Was macht eigentlich ... Ross Lovegrove
Der Waliser Ross Lovegrove gilt als Meister des biophilen Designs und als Vordenker, wenn es darum geht, neue Technik und neue Materialien auf jeder Ebene nachhaltig zu kombinieren.
08.05.2024 - By Manfred Gram
Spitznamen sind meist eine zweischneidige Angelegenheit. Im besten Fall lassen sie sich als Ehrenbekundungen lesen. Dummerweise ist das aber nicht immer so. Bei Ross Lovegrove, dem weltberühmten Designer aus Wales, allerdings schon. »Captain Organic« wird er vor und hinter seinem Rücken gerufen. Ein Name, den sich der Absolvent des Polytechnikums in Manchester und des Royal College of Art in London in fast 45 Jahren in der Designbranche erarbeitet und verdient hat. Sein Ansatz ist schnell erklärt – auch von ihm selbst: »Es gibt kein Problem, für das die Natur nicht schon eine Lösung gefunden hätte!« Dementsprechend brachte es der heute 65-Jährige im Laufe der Jahre zur wahren Meisterschaft in der biophilen Gestaltung. Lovegrove – sein Familienname ließe sich übrigens mit »Liebeshain« übersetzen – analysiert die Natur und transferiert seine Erkenntnisse in Design, die im Kontext von Umweltbewusstsein und mit zukunftsweisenden Technologien umgesetzt werden. Dieser organische Essenzialismus ist (mehr oder weniger) eine Kampfansage an den Schlachtruf »form follows function«, Minimalismus und Purismus. »Die Natur kennt doch keine geraden Linien, sie definiert sich nicht durch coole Ästhetik und Ausschluss von emotionaler Wärme«, so Lovegrove, der als Design-Jungspund im Kreativteam dabei war, das Ende der 1970er-Jahre den ersten Walkman von Sony gestaltete. Danach ging es dann für ihn in die deutsche Provinz in Hartmut Esslingers Industriedesign-Schmiede frog design.
Natur, pur!
Ob Wasserflasche, Armbanduhr, Flugzeugsitz, Damenschuhe aus dem Drucker, Lautsprecher, Fahrräder oder Reisekoffer – Lovegrove zeigt keine Berührungsängste, wenn es um Produktgestaltung geht. Das hat er mit Philippe Starck gemeinsam, mit dem er übrigens Mitte der 1980er-Jahren in Paris in der Gruppe »Atelier de Nîmes« eng zusammenarbeitete. »Es beunruhigt mich, dass Design immer noch als Sofas, Tische, Leuchten und Hocker verstanden wird. Ich kann mit dieser Betrachtungsweise nichts anfangen, weswegen man mich nur noch selten in dieser Welt antrifft«, so der Designer. Wenn doch, kommen allerdings nicht selten aufregende Klassiker dabei heraus. Wie die gefeierte und prämierte »Ergo Collection« für Natuzzi (2018), bei der Bett, Chaiselongue, Lampe, Teppich und Tisch aufeinander abgestimmt sind. Oder der legendäre »Solar Tree«, eine Outdoor-Laterne, die einst fürs Wiener MAK entworfen wurde und das Wiener Stadtbild hätte prägen sollen. Daraus wurde zwar nichts, aber seit 2017 baut Artemide den ökofreundlichen Lichtspender, der sich seine Energie für die Nacht aus dem Tageslicht holt, wieder auf Nachfrage. Man lernt: Lovegroves Projekte sind auch insofern nachhaltig, da sie lange im Gedächtnis bleiben.
KI als Design-Treiber
Dabei müssen die Entwürfe nicht einmal verwirklicht werden. Wie seine Konzepte und Studien für bioamorphe Super-Yachten, die er im Vorjahr veröffentlichte. Yacht-Entwürfe sind bei Designer:innen seines Kalibers mittlerweile zwar obligatorisch, aber Lovegrove und das Team aus seiner Ideenschmiede Studio X verwendeten dafür modernste Text-Bild-KI-Software. Denn: »Der wichtigste Treiber im Bereich des Industriedesigns, der uns dorthin geführt hat, wo wir jetzt stehen, und der uns selbstverständlich weiterhin antreiben wird, ist die Digitalisierung.«