Bergluft: Der Ruf des Reizklimas

In großen Höhen gedeihen Pflanzen anders als in tieferen Regionen. Das gilt auch für Menschen: Klimatische Besonderheiten in den Bergen lassen uns heilen, stärken unser Immunsystem und steigern unsere Leistungsfähigkeit.

07.05.2024 - By Melanie Gleinser-Moritzer

Reizendes Wetter?« »In der Tat!« So oder so ähnlich stellt man sich vielleicht Sommer­frischler:innen um die Jahrhundertwende bei der Konversation vor. Damals fuhr man in die Berge wegen des guten Klimas. Reizend war es wortwörtlich. Dieses besondere Klima birgt nämlich auch viele besondere Eigenheiten. Auch wenn man es damals noch nicht genau wusste, so spürte man es schon: Der Stoffwechsel und die Gesamtaktivität des Körpers werden angeregt und können damit für ­bestimme Erkrankungen ein Heilfaktor sein.

Drum' immer höher ...

Mitunter ein bedeutsamer: Je nach Höhenlage, besonderen Gegebenheiten wie starken Temperatur- und Luftdruckschwankungen sowie intensiver Sonneneinstrahlung wird der Organismus gefordert und gefördert. »Unsere alpine Naturlandschaft mit ihren spezifischen Wirkungsfaktoren bietet uns eine Vielzahl an Möglichkeiten, um unsere physische und psychische Gesundheit gezielt zu verbessern«, weiß auch Johanna Freidl, Phd, vom Institut für Ökomedizin der ­Paracelsus Medizinische Privatuniversität Salzburg. Dazu gehören positive Effekte auf die Haut, die inneren Organe, den Stoffwechsel, aber auch die Seele. Nicht zu vergessen: die Atemwege. Ein Highlight in diesem Kontext sind sogenannte Heilstollen. Diese stillgelegten Bergwerksstollen wirken durch ihr spezielles Mikroklima wie ein Turbo auf den Körper. Als sogenannte Klimatherapie benannt, sind Heilstollen vor allem für ihren positiven Einfluss auf die Atemwege ­bekannt. Die Luftfeuchtigkeit liegt bei fast 100 Prozent und die Luft ist frei von Pollen, Schwebestaub und anderen Mikro­partikeln. Lunge und Bronchien können so wieder – und dies ganz wortwörtlich – aufatmen.

Von Heilstollen, Bronchitis & Co.

Patient:innen mit Asthma, chronischer Bronchitis oder COPD profitieren ungemein von dieser einzigartigen Therapieform. Aber auch Long-Covid-Patient:innen können hier durchschnaufen, da die Schleimhäute endlich abschwellen können. Im Salzburger Land und in Kärnten finden sich einige Heilstollen, die vom oberen Drautal bis nach Bad Gastein reichen. Letzterer Heilstollen ist mit seiner Kombination aus hoher Luftfeuchtigkeit, Wärme und Radon, einem geruchlosen Gas, weltweit einzigartig! Wissenschaftliche Studien bezeugen ihm immer wieder eine lang anhaltende Schmerzlinderung bei rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparats, der Atemwege und der Haut.

Die Zeit heilt alle Wunden

Um in den Genuss dieser heilenden Wirkung zu kommen, sollte man allerdings einen längeren Aufenthalt in den Bergen ein­planen. Ärzt:innen und Therapeut:innen sprechen von mindestens zwei Wochen, empfohlen werden aber bis zu sechs. Die Vorstellung von einer derart langen Auszeit lässt einen unvermittelt an die eingangs erwähnte Sommerfrische denken. Um die Jahrhundertwende, als die Mühlen noch langsamer mahlten, konnte sich die ­gehobene Klientel für einen ganzen langen Sommer aus dem Alltag verabschieden. Ein beliebtes Ziel seit den Anfängen des ­Tourismus war da vor allem das Oberengadin. Hier spricht man – übrigens ähnlich wie in Seefeld in Tirol – vom ­berühmten »Champagnerklima«. Das ­beschreibt weniger – obwohl naheliegend – Champagner trinkende Gäste als das belebende und prickelnde Klima auf gut 1.800 Höhenmetern. Die dünne, allergenarme, ständig bewegte Luft und die starke Sonneneinstrahlung bilden hier besonders starke Reizfaktoren, die zu einer Stimulation aller Körperfunktionen führen. So wirkt das ­Klima auf die Haut, die inneren Organe und den ­Stoffwechsel – und man spricht ihm sogar einen positiven Stimulus für die Seele zu.

Auf ins Reizklima?

Kein Wunder also, dass Thomas Mann, Schriftsteller und ­bekennender Sommerfrischler im Engadin, seinen Aufenthalt vor Ort als »der schönste Aufenthalt der Welt« bezeichnete. Man darf sich einen Besuch im Reizklima allerdings nicht als Spaziergang vorstellen, vor allem dann nicht, wenn man mit Vorbelastungen und/oder sportlichen Ambitionen anreist. In hohen Lagen ist der Sauerstoffgehalt deutlich geringer. Wer also ­hierherkommt und trainieren will, muss sich erst akklimatisieren! Das dauert im Schnitt drei bis vier Tage. Idealerweise bleibt man dementsprechend drei bis vier Wochen auf dieser Höhe und variiert immer wieder. Mal geht’s für ein paar Stunden etwas rauf, dann wieder etwas runter. Diese sogenannten »Zwischenhöhe« helfen dem Körper bei der Anpassung. Der Benefit ist ungemein und viele Leistungssportler:innen, die in die Alpen kommen, merken schnell: Wenn man die luftigen Höhen wieder verlässt, hat die Leistungsfähigkeit stark zugenommen. Conclusio? Eigentlich sollte jede:r seine ­Ferien in den Bergen verbringen! Man muss aber nicht zwingend in luftige Höhen hinaufsteigen, um seiner Gesundheit Gutes zu tun. Berge und Täler und ihre besonderen Gegebenheiten schaffen in den ­Alpen viele kleine Mikroklimata, die unterschiedlich wirken und unterschiedliche Benefits mitbringen. So auch auf der Südseite der Nordalpen, wo etwa der idyllische Wolfgangsee liegt: Dessen besondere Lage begünstigt einen ständigen Luftaustausch. Es entsteht kein Kesseleffekt, der etwa sehr nachteilig für Herzpatient:innen ist. »Herzklima« ist übrigens ein Stichwort, das in der Sportmedizin immer wichtiger wird; seit 2017 forscht man dazu sogar ­eigens im Engadin und ist sich einig: Die therapeutische Nutzung des Höhenklimas macht eigene Rehabilitationszentren notwendig. Hightech-Medizin als logische Weiterführung einer Tradition der Sommerfrische? Ja, durchaus!

Der Wolfgangsee verfügt über ein für den menschlichen Organismus sehr wohltuendes Mikroklima.

(c) Unsplash

Erschienen in:

Falstaff Happy Life 01/2024

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