Mega-Projekt Neom in Saudi Arabien: The Line
Das Überschreiten einer Linie: Die Bilder sind faszinierend, für die Medien ist es ein gefundenes Fressen und die großen Architekturbüros sind voller Eifer: Das 500-Milliarden-Euro-Projekt NEOM, das mitten in die Wüste gebaut werden soll, hat aber auch seine Schattenseiten.
15.06.2023 - By Heimo Rollett
Es gibt kaum Transparenz, Anfragen zu diesem Projekt werden nicht beantwortet, ein paar aufregende Bilder schwirren herum sowie unterschiedliche Medienmeldungen. NEOM nennt sich das Gesamtvorhaben, es ist die große Idee von Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman und besteht im Wesentlichen aus vier einzelnen Megaaktionen – jeweils eine Stadt bzw. eine eigene Region.
Plötzlich Touristen in Saudi Arabien
Sindalah ist eine davon und wird als 840.000 Quadratmeter großer Spielplatz für globale Luxusreisende beschrieben, aufgeschüttete Inseln im Roten Meer mit Luxusmarina und »Ultra-Premium«-Unterkünften. Bis 2019 durften gar keine Tourist:innen in das Land, nun wird sogar um sie geworben, 100 Millionen bis 2030 sind das Ziel. Anders die achteckige Stadt namens Oxagon: Sie soll das Zentrum für neue, saubere Industrie, Kreislaufwirtschaft und Forschung werden. Im gebirgigen Teil des Wüstenlandes ist auf 60 Quadratkilometern ein Ski- und Outdoor-Resort namens Trojena geplant. Seehöhe: zwischen 1.500 und 2.600 Meter. Ski fahren soll man das ganze Jahr über können, die Macher wollen die asiatischen Winterspiele 2029 ausrichten. The Line ist schließlich wohl die bekannteste Idee: Eine 500 Meter hohe und nur 200 Meter breite, durchgehende Wand zerschneidet 170 Kilometer lang die Wüste. Wie genau die angepeilten neun Millionen Menschen hier glücklich leben sollen, wurde noch nicht erörtert. Peter Engert, Geschäftsführer der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) kann aufgrund der aktuellen Informationen auch nicht nachvollziehen, wie dieses ewig lange Ding sozial oder auch ökonomisch nachhaltig sein soll. Dafür eigne sich die Form in keinster Weise.
Todesstrafen und Stillschweigen
Überhaupt ist alles bei NEOM sehr nebulos. Architekt:innen und Co-Investor:innen haben einen Maulkorb verhängt bekommen, die offizielle Pressestelle meldet sich nicht zurück, die Weltöffentlichkeit ist von Gerüchten und Fake-anfälligen Internetinhalten abhängig. Die Medienartikel erinnern ein wenig an Porträts von Didi Mateschitz: Da haben die Gazetten auch immer nur von anderen abgeschrieben, weil einfach nichts Neues über den mittlerweile Verstorbenen herauszufinden war. Gerade mal ein paar Drohnenvideos von ersten kleineren Bauarbeiten kursieren im Netz. Der Zeitplan, bis 2030 fertig zu werden, scheint in jedem Fall ausgenommen sportlich. So stehen auch sehr große Fragezeichen im Raum: In einer auseinanderdriftenden Welt (westlich-demokratisch versus autoritär) geht es um Überwachung, um Gesichtserkennung, um Daten … Welches politische System wird in der gepriesenen Wunderwelt gelebt werden? Wie wird mit Kritiker:innen umgegangen? Der in der Region ansässige Howeitat-Stamm wird laut BBC und der Menschenrechtsorganisation ALQST gewaltsam vertrieben, Stammesmitglieder seien von saudischen Sicherheitsdiensten getötet worden und Todesstrafen wurden verhängt. Trotzdem wollen alle Architekturstars mit dabei sein. Einzig Norman Foster hat sich nach dem Bekanntwerden der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi aus dem Projekt zurückgezogen.
Mindestens wertlos
Engert fasst den aktuellen Stand so zusammen: »Vielleicht weiß man noch zu wenig, aber so, wie es jetzt geplant ist, ist es für die Menschheit mindestens wertlos.«