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Seoul fast forward: Der architektonische Masterplan für die Zukunft

Asiatische Traditionen, Gangnam Style und westlicher Kulturluxus gepaart mit Naturüberfluss, extremer Innovation und köstlichem Essen – Seoul ist ultimativ. Das spiegelt sich auch in der Architektur der Stadt wider. Nun ist ein Masterplan für die nächsten 100 Jahre in Ausarbeitung.

01.08.2023 - By Heimo Rollett

Header Bild: Lotte World Tower Mit 555 Metern schießt das Gebäude vom Boden weg in den Himmel. Es ist das fünfthöchste Gebäude der Welt. Von oben schaut man verblüfft auf die Zehn-Millionen-Einwohner-Stadt.

Ein untersetzter Typ mit Sonnenbrille, der, flankiert von mal mehr, mal weniger hübschen Menschen, in einem Parkhaus, einem Pferdestall, einer Sauna und einer U-Bahn wild herumhüpft – das Video zum skurrilen K-Pop-Hit »-Gangnam Style« des südkoreanischen Rappers Psy schaffte es vor zehn Jahren weltweit zur Nummer eins, ins »Guinness-Buch der Rekorde« und war mit 2,9 Milliarden Aufrufen das meistgesehene Video auf YouTube.

Reichtum statt Reisfelder

Gangnam ist eines der neuen Stadtviertel in der sich rasant entwickelnden Hauptstadt -Seoul. Wo in den Fünfziger- und Sechzigerjahren noch Reis- und Gemüsefelder waren, leben heute viele der wohlhabendsten Leute Südkoreas. Und zwar ziemlich dicht, immerhin drängen sich zehn Millionen Einwohner:innen innerhalb der Grenzen der südkoreanischen Hauptstadt aneinander – eine fast doppelt so hohe Bevölkerungsdichte wie in New York City. In der Metropolregion leben sogar über 25 Millionen, was sie zu einem der fünf größten Ballungsräume der Welt und zum viertgrößten Wirtschaftsraum der Welt macht. Grund genug, die Stadt ordentlich zu planen – und zwar für die nächsten 100 Jahre! Diesen Zeitraum strebt der aktuelle Masterplan an und dafür hat die Stadt einen Ideenwettbewerb ausgeschrieben. Klare Vorgabe: Nachhaltig und umweltfreundlich müssen die Beiträge sein. In der Ausschreibung heißt es: »In den letzten 50 Jahren hat sich die Stadt weder für ihre Bewohner noch für die Natur weiterentwickelt. Eine Stadtentwicklung, die auf kurzfristige Interessen ausgerichtet ist – wie etwa die Verschönerung des Äußeren, die Anziehung einer großen Zahl von Touristen oder den Nutzen für eine bestimmte Gruppe – führt zum gleichen Ergebnis wie der Bau einer Burg auf bröckelndem Sand.« Merklich ist das Versäumnis bei der enorm hohen Feinstaubbelastung. Erneuerbare Energie ist noch nicht State of the Art, derzeit wird noch immer viel zu viel aus fossilen Kraftwerken gewonnen, vor allem auch aus Kohle. Die von einer Jury ausgewählten Beiträge zur Zukunft Seouls und zum Ausweg aus diesem Dilemma werden ab Juli bei der »Seoul Biennale of Architecture and Urbanism« im Detail vorstellt. Expert:innen gehen davon aus, dass es sich dabei etwa um grüne Korridore, die in die bestehende Stadt eingeflochten werden, handelt. Schon jetzt ist die Stadt herausragend, was die Vielzahl und Unterschiedlichkeit architektonischer Bauwerke betrifft. Ihre Weltgewandtheit und ihr Innovationsanspruch spiegeln sich in den Immobilien wider, alle Großen haben hier gebaut: Herzog & de Meuron, Frank Gehry, Zaha Hadid, Dominique Perrault, Foster + Partners und viele andere verewigten sich in der Hauptstadt. Aber auch von kleinen Wohnungen können wir Europäer:innen uns etwas abschauen, vor allem, wenn es um Platzeffizienz geht. Multifunktionsmöbel, versenkbare Treppen und Tische und verschiebbare Wände gab es in Korea und Japan schon lange, bevor bei uns jemand die immer mickriger werdenden Wohnflächen als Smart-Wohnungen verkaufte. Seoul zählt zu den innovativsten Städten überhaupt. Rund 70 Milliarden Euro fließen hier pro Jahr in Forschung und Entwicklung. Koreanische Unternehmen sind führend bei der Entwicklung und Herstellung von Speicherchips (Samsung und SK Hynix), 5G (SK Telecom und KT), Displays (Samsung und LG), E-Government und im Bereich der Wasserstofftechnologie (insbesondere Hyundai/Kia). Die großen Industriekonglomerate, genannt »Chaebols« (Samsung, LG, SK, Hanwha etc.), richten ihr Augenmerk zunehmend auf den Aufbau von eigenen »Bioscience«-Sparten, weiß Wolfgang Köstinger, österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Seoul.

Incheon Tri-bowl Das mischgenutzte Kultur- und Kunstzentrum besteht aus drei schalenförmigen Gebäuden, die auf dem Wasser schwimmen. Der Entwurf stammt von IARC Architects. Der nächtliche Ausblick auf Songdo ist schon allein eine Reise wert.

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Saemoonan Church Eine was? Ja, eine Kirche. Und zwar 1887 in Korea gegründet und offensichtlich dem Fortschritt nicht abgetan. Ihr Flaggschiff ist das von der Seoinn Design Group und Eunseok Lee entworfene Gotteshaus. 

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SongEun Building Was spitzt sich denn da zu? Die Fassade des monolithischen Büro- und Kulturgebäudes aus der Feder von Herzog & de Meuron wurde mit tausend quadratischen Sperrholzplatten geschalt, was dem Beton ein taktiles Spiel verleiht.

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Louis Vuitton Maison Das Gebäude ist der erste Wurf von Frank Gehry in Südkorea, das Dach ist auch eine Anspielung auf die geschwungenen Dächer der traditionellen koreanischen Architektur.

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Seoul City Hall Alt trifft Neu – auch in Seoul. Hinter dem Bestand wölbt sich der neue Teil des
Rathauses auf. Was für eine Symbolik für diese Stadt!

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Dongdaemun Design Plaza  Das DDP, geplant von Zaha Hadid und Samoo, wurde zu einem Wahrzeichen der Stadt und ist das Herzstück des -südkoreanischen Modezentrums. Es -dürfte auch eine wesentliche Rolle bei der Ernennung Seouls zur Weltdesignhauptstadt 2010 gespielt haben – auch wenn es erst 2014 fertiggestellt wurde.

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K-Beauty, K-Pop und Kimchi

Noch ein Rekord: Seoul ist die Hauptstadt der Schönheits-OPs. Das Aussehen hat einen weit höheren Stellenwert als bei uns, überall gibt es Beauty-Shops und Dienstleister:innen, Operationen sind Normalität. Zugleich feiert man den Kitsch – alles, was niedlich ist, große Augen hat, glitzert oder funkelt, ist in. So wie K-Pop, die koreanische Unterhaltungsmusik. Auch für gutes Essen hat man viel übrig, was wir zu Hause in Europa auch langsam erfahren dürfen, denn koreanische Küche ist hierzulande auf dem besten Weg, zum nächsten großen Trend zu werden. Bulgogi und Kimchi kennt man schon, Bibimbap (die Mutter aller Bowls) und Tteokbokki (nudelartiger Reiskuchen, in jedem Asialaden zu kaufen und einfach zuzubereiten!) sind im Kommen.

Schweinefleisch aus Österreich

»In Asien ist Südkorea, nach China und Japan, Österreichs drittwichtigster Handelspartner«, meint Wolfgang Köstinger. Sowohl Exporte nach als auch Importe aus Südkorea konnten zuletzt zulegen. Die Exporte nach Südkorea stiegen im letzten Jahr um satte 36,5 Prozent (auf fast 1,8 Milliarden Euro) gegenüber 2021. Vor allem kauft das asiatische Land Kraftfahrzeuge, Traktoren, Motorräder, Maschinen und elektronische Erzeugnisse aus Österreich, und – eher verblüffend – Schweinefleisch! Der Fleischkonsum in Südkorea sei in den letzten Jahren stark gestiegen und der Großteil des Schweinefleisches werde aus dem Ausland importiert, erklärt Köstinger. Österreichische Erzeuger:innen hätten zuletzt davon ­profitiert, dass die südkoreanische ­Regierung ein Importverbot über deutsches Schweine­fleisch verhängt hatte, weil in Deutschland die Schweinepest wütete. Rund 60 österreichische Unternehmen sind in Südkorea wirtschaftlich aktiv. Die größte Niederlassung eines heimischen Unternehmens in Südkorea ist mit 300 Mitarbeiter:innen ein Werk von AT&S, wo bedruckte Halbleiterplatten für den Medizinbereich (z. B. Cochlea-Implantate) hergestellt werden. Engel (Kunststoffspritzgussmaschinen), AVL (Software für autonomes Fahren) und die Firma Geislinger (Dämpfungssysteme für den Schiffsbau) sind weitere Player in Südkorea.

Rasanter Aufstieg Seouls

Durch den Koreakrieg, den größten Stell­vertreterkonflikt im Kalten Krieg, wurde das Land komplett zerstört, es zählte zu den ärmsten der Erde. Seit dem Ende des Krieges und den nachfolgenden Militärregierungen, die bis 1987 an der Macht waren, ist viel passiert. Eine Gesellschaft der extremen Innovation wurde aufgebaut. Da kann man als Kollateralschaden K Pop-Lieder, die über einen wirren »Gangnam Style« plärren, ruhig in Kauf nehmen.

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