© Barry J. Holmes

Der Wellenreiter: Frank Gehry im Porträt

Frank Gehry, 95, exportiert die sorglose Lebensfreude Kaliforniens in die Welt und ist mit seinen schwungvollen und sofort wiedererkennbaren Bauten zu einer eigenen Marke geworden. Sein ikonisches Guggenheim Bilbao wurde sogar zum globalen Phänomen. Für Louis Vuitton kreierte er nun gar eine Taschen-Kollektion für Sammler:innen. Das Multitalent im Porträt.

21.03.2024 - By Maik Novotny

Es ist das Besondere am Beruf der Architekt:innen, dass sie noch mit Mitte 40 als »jung« gelten. Zu Recht, denn in diesem anstrengenden Metier mit seinen langwierigen Entwurfs- und Bauprozessen dauert es, bis eine Karriere in Gang kommt. Das perfekte Beispiel dafür ist der amerikanisch-kanadische Architekt Frank Gehry, denn er ging bereits auf die 60 zu, als sich sein weltweiter Durchbruch ankündigte. Um so erfreulicher für ihn, dass er danach noch reichlich Zeit hatte, diesen Ruhm auszubauen und auszukosten. Ende Februar feierte er seinen 95. Geburtstag, noch immer ist er rund um den Globus aktiv.

Ausufernde Formen. Die Produktionshalle für den Vitra Campus in Weil am Rhein baute Gehry 1989.

© Vitra Museum

Bögen und Kurven

Dabei ist seine Architektur alles andere als globalistischer Durchschnitt, im Gegenteil: Mit ihren ausufernden und tanzenden Formen und Flächen, gebogen, gekurvt und gekippt, ist sie ein Spiegel kalifornischer Lebensfreude und unbekümmerter Verschwendung. Dabei ist Gehry, wie so viele Kalifornier, ein Zugezogener. Geboren 1929 in Toronto als Frank Owen Goldberg, verbrachte er seine ersten 18 Lebensjahre in Kanada, bis seine Familie in die USA emigrierte. Nach dem Architekturstudium änderte er seinen Nachnamen in Gehry, 1962 gründete er sein erstes Büro.

Mit dem Ruhm sollte es allerdings noch dauern, größere Aufmerksamkeit erlangte er, wie so viele Architekt:innen, mit dem eigenen Haus. Das Gebäude in Santa Monica aus dem Jahr 1920 hatte Gehry 1977 erworben und im Geiste das »California Funk« umgebaut, mit billigen Materialien wie Drahtzäunen und viel Experimentierlust, eine Art Pop-Art-Collage zum Bewohnen. Das »funky building« wurde zum Zündfunken einer raketengleich ansteigenden Karriere. Schon 1989 folgte der Pritzker-Preis, der ihn in die Adressbücher vieler solventer Auftraggeber:innen und Kulturinstitutionen bugsierte.

Gehrys erstes Gebäude in Europa war zwar geradezu winzig klein, aber es wurde zum Großereignis: Das 1989 eröffnete Vitra Design Museum in Weil am Rhein, ein weißes Geometrie-Wunderkistchen aus zueinander verdrehten und gekippten Formen, eingefroren in schwungvoller Bewegung. Binnen kürzester Zeit zierte es die Cover von Magazinen und Bildbänden, denn Gehrys Bauten hatten einen unschätzbaren Startvorteil in dieser bilderverliebten Zeit: Sie waren verdammt fotogen und sofort wiedererkennbar. Ein sicheres Erfolgsrezept: Wer Gehry kaufte, bekam Gehry. Danach ging es Schlag auf Schlag und Schwung auf Schwung: Ginger und Fred, die zwei aneinandergeschmiegt tanzenden schlanken Wohnbauten am Ufer der Moldau in Prag brachten 1996 Kalifornien nach Old Europe. Die 1990er-Jahre, in denen sich das computer­gestützte Entwerfen und Bauen rasant entwickelte, ließen Gehrys wilde Formen tatsächlich realistisch werden – es war, als hätte er nur auf seinen Moment gewartet.

Kunst und Kurven. Das Guggenheim Museum in Bilbao gehört zu den bekanntesten Bauten des Star-Architekten.

© Joseph Creamer/ Shutterstock

PAUKENSCHLAG IN BILBAO

Dieser kam 1997 mit dem großen Paukenschlag des Guggenheim Bilbao. Das kupfergolden schimmernde Museum brachte den Aufschwung in die postindustriell darbende baskische Hafenstadt und hievte Gehry endgültig in die Star-Liga. Als eines von wenigen Gebäuden der Architekturgeschichte generierte es sogar eigenhändig einen eigenen Trend: den Bilbao-Effekt. Von diesem Zeitpunkt an wollte jede zweite Stadt auf der Welt die baskische Erfolgsgeschichte kopieren und mit einem »signature building« weltweite Aufmerksamkeit erringen. Seit Bilbao ist der Städte- und Kulturtourismus ein milliardenschwerer Wirtschaftszweig, und Gehrys Museum, vom New Yorker als »Meisterwerk des 20. Jahrhunderts« gelobt, segelte als Flaggschiff auf dieser Welle.

Auch Gehry selbst durfte einige dieser »signature buildings« errichten, darunter das bonbonbunte Museum of Pop Culture in Seattle, die Blech-Kollision des Weisman Art Museum in Minneapolis und die weißen Segel der Fondation Louis Vuitton in Paris. Sie alle verbindet eine Architektur der Sorglosigkeit und, so manche Kritiker:innen, auch der Verschwendung, sowohl von physischen Ressourcen als auch von Raum. Mal funktioniert das perfekt, mal kommt der konstruktive Aufwand seiner schwungvollen Formen deren Leichtigkeit gehörig in die Quere. Seine Wohnbauten wie jene an der Battersea Power Station in London und der 265 Meter hohe Wolkenkratzer »8 Spruce« in Manhattan wirken oft, als hätte man eine gute Idee kurz vor dem Baubeginn noch schnell durch den »Gehrysator« geschickt, denn der Wohnlichkeit sind seine zerknautschten Schrägen nicht unbedingt zuträglich.

Mega-Skulptur. Silberner Glanz. Die Disney Concert Hall ist quasi ein Gehry in Reinkultur.

© Gerry Boughan/ Shutterstock

GEHRY COUNTRY

Sein Talent entfaltet sich dort besser, wo er die Freiheit hat, mit Flächen und Körpern zu spielen, ohne sich um klimatische Gegebenheiten, lokalen Kontext oder Wohnbau-Normen kümmern zu müssen. Am besten gelang ihm das wohl in der Walt Disney Concert Hall in Los Angeles (2003), eine Mega-Skulptur, die im ewigen Sonnenschein mit dem silbernen Glanz der Moderne schimmert wie die elegante Karosserie eines Cadillacs. Die Verkörperung hedonistischer Freude, und so etwas wie Gehry in Reinkultur. Kein Zufall, dass es ausgerechnet in Los Angeles steht. Wie konstatierte das »Architect’s Newspaper« vor wenigen Jahren: »Mehr als 70 Jahre, nachdem er aus Toronto hierhergezogen ist, sieht L.A. immer mehr aus wie Gehry Country.« Nicht nur das. Auch in der Fashion-Industrie hat die Kreativität Gehrys zugeschlagen, denn die jüngste Taschenkollektion aus der Maison Louis Vuitton wurde unter seiner Regie gefertigt. 

Im Visier. Warum der Venice Campus von Google auch »Binocular Building« genannt wird, ist augenscheinlich.

© Walter Cicchetti/ Shutterstock

Erschienen in:

Falstaff LIVING 02/2024

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