© Dexter D. Cohen

Venedig: Wir haben schon mal über die Mauern von Arsenale und Giardini gespäht und die Highlights und Themen notiert. Fest steht jetzt schon: Der Event wird südlicher, weiblicher und jünger. Kein schlechter Anfang.

11.05.2023 - By Maik Novotny

Veränderung – das schien das Motto der letzten Architekturbiennale in Venedig gewesen zu sein, wenn auch eher ein unfreiwilliges. Aufgrund der Coronapandemie wurde ihre Eröffnung mehrfach verschoben und die nachfolgende Kunstbiennale gleich mit. Die von Kurator Hashim Sarkis gestellte Frage »How will we live together?« bekam durch das Social ­Distancing eine ganz neue Dringlichkeit.

Labor der Zukunft

Die 18. Biennale eröffnet am 20. Mai dieses Jahres nach Plan, es scheint also alles wieder in geregelten Bahnen zu verlaufen an den Ausstellungsorten Arsenale und Giardini. Doch den Change hat man vorsichtshalber schon von vornherein ins Programm genommen. »Von Anfang an war klar, dass die Veränderung unser Hauptthema sein würde. Aber was bedeutet es, ein Akteur der Veränderung zu sein?« fragt die ghanaisch-schottische Architektin Lesley Lokko, die erste schwarze Kuratorin der ­Biennale. Sie stellt die diesjährige Ausstellung unter das Motto »Laboratory of the Future« und griff von Beginn an auch die Diskussionen um das Event selbst auf, die während Corona noch lauter geworden waren: Ist der Aufwand an ­Material, Menschen und Reisekosten für diese Architektur-Selbstbeschau wirklich noch zu rechtfertigen? Kann man ans Klimagewissen und ans nachhaltige Bauen appellieren, während man selbst mit großem CO2-Fußabrdruck durch die fragile Lagunenstadt stapft?

Ja und nein. Auch 2023 wird sich die Architekturprominenz bei vielen Gläsern Spritz auf die Schultern klopfen, doch Lesley Lokko hat für einige Veränderungen gesorgt und wichtige Schwerpunkte verschoben. Mehr als die Hälfte der 89 Teilnehmer:innen der Hauptausstellung haben afrikanische Wurzeln, die Hälfte ist weiblich, das Durchschnittsalter ist jünger als zuvor, die großen Player sind in der Minderheit. Die Schlagworte Dekolonisierung und Dekarbonisierung werden also mit viel Bedeutung gefüllt, die Klimakatastrophe schwebt über allem.

Nicht nur in der zentralen Ausstellung, sondern auch in vielen Nationenpavillons wird dem fossilen Zeitalter der Kampf angesagt. Die USA widmen sich dem Thema Plastik, Finnland der spar­samen Toilette, Spanien dem Thema Ernährung. Das Thema Ressourcen wird mehr noch als 2021 überall auftauchen. Der belgische Pavillon macht sie ebenso zum Hauptthema wie der deutsche, und in der Ausstellungsarchitektur werden Materialien wiederverwertet, wo es nur geht. Auch am Social Turn der Architektur wird weiter gedreht, also: weg vom Elitären und Schillernden.

Augen auf Austria

Ganz besonders gespannt sein darf man dieses Jahr auf den Beitrag Österreichs. Nachdem ­dieser in den letzten Jahren wahlweise harmlos, beliebig oder verkopft war, wurde schon die so ungewöhnliche wie bestechende Kombination des jungen Kollektivs AKT mit der lebenden Architekturlegende Hermann Czech freudig begrüßt. Ihr Plan ist, den Pavillon für die Anrainer:innen zu öffnen und damit auch den Ausverkauf und Bevölkerungsschwund der vom Overtourism geplagten Stadt zu ­thematisieren. Hoffen wir, dass es klappt! Es dürfte also ausreichend Content geliefert werden, der das Besucher:innen-Gewissen wieder beruhigt und für reichlich Diskussionen sorgt. Und auch diesmal werden, wie jedes Jahr, wieder manche fordern, den ganzen ­Zirkus abzuschaffen. Das gehört schließlich zur Biennale-Folklore.

Apropos Zirkus: Damit der mahnende Zeigefinger nicht alles erdrückt, wird das von Rolex gesponserte Begleitprogramm »Carnival« ein halbes Jahr lang mit Events, Filmen und Performances die Hallen, Gärten, Kanäle und Piazze Venedigs beleben. Abre tutte le porte!

Erschienen in:

Falstaff LIVING Nr. 03/2023

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