© saiko3p/shutterstock

Wo viel Reichtum, da viel Kunst. Das gilt nicht immer, aber in Genf besonders. Nicht nur das: Die Kunst ist hier auch von ausgezeichneter Schweizer Qualität. Und wer genau hinschaut, findet hinter den sauberen Fassaden reichlich wilde Avantgarde.

02.01.2024 - By Maik Novotny

Header-Bild: Monumentales Mahnmal Der »Broken Chair« von Daniel Berset steht gegenüber dem Völkerbundpalast (Palais des Nations) in Genf und fordert die dortigen Diplomat:innen mit eindrücklicher Symbolik auf, Landminen zu verbieten.

Uhren, Boutiquen und Chocolatiers. Banken, Versicherungen und Nobelhotels. Internationale Institutionen wie die UNO. Hightech-Forschung am CERN. Die ersten Assoziationen mit Genf deuten allesamt in Richtung Wirtschaft, Weltpolitik und Forschung. An Kunst denkt man nicht – schließlich gilt Basel mit seinen Museen und der Art Basel diesbezüglich als helvetischer Hotspot. Doch der Genfersee und die französische Schweiz waren immer schon ein Raum, in dem sich verschiedene Kulturen begegneten: die ­alpine, die mediterrane, die französische – und spätestens ab dem 19. Jahrhundert die ganze Welt. Genf ist zweifellos die internationalste Stadt der Schweiz, und neben der vielen Arbeit, die hier verrichtet wird, ist immer noch Zeit für Kunst – und natürlich auch reichlich Geld von solventen Sammler:innen. Neben den großen Museen hat sich vor allem das vor 20 Jahren etablierte Quartier des Bains zum Kunstmagneten entwickelt. In diesem ehemaligen Industrieareal zelebriert eine Gruppe von Galerien viermal im Jahre ihre »Bath Nights«, aber auch zwischen diesen Events gibt es mit Cafés, Restaurants und vielen Galerien reichlich Leben in der Stadt, die auf den ersten Blick so korrekt wirkt. Und schließlich gibt es auch noch den See und sein grandioses Panorama, das zu jeder Jahreszeit beeindruckt. Und das ganz umsonst.

FREITAG

Wir öffnen zunächst eine doppelte Schatzkiste von Kunst und Geschichte und testen danach ein experimentelles Laboratorium der Gegenwart.

Mah, bitte! Genau, das soll heute unser erster Wunsch sein, denn das MAH (Musée d’art et d’histoire) ist unser erstes Ziel. Es ist einer der großen Bildungstempel der Stadt, der 1910 als »Großes Museum« konzipiert wurde, als Schatzkiste menschlichen Wissens und Schaffens. Hier lernen wir, wie der Name schon sagt, einige Lektionen Geschichte und Kunst gleichzeitig, neben der Archäologie ist hier auch ­Malerei von Rubens, Cézanne, Picasso oder auch der Schweizer Malerin Louise-Cathérine Breslau zu sehen. Die Sammlung an Zeichnungen gehört zu den wichtigsten in Europa.

GESCHICHTE UND GEGENWART

Noch älter ist das Musée Rath, das heute institutionell zum MAH gehört. Das 1826 am Fuße der Altstadt eröffnete Museum ist der älteste Kunstbau der Schweiz und ergänzt heute die Sammlung des großen Partners mit Sonder­ausstellungen zu zeitgenössischen Themen, die aus der Fülle von Inhouse-Referenzen schöpfen können. So wird die Brücke von der Geschichte bis in die Gegenwart geschlagen. Nach diesem imposanten Beginn holen wir Luft und bewegen uns dann an die diskreten Ränder der Genfer Kunstwelt. Das Espace Labo – oder kurz »Le Labo« – ist eine Galerie im eher unscheinbaren Viertel Jonction im ­Westen der Stadt, am Zusammenfluss der Flüsse Arve und Rhône. Das 2008 gegründete Labo hat das Ziel, zeitgenössische Künstler:innen einem internationalen Publikum zu präsentieren, nebenbei hat man hier auch eine fein gepflegte Bibliothek an Kunsteditionen aufgebaut. Bis heute hat das Labo 43 Ausstellungen und 42 Events organisiert und sich so fest etabliert.

Musée d’Art et d’Histoire (MAH)
Wim Delvoye, Januar bis Juni 2024
mahmah.ch

Musée Rath
Ella Maillart, bis April 2024
mahmah.ch

Espace Labo
espacelabo.net

Starker Slogan Ausstellung im Musée Rath.

© Anne-Julie Raccoursier

Adresse für Avantgarde Die Galerie Espace Labo, bekannt für ihre hochkarätigen Kunstbucheditionen.

© beigestellt

Samstag

In Genf ist die Kunst nicht hinter ehrwürdigen Mauern gefangen, sie wagt sich immer wieder in die Stadt hinaus. Wir folgen ihr auf diesem Weg und stoßen dabei auf eine außer­gewöhnliche Frau.

Heute starten wir im Quartier des Bains, in dem sich ein Kunstkonzentrat herausgebildet hat, das allein schon den Besuch lohnt. ­Mittendrin: das Centre d’Art Contemporain. Diese 1974 gegründete Institution bietet Künstler:innen ein Artist-in-Residence-Programm und Besucher:innen mit dem Project Space ein Schaufenster in zeitgenössisches Schaffen in Installation, Musik, Malerei, Performance und Fotografie. Seit 2009 organisiert das Centre zudem die Biennale de l’Image en ­Mouvement (BIM), ein Fest der Bilder.

REIF FÜR DIE INSEL

Ein ganz besonderer Ort in der Stadt ist die Halle Nord: Sie befindet sich auf der schmalen Insel mitten in der Rhône, einem der ältesten besiedelten Bereiche der Stadt – in Genf schlicht »l’île« genannt. Das macht die Halle unübersehbar, und sie versteht sich selbstbewusst als Schaufenster der Kunst und Kultur mitten in der Stadt. Immer wieder springt das Halle-Nord-Programm aus der Insel in die Stadt, wenn das Festival Art au Centre Genève mit seinem Kunstparcours das gediegene Genf gehörig aufmischt. Wir jedoch verlassen die Innenstadt gleich ganz und fahren nach Süden in Richtung der französischen Grenze. Hier hat Barbara Polla 1991 einen kleinen Kunst-Außenposten eta­bliert: die Galerie Analix Forever. Ursprünglich Ärztin und Forscherin, hat sich Polla als Romanautorin und Politikerin einen Namen gemacht. Damit nicht genug, ist sie noch dazu eine Topgaleristin, große Namen wie Sarah Lucas, Tracey Emin, Maurizio Cattelan oder Vanessa Beecroft gaben sich bei ihr schon die Klinke in die Hand. Alles, was Genf ausmacht, konzentriert sich hier an einem Ort und in einer Person.

Centre d’Art Contemporain
Re/member your house, bis 23. 12. 2023
centre.ch

Halle Nord
Laurent Valdès, bis 9. 12. 2023
halle-nord.ch

Analix Forever
analixforever.com

Sonntag

Ein doppeltes Eintauchen ins Quartier des Bains, und zum Schluss eine Portion schweizerisch-ordentlicher Avantgarde.

Auch heute nimmt unsere Tour den ­Anfang im Quartier des Bains, und das gleich mit zwei Stationen. Zuerst besuchen wir das Centre de la photographie Genève (CPG), das seinen Namen zu Recht trägt. 1984 gegründet von elf heimischen Fotograf:innen, trägt es von Beginn an die Professionalität in der DNA. Dieses ernsthafte Interesse an der Rolle der Fotografie hat sich seitdem erweitert mit Konferenzen, Publikationen und ­einem eigenen Buchverlag. Von 2003 bis 2019 organisierte das CPG die Fotografie-Triennale 50JPG – und natürlich widmet man sich auch der digitalen Sphäre. Wir wechseln nur die Straßenseite und stehen schon im MAMCO, dem Musée d’art moderne et contemporain. Hier steht die Kunst seit 1960 im Fokus, und damit hat man sich in der Museumslandschaft ein eigenes Territorium geschaffen. Ein wohldurchdachtes Konzept der »globalen ­Ausstellung« macht das Museale mittels verschiedener Raumtypen selbst gleich mit zum Thema der Ausstellung. Die Sammlung des MAMCO umfasst mehr als 6.000 Werke und wächst parallel zur Gegenwart ständig weiter.

ORDENTLICHE AVANTGARDE

Zum Abschluss wandern wir noch einmal an den Rand, zu einer weiteren kleinen und engagierten Galerie. Espace 3353 im Süden von Genf eröffnete vor fünf Jahren, gegründet vom dreiköpfigen Kollektiv HOY. Mal in minimaler, mal in ausufernd performativer Form, geht es hier immer programmatisch und oft auch politisch zu und stets entlang einer klaren Linie, die alle Ausstellungen zusammenhält. Die Schweiz ist eben auch in der Avantgarde ordentlich. Und zum ­Abschluss? Ein Spaziergang am See und danach in die »Brasserie des Halles« auf der Insel.

Centre de la Photographie Genève
Riar Rizaldi, bis 14. 2. 2024
centrephotogeneve.ch

MAMCO
Tania Mouraud, bis 28. 1. 2024
mamco.ch

Espace 3353
espace3353.ch

Erschienen in:

Falstaff LIVING 08/2023

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