Rem Koolhaas und sein Architekturbüro OMA im Porträt
Vor 45 Jahren schrieb Rem Koolhaas sein berühmtes Buch »Delirious New York«, heute phantasiert das Architekturbüro OMA in derselben Radikalität Räume mit riesigen Dimensionen und noch nie gesehenen Baumaterialien herbei – zum Beispiel aus Licht, Blech und Schleim. Ein Porträt.
08.02.2024 - By Wojciech Czaja
Als das italienische Modelabel Prada letztes Jahr die Männerkollektion Frühjahr Sommer 2024 vorstellte, staunten die geladenen Gäste nicht schlecht. Zu Beginn der Show war der Deposito in der Fondazione Prada – im mittlerweile weltberühmten Industriepark Largo Isarco im Süden Mailands – an Boden, Decke und Säulen flächendeckend mit Riffelblech aus Aluminium verkleidet. Sogar die Sitzbänke für Fashion-VIPs und Pressevertreter:innen folgten der eiskalten, fast schon klinisch-chirurgischen Ästhetik. Doch kaum stolzierten die ersten Mannequins über den Laufsteg, um die Kollektion unter dem Titel »Fluid Form« vorzustellen, ergossen sich von oben herab schleimige Wasserfälle durch den Raum. Unten angekommen, bildete der Schleim grünlich leuchtende Pfützen. Die Fotos gingen um die Welt.
Zu verdanken ist das schockierende Konzept an der Schnittstelle zwischen festem und flüssigem Aggregatzustand dem niederländischen Office for Metropolitan Architecture, kurz OMA, beziehungsweise dessen Think Tank unter dem Namen AMO. Gegründet wurde das Architekturbüro 1975 von Rem Koolhaas, Pritzker-Preisträger anno 2000, heute 79 Jahre alt. Mittlerweile umfasst das Büro knapp 300 Mitarbeiter:innen an vier Standorten in Rotterdam, New York, Hongkong und Australien. Eine One-Man-Show ist das Büro schon lange nicht mehr. Koolhaas teilt die Geschäftsführung mit sieben weiteren Partner:innen: Jason Long, Iyad Alsaka, David Gianotten, Shohei Shigematsu, Chris van Duijn, Reinier de Graaf und Ellen van Loon. Die Zusammenarbeit mit dem Hause Prada weilt schon seit weit über 20 Jahren. Zu den ersten Projekten zählten Shows, Messestände und das Prada Epicenter in New York, 2001 fertiggestellt. In der Zwischenzeit hat sich OMA zu einem wahren Meister entwickelt, wenn es darum geht, die Business- und Corporate-Welt mit Design, Architektur und kompromissloser Baukultur zu verweben – nicht nur mit klassischen, bewährten Methoden, sondern oft auch mit ungewöhnlichen Materialien wie Schleim und ebenso ungewöhnlichen Räumen und Raumflüssen, die auf den ersten Blick überraschend wirken.
So wie etwa im neuen Axel Springer Campus in Berlin, der vor drei Jahren den Betrieb aufgenommen hat. Der gläserne Bau in Kreuzberg versteht sich als »gebautes Internet«, wie Koolhaas dies ausdrückt – mit Treppen, Rampen, Galerien, Podesten und scheinbar im Nichts schwebenden Newsrooms, wild ineinander geschachtelt und mit dramatischen Sichtbezügen zueinander terrassiert. An der höchsten Stelle ist das Atrium mit seiner expressiv gefalteten Glasfassade 45 Meter hoch. Insgesamt bietet der Axel Springer Verlag, wohlgemerkt eines der größten Verlagshäuser Europas, in seiner Zentrale Platz für bis zu 3.500 Mitarbeiter:innen. In Hangzhou, China, plant OMA derzeit das 22-stöckige Xinhu Hangzhou Prisma, einen Gebäudekomplex mit Retail, Hotel, Office und Wohnlofts, die rund um ein begrüntes Atrium angesiedelt sein werden. Die kaskadenartige Fassade am Qiantang River verleiht dem Projekt einen gepixelten Zauber. In Taipeh, Taiwan, hat OMA ein riesiges Performing Arts Center gebaut, dessen Hauptauditorium unter dem Titel »Global Playhouse« sich wie eine überdimensionale Kugel in den Stadtraum hinausstülpt. Das Haus bietet Raum für Musicals, Ballett, Tanz, Puppenspiel und chinesische Opern. Und in München hat OMA ein spektakuläres Projekt für die UniCredit geplant: Im neuen Haidenau-Quartier, quasi vom Erdboden enthoben, 22 Meter über den Gleisen der S-Bahn schwebend, sollte eine Bürowelt mit umhüllender PV-Glasfassade entstehen. Der Entwurf wurde im Wettbewerb mit dem zweiten Preis gewürdigt – und schrammte so nur knapp an einer Realisierung vorbei.
Thinking big
Große Gesten wie diese waren OMA noch nie fremd. In seinem 1978 erschienenen Buch »Delirious New York« analysierte Rem Koolhaas das über- und unterirdische Manhattan bis in die allerletzte Kemenate – mit vielen faszinierenden Details des urbanen Molochs. Und sein 1995 erschienenes Buch »S, M, L, XL«, das seither auf keinem Coffee-Table fehlen darf, bringt satte drei Kilo auf die Waage – und offenbart auf mehr als 1.300 Seiten in einem alphabetischen Glossar die wichtigsten Parameter seines Schaffens. Unter dem Begriff »Big« ist zu lesen: »I like thinking big. Immer schon. Es ist ganz einfach: Wenn man eh schon denken muss, dann doch am liebsten gleich groß.«