© Rita Newman

Jubiläum in Linz: 200 Jahre Anton Bruckner

Es zog ihn hinaus in die Welt. Doch wo auch immer er war, ob in Wien, Paris, Leipzig oder London, immer wieder kehrte der große Komponist in seine Heimat zurück. Denn nirgendwo fühlte er sich so wohl und verstanden wie hier. Vom Essen erst gar nicht zu reden.

03.04.2024 - By Judith Hecht

Er hätte es sich nie träumen lassen. Und sein großer Kontrahent Johannes Brahms schon gar nicht, prophezeite er doch seinem musikalischen Erzfeind folgendes Schicksal: »Bei Bruckner handelt es sich um einen Schwindel, der in ein bis zwei Jahren tot und vergessen sein wird.« Weit gefehlt!
Zu seinem 200. Geburtstag wird Anton Bruckner allerorts geehrt und gefeiert, und zwar gleich ein ganzes Jahr lang. ­Allerdings nirgendwo so freudig und ausgelassen, wie in seiner Heimat ­Oberösterreich. 2024 wird seine Musik an jedem einzelnen Tag erklingen, Jung und Alt werden seine Werke spielen – in großen und kleinen Formationen und überall: in Konzertsälen, Gasthäusern, Schulen, Kirchen, zu Hause, unter freiem Himmel und auch dort, wo es niemand erwarten würde: Am 15. Juni etwa wird in der Produktionshalle der Saline ­Ebensee eine Vielzahl von Chören die Motetten des Komponisten anstimmen und das ­Bruckner Orchester Linz Auszüge aus seinen Sinfonien erklingen lassen. Noch so einiges mehr wird zu hören sein, mit dem die Zuschauer nicht rechnen. Genau das hätte dem großen Musiker aus Ansfelden entsprochen. Keiner verstand es so wie er, mit seinen Improvisationen zu überraschen und mit seiner Musik völlig neue Räume zu eröffnen, um die Welt staunend darin zu versammeln.

Ihm lag es fern, andere ­auszuschließen, wusste er doch allzu gut, wie es sich ­anfühlt, Außenseiter zu sein und von ­naserümpfenden Städtern als »Tölpel vom Land« abgekanzelt zu werden. Miteinander anstatt jeder für sich agiert man deshalb in Oberösterreich, wo 2024 ja nicht nur das Brucknerjahr gefeiert wird, sondern sich das Salzkammergut auch als Kulturhauptstadt Europas präsentiert. Das Salinenkonzert »Bruckners Salz« ist nur ein Beispiel für das gemeinsame Wirken. Eine Klanginstallation zwischen dem Dom zu Notre-Dame und den Eishöhlen am ­Dachstein ein weiteres: Am Abend des 15. April 2019 brannte Notre-Dame, die »Seele von Paris«, Wahrzeichen ­europäischer Kultur. Die Glocken wurden verschont, verstummten aber auf Jahre. Still »lauschen« sie seitdem dem Treiben der Stadt und den Geräuschen der Baustelle. Der US-amerikanische ­Sound-Artist Bill Fontana macht diese »harmonische Antwort« der Glocken durch Vibrationssensoren hörbar, überträgt die Klänge in die Eishöhlen am Dachstein und spielt sie wie in einem Duett mit den Klängen des schmelzenden Gletschers wieder zurück nach Paris. Ein künstlerisches Statement zum Klimawandel und zur Zerbrechlichkeit von Kultur. Dafür scheint der Parzival-Dom in den Eishöhlen des Dachsteins der perfekte Ort zu sein. Er trägt ein unschätzbares Geheimnis in sich, wie es im Sinne Anton Bruckners Komposition »Locus iste« heißt: ein Geheimnis, das uns Menschen die Frage stellt, wie wir in Zukunft mit der Natur leben wollen.

Dirigent Christian Thielemann und die Wiener Philharmoniker werden am 19. September 2024 Bruckners erste Sinfonie im Brucknerhaus in Linz erklingen lassen.

© Matthias Creutziger

ANTON BRUCKNER WAR ÜBERALL

Wer in Oberösterreich auf Bruckners Spuren wandeln will, kann unmöglich nur an einem Ort verweilen. Im kleinen Dorf Ansfelden hat alles begonnen. Bruckner verbrachte dort seine Kindheit. Sein Vater, ein Volksschullehrer, der seinen kargen Lohn als Dorfmusikant und als Kantor in der Kirche aufbesserte, erkannte die Musikalität seines Sohnes sehr schnell. Er unterrichtete seinen Buben in Harmonielehre, Komposition und Kontrapunkt und lehrte ihn auch das Geigen-, Klavier- und Orgelspiel. Doch als Bruckner 13 Jahre alt war, starb sein Vater unerwartet. Sein Tod bedeutete für seinen Sohn gleich einen mehrfachen Abschied: vom Vater und auch von Ansfelden. Denn seine Mutter schickte ihren Ältesten in das nahe gelegene Stift Sankt Florian. In dem barocken Stift begegnete Bruckner seiner vielleicht größten, mit Sicherheit aber einzigen glücklichen Liebe seines Lebens, einer Liebe mit 74 Registern und 5230 Pfeifen: der heute nach ihm benannten »Bruckner-Orgel«. Sie zog ihn magisch an. Auch als er als 20-Jähriger eine Stelle als Hilfslehrer in der Schule von St. Florian antrat, verbrachte er jede freie Minute im Stift, um auf der Orgel zu spielen und zu komponieren. So wurde aus dem Dorflehrer schon bald der Stiftsorganist. Dem Stift blieb der streng gläubige Bruckner auch eng verbunden, als er die Stelle als Domorganist in Linz antrat. Und auch als er schon in Wien lebte und als Professor am Wiener Konservatorium und Hoforganist tätig war, zog es ihn immer wieder dorthin zurück. Ebenso wie nach Linz. Dort verbrachte der Musiker zwischen1855 und 1868 überaus lehrreiche und produktive Jahre. Und im nahe gelegenen Luftenberg an der Donau fand er bei seinen abendlichen Kegelrunden feuchtfröhliche Ablenkung von seiner anstrengenden Arbeit. Doch am wohlsten fühlte er sich Steyr. Zwanzig Mal verbrachte er die Sommermonate in dem lieblichen Städtchen, wo er stets im »Alten Pfarrhof« wohnte. Dort entstanden auch Teile seiner achten und neunten Sinfonie. Die Ruhe und die Gesellschaft von Menschen, die ihm allesamt wohlgesonnen waren, taten ihm gut und inspirierten ihn.

G’SELCHTEM KONNTE ER NICHT WIDERSTEHEN

Und mit der Zeit fand er sich in Steyr auch kulinarisch zurecht. Jedes einzelne Wirtshaus probierte der Genussmensch dort aus, bis er herausgefunden hatte, wo ihm das Essen am besten schmeckte. Nachdem er im »Gasthaus Sinzinger« einmal eine g’füllte Kalbsbrust aufgetischt bekam, die ganz und gar seinen Vorstellungen entsprach, wurde er dort zum Stammgast. So diszipliniert Bruckner war, wenn es ums Essen und Trinken ging, kannte er kein Maß und Ziel. Deshalb machten ihm Übergewicht, Diabetes und Herzprobleme in seinen letzten Lebensjahren sehr zu schaffen. Seine Ärzte verordneten ihm strenge Diäten, allein er hielt sich nur vordergründig daran. Als er einmal mit Franz Xaver Bayer, dem damaligen Regens Chori der Stadtpfarrkirche Steyr, einen Ausflug nach Ternberg machte und im »Gasthof Derfler« einkehrte, versagte er sich, etwas Deftiges zu bestellen. Seinen Freund Bayer drängte er jedoch, sich unbedingt ein G’selchtes mit Knödel zu bestellen, freilich mit dem Hintergedanken, ausgiebig davon kosten zu können. So geschah es auch.

ORGELMUSIK AUCH IM JENSEITS

Bruckner, auf den der Tod von Kindesbeinen an eine besondere Faszination ausgeübt hatte, regelte gegen Ende seines Lebens akribisch, was mit ihm nach seinem letzten Atemzug geschehen solle. Und seine Vorstellungen entsprachen nicht denen eines bescheidenen, zurückhaltenden Mannes, als der er so gerne gesehen wurde. Nirgendwo sonst wollte er seine letzte Ruhe finden als in einem frei stehendem Sarkophag aus Zinn in der Gruft der Stiftsbasilika St. Florian, wo auch die Augustiner-Chorherren bestattet sind. Der Sarg, so verfügte er in seinem Testament, habe direkt unter seiner geliebten Orgel zu stehen. Denn der begnadete Orgelspieler wollte nicht nur einen Ehrenplatz einnehmen, viel wichtiger noch war es ihm, sein Grab an einer Stelle zu wissen, von der er die Orgel so gut wie irgend möglich hören konnte. Nach dem Tod des großen Meisters am 11. Oktober 1896 wurde all seinen Wünschen entsprochen. »Non confundar in aeternum« – »In Ewigkeit werde ich nicht zuschanden« steht auf dem Sockel seines Sarkophags geschrieben. Es ist die Schlusszeile seines »Te Deum«. Das Werk sei der Stolz seines Lebens, sagte der gottesfürchtige Bruckner immer wieder: »Wenn mich der liebe Gott einst zu sich ruft und fragt: ›Wo hast du die Talente, die ich dir gegeben habe?‹, dann halte ich ihm die Notenrolle mit meinem ›Te Deum‹ hin, und er wird mir ein gnädiger Richter sein.«

DIESER BEITRAG ERSCHIEN IM FALSTAFF KULTUR OBERÖSTERREICH SPECIAL 2024.

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