© Timo Ohler, courtesy ECoC Bad Ischl Salzkammergut 2024

Hotspot der Künste: Die Kultur-Bucketlist für das Salzkammergut

Schon um die Jahrhundertwende hielt die künstlerische Avantgarde im Salzkammergut Einzug und befruchtete Land und Leute mit ihrer Kreativität. Die Nationalsozialisten vertrieben nicht nur sie, sondern auch alle anderen hier ansässigen Juden. Das Zeitgeschichte Museum Ebensee hat sich mit ihren Schicksalen intensiv befasst.

29.03.2024 - By Judith Hecht

Nicht nur Kaiser Franz Joseph hielt jedes Jahr im Sommer mitsamt seinem Gefolge Hof im Salzkammergut. Auch Künstler zog das Land zwischen Gmunden und Aussee, zwischen Ischl und Hallstatt magisch an – und tut es heute noch. »Es ist entsetzlich, scheußlich hier in Wien, alles verdorrt, heiß, greulich, dazu die viele Arbeit, der ›Rummel‹ – ich sehne mich hinaus wie noch nie – hoffe bestimmt längstens Samstag früh bei Euch zu sein«, schrieb der Maler Gustav Klimt an seine Lebensliebe Emilie Flöge im Juni 1901, kurz bevor er Richtung Attersee aufbrach, um erst zwei Monate später wieder nach Wien zurückzukehren.

Was Giverny für Claude Monet, die Provence für Paul Cézanne und ­Krumau für Egon Schiele war, wurde das ­Salzkammergut für den wohl berühmtesten Avantgardisten seiner Zeit. Wie ihn inspirierten August Strindberg, Gustav Mahler, Carl Zuckmayer, Arthur ­Schnitzler, ­Adalbert Stifter – um nur einige Kunstschaffende zu nennen – Berge, Seen, Wiesen und Wälder dieser Region. Alles haben zu können, Ruhe wie Geselligkeit, Beschaulichkeit wie Ausgelassenheit, das war es, was das ­Salzkammergut für sie alle so einzigartig machte. Und umgekehrt waren es ebendiese Künstler, die es in der warmen Jahreszeit in einen Hotspot der Kultur und der Weltoffenheit verwandelten. Denn weder Klimt noch Mahler waren in alten ­Traditionen verfangen. Im Gegenteil: Mit ihren Werken wagten sie Neues, beschritten unbekanntes Terrain. Dass Kritiker ihre Kunst nicht verstanden und ablehnten, konnte sie nicht abhalten, ihrem Impetus zu folgen.

»Welt-Salon«: ein Treffpunkt, um der Prägung der Region durch Migration zwischen Diskurs und Konzerten auf die Spur zu kommen.

»Welt-Salon«: ein Treffpunkt, um der Prägung der Region durch Migration zwischen Diskurs und Konzerten auf die Spur zu kommen.

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DER SEE SINGT

Gustav Mahler verschlug es das erste Mal im Jahr 1893 ins Salzkammergut, genauer gesagt an den Attersee. Seine Schwester Justine hatte den Auftrag gehabt, für ihren Bruder, der damals erster Kapellmeister des Hamburger Stadttheaters war, einen Ort ausfindig zu machen, der in einer stimulierenden Landschaft liegt und wo das Quartier nicht allzu viel kostet. In Steinbach, einem kleinen Dorf am Ostufer des Attersees, fand sie, was sie suchte, und mietete in dem schlichten Landgasthaus »Zum Höllengebirge« für Juli und August gleich eine ganze Etage. Schließlich reiste Mahler nicht allein an, sondern mit seinen Geschwistern und seiner Seelenverwandten Natalie Bauer-Lechner.

Dem leicht reizbaren Mahler war es zwar überaus wichtig, während seiner Ferien den Großteil seines Tages völlig ungestört komponieren zu können, aber die Mahlzeiten verbrachte er dann doch lieber in illustrer Runde. Kurzum, der Aufenthalt an dem türkisfarbenen See in ­Oberösterreich verlief so, wie er es sich vorgestellt hatte, denn er kam mit dem Komponieren bestens voran. Deshalb entschloss sich der Mahler-Tross, auch in den kommenden Jahren nach Steinbach zurückzukehren. Abgeschirmt in einem kleinen Häuschen direkt am See, das Mahler für sich inzwischen errichten hatte lassen, kamen ihm die besten Ideen. »Ich bin in der Arbeit! Das ist die Hauptsache! Mein Häuschen (auf der Wiese), neu gebaut, ein idealer Aufenthalt für mich! Kein Laut in der weiten Runde! Umgeben von Blumen und Vögeln (welche ich nicht höre, sondern nur sehe) …«, schrieb er im Juni 1894 an seinen Freund, den Physiker Arnold Berliner. Seine Ausflüge ins Höllengebirge und seine Spaziergänge am See befruchteten seine Schaffenskraft ebenfalls: »Der See singt«, vertraute er einem einheimischen Handwerker an, so als verrate er ihm ein lang gehütetes Geheimnis.

Wenige Jahre später wurde Mahler aus seinem Paradies vertrieben. Denn der neue Pächter des Grundstücks, auf dem sein geliebtes »Schnützelputzhäusel« stand, wollte Unsummen für die Miete des Kleinods. Schweren Herzens entschied sich der Musiker seine Salzkammergut-Sommerfrische aufzugeben. Im Spätsommer 1896 verließ er Steinbach und kehrte nicht wieder zurück.

PARADIES AUF ZEIT

Vertrieben wurde auch ein anderer großer Künstler aus dem Salzkammergut, jedoch nicht von einem unverschämten Pächter, sondern von den Nationalsozialisten. Der Schriftsteller Carl Zuckmayer war einer von vielen jüdischen Intellektuellen, die hier ihre Heimat gefunden hatten – und gezwungen waren, sie von einem Tag auf den anderen zu verlassen. 1926 hatte der Autor von »Der fröhliche Weinberg«, »Schinderhannes« oder »Der Hauptmann von Köpenick« eine alte Mühle in Henndorf am Wallersee gekauft. Schnell freundete er sich mit den Einheimischen an, denen seine Berühmtheit völlig gleichgültig war. Gesellig, wie ­Zuckmayer war, lud er auch seine ­Künstlerkollegen zu sich nach Hause ein. Ödön von Horváth vollendete in Henndorf seinen Roman »Jugend ohne Gott«, Alexander Lernet-Holenia radelte regelmäßig vom ­Wolfgangsee hinüber zur Wiesmühl nach Henndorf, um seinen Freund zu sehen, und Stefan Zweig reiste aus Salzburg an und schenkte dem tierliebenden Gastgeber die zwei Springer-Spaniels Flick und Flock. Auch Thomas Mann, Franz ­Werfel, Gerhart Hauptmann und Bruno Frank ­besuchten die Zuckmayers. Doch viel schneller, als er und seine Freunde es sich hatten vorstellen können, hatte die wunderbare Zeit dort, »wo ich mein irdisches Dasein auszuleben hoffte«, ein Ende. 1938 musste Zuckmayer mit seiner Familie das Land verlassen und emigrierte in die USA. Die Nazis beschlagnahmten 1939 die Wiesmühl. Zehn Jahre später wurde ihm »sein Paradies auf Zeit« wieder rückgestellt. Doch er und seine ­Familie wollten sich nicht mehr in Henndorf niederlassen. Sie versuchten, neue Wurzeln in Saas-Fee in der Schweiz zu schlagen, ­fernab von schmerzvollen Erinnerungen.

Vielen jüdischen Familien im ­Salzkammergut erging es so wie den Zuckmayers und ihren berühmten Künstlerkollegen. Doch welches Schicksal ihnen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten widerfuhr, interessierte kaum jemanden. Viel zu lange war die jüdische Bevölkerung des Salzkammerguts aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden. Doch die Kulturhauptstadt Bad Ischl ­Salzkammergut 2024 gibt ihr endlich jene Aufmerksamkeit, die ihr schon längst gebührt hätte. Schon in den vergangenen Jahren hat das Zeitgeschichte Museum Ebensee begonnen, die Biografien jener ­Juden und Jüdinnen zu recherchieren, die vor und während des Zweiten Weltkriegs hier lebten. Dabei entstand das Buch »­Jüdische Familien im ­Salzkammergut«, das die Einzelschicksale der Frauen, ­Männer und Kinder dokumentiert. Im April 2024 wird es in Bad Ischl, Ebensee und Gmunden präsentiert.

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