Architektur in Portugal: Im Land der (fast nur) weißen Häuser
Portugal, das ist das Land der weiß gekalkten Kirchen und Paläste. Aber nicht nur! Dass die portugiesische Architekturszene weltweit so einen guten Ruf hat und viele preisgekrönte Projekte hervorbringt, hat vor allem einen Grund – den respektvollen Umgang mit der eigenen Geschichte.
06.07.2023 - By Wojciech Czaja
Die portugiesische Künstlerin Paula Rego, erst letztes Jahr in London verstorben, widmete sich in ihrer Malerei dem politischen Kommentar und der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Ihre Arbeiten waren meist pastos im Auftrag, kantig in den Inhalten, kräftig in den Farben. Architekt -Eduardo Souto de Moura plante für ihr Werk ein genau passendes Museum in Cascais, keine 20 Kilometer westlich von Lissabon. Als würden die Prismen und Pyramiden zwischen den -Bäumen tanzen, entspinnt sich im Garten eines ehemaligen Sportclubs ein labyrinthisch verschachtelter Baukörper aus rot eingefärbtem Beton. »Paula Rego wünschte sich ein Museum, das sich in der Landschaft lustig, lebhaft und auch ein bisschen schelmisch präsentiert«, sagt Souto de Moura, der zu den bedeutendsten Architekten Portugals zählt und 2011 mit dem renommierten Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde. »Es entsteht ein koketter Dialog zwischen Architektur und Natur. Ich habe die Casa das Histórias Paula Rego so konzipiert, dass durch den Bau des Gebäudes kein einziger Baum gefällt werden musste. Obendrauf habe ich zwei kaminartige Lichtöffnungen geschaffen, die wie Zipfelmützen auf dem Haus sitzen.« Auf Netflix wurde das Museum in einer Dokumentation als »rare, wertvolle Kombination aus aufgeschlossener Bauherrenschaft, brillanter Architektur und kraftvoller Thematik« bezeichnet. »Wissen Sie, ich kann Ihnen gar nicht so genau erklären, was portugiesische Architektur auszeichnet, denn die Häuser sind so vielfältig wie ihre Architekten und Architektinnen, die sie entworfen haben«, sagt Souto de Moura. »Aber wenn ich ein Foto oder einen Film sehe, und da kommt ein Haus vor, dann kann ich auf Anhieb erkennen, ob das in Portugal ist oder nicht.« Er hält kurz inne, Augenbrauen hoch, ein Zug von der Zigarette. »Na ja, ich denke, das hat etwas mit dem Material und der -Proportion zu tun und natürlich auch mit dem Umgang mit der Natur. Von Álvaro Siza -Vieira – ein großartiger Lehrer übrigens, so etwas wie der Vater einer neuen portugiesischen Architektur – habe ich gelernt, mit Ruhe zu arbeiten. Ruhe, Klarheit und Geradlinigkeit sind, wenn Sie so wollen, wahrscheinlich die wichtigsten Bausteine für uns Portugiesen.« Während Eduardo Souto de Moura und sein ehemaliger Lehrer Álvaro Siza Vieira mittlerweile zu den portugiesischen Urgesteinen zählen, der eine 71 Jahre alt, der andere 90, rückt bereits eine kräftige, visionäre und überaus innovative Generation nach. Und die daraus resultierenden Büros tragen so geheimnisvolle Namen wie ARX, Aurora, Arquitectos -Anónimos, Estúdio Amatam, depA, NOARQ, Menos é Mais, Embaixada, Spaceworkers oder Kaputt. Viele von ihnen sind immer wieder auf der Shortlist diverser internationaler Architekturpreise zu finden, die Bauten und Projekte von ihnen werden derzeit zu den besten und radikalsten in ganz Europa gezählt. »Dass die portugiesische Architektur so aussieht, wie sie aussieht, ist kein Zufall, sondern hat mit der Geschichte unseres Landes zu tun«, sagt der Lissaboner Architekt Manuel Aires Mateus, der gemeinsam mit seinem Bruder Francisco eines der größten und erfolgreichsten Büros Portugals leitet. Das Atelier befindet sich in der Rua Cecílio de Sousa im Bairro Alto, in einem denkmalgeschützten Palais, das einst als Konvent errichtet und genutzt wurde. Hinter ihm jede Menge Königsporträts an der Wand, über ihm ein riesiges Deckenfresco mit Engeln und Wolken. »Denn entgegen einigen wenigen Ausnahmen für den Klerus, der sich so teure, aufwendige Gebäude wie dieses hier leisten konnte, war die Architektur dieses Landes immer schon von Einfachheit und geringen finanziellen Mitteln geprägt.«
Obwohl Portugal immer schon ein kleines und wirtschaftlich verhältnismäßig schwach gestelltes Königreich war, so Aires Mateus, ist es den portugiesischen Seefahrern dennoch gelungen, große Teile der Welt zu kolonialisieren – darunter etwa Brasilien, Mosambik und die chinesische Enklave Macau. »Wo auch immer die Portugiesen waren, mussten sie also mit wenigen Mitteln und wenig Aufwand ihre architektonischen Spuren hinterlassen. Und das hat zu klaren, einfachen Formen, weiß gekalkten Fassaden ohne viel Ornament und zu ganz normalen, tonschindelgedeckten Dächern geführt. Solche Kirchen, Paläste und Wohnhäuser findet man auch heute noch in allen ehemaligen portugiesischen Kolonien.« Das erklärt auch das heutige Bauen am südwestlichen Ende von Europa. Die zeitgenössische, vielfach preisgekrönte Architektur ist geprägt von einfachen Formen, klaren Morphologien, schmucklosen Fassaden und einem fast archaischen Umgang mit Baustoffen. Es dominieren Ziegel, Stein und Beton, in den meisten Fällen sind die Fassaden aus klimatischen Gründen weiß gekalkt, weiß getüncht, weiß gestrichen. »Bis heute orientieren wir uns an unserer Bautradition, wahrscheinlich mehr als andere Länder«, erklärt Aires Mateus. »Im Grunde genommen bauen wir so wie damals, bloß natürlich moderner und innovativer.« Auch die unterschiedliche Geologie des Landes – harter Granit im Norden, weicher Kalkstein im Süden – schlägt sich in der Architektur und im Stadtbild nieder. »Wir halten als Team mit unserem kulturellen Erbe zusammen, und ich denke, das ist auch der Grund dafür, dass die portugiesische Architekturszene über die Grenzen hinaus als so stark wahrgenommen wird. Wir arbeiten nicht gegen die Geschichte, sondern mit ihr. Und wir haben das große Glück, dass nach Álvaro Siza Vieira, Eduardo Souto de Moura und uns eine junge, extrem talentierte Generation nachfolgt. Die jungen Leute sind viel, viel frischer im Geiste als wir alten Männer. Ich freue mich, zu sehen, wie sich die Baukultur in den nächsten 20, 30 Jahren weiterentwickeln wird.« Kurze Pause, Manuel Aires Mateus sieht sich in seinem Büro um, deutet auf die Pläne, Modelle, Visualisierungen: »Nur eines ist klar: Unsere Häuser werden weiß bleiben.«