sich die Konjunktur massiv abschwächt«, sagt Christiane Flehberger. »Zinssenkungen der EZB erwarten wir ab dem späteren zweiten Halbjahr 2024.« Ein Hoffnungsschimmer liegt vor allem im eindeutigen Trend zur Sanierung von Bestandsbauten, für die es eine steigende Nachfrage gibt – hier muss nur noch die Politik mit besseren Förderbedingungen nachziehen.