Neue Architektur in der Weinregion Bordeaux
Bordeaux ist der Nabel der Weinwelt – nirgendwo sonst auf diesem Planeten gibt es mehr Wissen um den vergorenen Rebensaft und sein Marketing. Aber nicht nur das. Bordeaux wird mehr und mehr auch zu einem Ort für zeitgenössische Architektur erster Güte.
13.07.2023 - By Ulrich Sautter
Es ließ sich irgendwann nicht mehr übersehen, berichtet Corinne Mentzelopoulos, die Grande Dame de Bordelais und Besitzerin von Château Margaux: »Es war zu eng geworden im Keller, wir brauchten dringend mehr Platz«. Denn zum einen hatte der Weißwein von Château Margaux, der »Pavillon blanc«, immer mehr Erfolg – und die Produktion wuchs langsam an. Beim Rotwein wiederum blieb die historische Fläche des Premier Cru Classé die gleiche – doch hier führte der Wunsch nach einer Steigerung der Weinqualität zu einer stetig steigenden Zahl separater Vinifkationen: Da der Ertrag jeder Parzelle separat gelesen wird, sollen auch die Trauben getrennt verarbeitet werden und nicht zusammen mit anderen in einem Bottich landen. »Aber«, fragt Mentzelopoulos, »wer bin ich, dass ich mir heraunehmen kann, etwas zu einem 200 Jahre alten Ensemble hinzuzufügen? Château Margaux ist ein Wahrzeichen für ganz Bordeaux. Da kann ich doch nicht einfach ein Gebäude dazusetzen! Ich dachte, das sei zu arrogant.«
fünf jahre planungszeit
Während Mentzelopoulos noch darüber unschlüssig war, wie eine Erweiterung gelingen könne, hatten Freunde eines Tages Lord Norman Foster mit aufs Weingut gebracht. Der berühmte Architekt sei einfach übers Gelände gelaufen, immer und immer wieder, erzählt Mentzelopoulos, sie habe sich fern von ihm gehalten, um ihn nicht zu stören, aber es sei ihr aufgefallen, wie er jedes Detail förmlich in sich aufgesogen habe. Schließlich habe er Skizzen von unglaublicher Schönheit angefertigt, mit einem neuen Kellergebäude ganz am östlichen Rand des Gebäudeensembles. »the new building (...) does not compete with the château« hat Foster handschriftlich auf die Skizze geschrieben: Der neue Keller trete in keinen Wettstreit mit dem berühmten Château und dessen ionische Säulen.
gestern und morgen
Genau so wurde die Kellererweiterung auch gebaut, ergänzt um ein unterirdisches Flaschenlager, das in seiner strengen Klarheit ebenso sehr dem Stil des Weins von Château Margaux huldigt, wie es Ausdruck des Stils von Norman Foster mit seiner klaren Formensprache ist. Im Jahr 2015 wurden die neuen Gebäude offiziell eingeweiht und ihrer Bestimmung übergeben. Das Wichtigste sei für sie persönlich, so sagt Corinne Mentzelopoulos, dass Foster nicht sein Ego in den Neubau projiziert habe. Der Bau drücke ein enormes Talent aus, und sei zugleich unglaublich bescheiden. Dabei ist in diesem Fall der Dialog, der unweigerlich entsteht, wenn ein Neubau etwas Bestehendem zur Seite gesetzt wird, einer der Feinheiten: Foster hat zwei Motive, die das Aussehen des 1815 eingeweihten Châteaus prägen, wieder aufgenommmen: Die Allee, die auf das Schloss zuführt, und die Säulen des Châteaus finden sich zitiert, indem Foster das Dach des Kellerneubaus auf schmale Säulen gesetzt hat, die sich wie zu einer Art Baumkrone auffächern, um die Dachkonstruktion zu tragen.
POSTMODERNE IRONIE
Einen anderen Zugang dazu, alt und neu zu vereinen, findet man 20 Kilometer nördlich im Ort Pauillac: Château Pédesclaux wurde 1855 als 5ème Cru Classé klassifiziert, doch im 20. Jahrhundert war das unweit von Mouton-Rothschild gelegene Weingut lange Zeit vom Radar der Bordeaux-Liebhaber:innen verschwunden. Erst als der Geschäftsmann Jacky Lorenzetti das Château und seine Reben im Jahr 2009 erwarb, kam wieder Dynamik auf, die Weine machen Jahr für Jahr große Fortschritte, der Weinberg wurde inzwischen von einstmals 26 auf 48 Hektar vergrößert und die Umstellung auf Biobewirtschaftung abgeschlossen. Um den Neuanfang sichtbar zu machen, beauftragte Lorenzetti den Architekten Jean-Michel Wilmotte mit einem Kellerneubau – und mit der Überarbeitung des bestehenden, recht kleinen Schlösschens. Der Kellerneubau, der ein Arbeiten mit Schwerkraft (also ohne den Einsatz von Pumpen) ermöglicht, ist ganz und gar von der Weinbereitung her gedacht. Der ästhetische Clou indes ist, wie die beiden Seitenflügel des Schlosses mit einer Glasfassade umgeben sind, die zum einen das Platzangebot im Gebäude erweitert, und zweitens den leuchtend hellen Kalkstein des Schlosses mitsamt seines kleinen Türmchens wie in eine Glasvitrine setzt. Die Erneuerung von Historie geht auf diese Weise mit ihrer Betrachtung als Ausstellungsobjekt einher: Das ist gerade für den Ort Bordeaux, auf dem die Augen der Weinwelt ruhen wie auf keinem anderen, ein ebenso passender wie witziger Kommentar.
der weinberg bestimmt
Auf Château Cheval blanc, einer anderen Weinlegende, konnte im Jahr 2011 ein Kellerneubau des Architekten Christian de Portzamparc in Betrieb genommen werden. Dieses Gebäude ist letztlich ganz von den Rebflächen her gedacht, die es umgeben: Das Kernstück des Kellers bilden 52 Gärbehälter aus Beton, die der Architekt nach den Entwürfen von Gutsdirektor Pierre Lurton designt hat. Genau 52 Gärbehälter mussten es sein, da der Weinberg von Cheval blanc aus genau 52 Parzellen besteht. Lurton wählte Beton als ein Material, das bei der Gärung die exakt richtige Menge von Sauerstoff an den werdenden Wein lässt, und die spezielle, geschwungene Form der Behälter hat positiven Einfluss auf die Dynamik der Gärungen. Die Betonhülle des Gebäudes mit ihren fließenden Linien ist wie eine sichtbare Fortsetzung dieses Weinbereitungsgedankens ins Freie. Auch das Dach des Gebäudes erfüllt eine Funktion: Ein großer Teil der Fläche ist begrünt, um das Kellerklima auf natürliche Weise zu regeln. Man hat von dort oben aber auch eine traumhafte Aussicht auf die Reben und die umliegenden Weingüter, auf ein wahres Paradies für Bordeaux-Begeisterte.