Pulsierende Metropole an der Guanabara-Bucht: Rio de Janeiro.

Pulsierende Metropole an der Guanabara-Bucht: Rio de Janeiro.
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Rio de Janeiro – Sterneregen am Zuckerhut

Rio de Janeiro erfindet sich neu. Für die Fußball-WM vor zwei Jahren und die Olympischen Spiele im August wurde gewaltig investiert. Und auch kulinarisch mausert sich Rio zu einer spannenden Trendmetropole.

In São Paulo wird gearbeitet und gegessen, in Rio de Janeiro gehen die Leute lieber an den Strand und trinken – dieses Klischee hatte bis vor Kurzem durchaus seine Berechtigung. Unter gutem Essen verstand man in Rio de Janeiro Steak oder Hummer, die in teuren Hotelrestaurants serviert wurden. In São Paulo war man da schon weiter. Mit seinem Restaurant »D.O.M.« und einer modern interpretierten brasilianischen Küche hat Alex Atala auch international für Aufsehen gesorgt.

Restaurants wie das »Maní« von Helena Rizzo, das »Epice« von Alberto Landgraf oder Rodrigo Oliveiras »Mocotó« eroberten in Atalas Windschatten ein junges, neugieriges Publikum, das begierig darauf war, mehr über die eigene kulinarische Identität zu erfahren. Mit ein paar Jahren Verzögerung hat dieser Trend hin zu einer selbstbewussten brasilianischen Top-Gastronomie nun auch in Rio de Janeiro Fuß gefasst.

»Eine lebendige Restaurant-Szene entsteht nicht über Nacht. Zum einen benötigen wir Produzenten, die uns mit guten Lebensmitteln versorgen. Zum anderen müssen wir Mitarbeiter finden, die eine anspruchsvolle Küche auch umsetzen können. Und dann brauchen wir natürlich auch Gäste, die diesen Aufwand zu schätzen wissen«, sagt Rafael Costa e Silva, der vor drei Jahren mit dem »Lasai« das momentan spannendste Restaurant in Rio de Janeiro eröffnet hat. So wie fünf andere Restaurants der Stadt ist es aktuell mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet.

Brasilien anders schmecken

Costa e Silva hat in einigen der besten Restaurants Europas gekocht – so wie viele seiner Kollegen –, bevor er beschloss, in seine Heimat zurückzukehren, um ein eigenes Restaurant zu eröffnen. »Noch vor zehn Jahren war es hier un­­denkbar, dass ein Koch selbst zum Gastronomen wird. Unser Beruf wurde als eine Art Hilfsarbeitertätigkeit gesehen und auch ähnlich entlohnt«, erinnert sich Costa e Silva.

Obwohl Brasilien eigentlich über einen riesigen Schatz an natürlichen Rohstoffen verfügt, war die Küche – abgesehen von ein paar regionalen Spezialitäten wie der bahianischen Fischsuppe Moqueca – recht eintönig. Es gab zwar ganz ordentliche Churrascarias, doch eine typisch brasilianische Küche konnte sich nie entwickeln.

Die besten Restaurants von Rio de Janeiro befanden sich in Luxushotels und waren französisch oder italienisch inspiriert. Je mehr importierte Luxusprodukte verwendet wurden, desto besser war der Ruf des Lokals.

»Bei Andoni Aduriz im ›Mugaritz‹ habe ich gelernt, wie wichtig es ist, eine eigene Handschrift zu entwickeln, die auf regionalen Produkten basiert«, erzählt Costa e Silva, der es im legendären baskischen Zwei-Sterne-Restaurant bis zum Souschef gebracht hat. Parallel zur Planung seines Restaurants »Lasai« legte der Koch einen großen Garten an, wo ein Gutteil des verwendeten Gemüses gedeiht. Den Rest bezieht er von Vertragsbauern, die ohne Chemikalien nach biologischen Grundsätzen arbeiten. Und so ist auch die Küche im »Lasai« sehr gemüselastig, originell und doch gleichzeitig  einzigartig brasilianisch.

Eine ähnliche Philosophie verfolgt Pedro Siqueira in seinem im Vorjahr eröffneten Restaurant »Puro«. Siqueira verzichtet zwar darauf, seinen Gästen ausschließlich Degustationsmenüs anzubieten – im »Puro« kann man auch ganz ungezwungen nur ein paar Vorspeisen snacken –, trotzdem ist die Handschrift eines Kochs, der weiß, was er tut, deutlich erkennbar.

Nur ein paar Meter entfernt liegt das ­Restaurant von Roberta Sudbrack, die in ­der Liste der »World’s 50 Best Restaurants« schon seit einiger Zeit als beste Köchin Lateinamerikas gefeiert wird. Früher kochte sie im brasilianischen Präsidentenpalast und eignete sich dabei ein breites Wissen über die verschiedenen Regionalküchen an. Heute gilt sie als Galionsfigur einer modernen brasilianischen Küche, bei der viele der alten Klassiker ganz neu interpretiert werden.

Liquide Verführung

Nicht nur am Teller, auch in den Gläsern hat in Brasilien eine richtiggehende Revolution stattgefunden. Allzu oft war in der Vergangenheit das ­Bier schal, der einheimische Wein dünn und der Cachaça so scharf, dass man ihn auch mit noch so viel Zucker im Caipirinha nur bedingt zähmen konnte. Im kühlen Süden des Landes keltern die Winzer zunehmend ansprechende Rotweine – vor allem Merlot und Pinot Noir gelingen gut – und erfrischende Schaumweine. Den Weißweinen fehlt es zumeist ein wenig an Rasse, dafür gibt es mittlerweile den einen oder anderen brauchbaren Natural Wine.

»Wir würden gerne noch mehr mit einheimischen Winzern arbeiten, aber natürlich muss die Qualität passen. Insgesamt befindet sich unsere Weinszene jedoch im Aufwind«, sagt »Puro«-Koch Siqueira. Nicht bloß im Aufwind, sondern in einem regelrechten Senkrechtstart befindet sich die brasilianische Bierlandschaft. In São Paulo und Rio de Janeiro boomt seit zwei, drei Jahren die Craft-Beer-Szene, die sich zum einen an internationalen Stilistiken orientiert – IPA, Porter, Sauerbier –, zum anderen aber auch witzige Fruchtbiere mit Açaí, Cashew oder Mango produziert.

In Bars wie dem »Escondido« in Copacabana oder dem »Aconchego Carioca« gibt es darüber hinaus noch hervorragende internationale Biere von Kleinstbrauereien aus den USA und Skandinavien. Auch im eleganten Asia-Restaurant »Mee« im »Belmond Copacabana Palace« wird neben Wein und Sake immer mehr brasilianisches Bier ausgeschenkt.

»Wein zu trinken, hat in Brasilien keine wirkliche Tradition, also bieten wir zusätzlich zu unserer umfangreichen Sake-Karte ausgesuchte brasilianische Craft-Biere an«, berichtet Rejane Kawano, die in dem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant »Mee« als Sake-Sommelière tätig ist.

Die Welt zu Gast

Mediterrane Einflüsse, die gekonnt mit brasilianischen Aromen auf Sterneniveau ergänzt werden, gibt es im »Eleven Rio«, das von dem Deutschen Joachim Koerper geleitet wird. Das »Eleven Rio« ist ein Ableger des Restaurants »Eleven« in Lissabon. Weitere Luxusrestaurants mit internationalem Stammbaum sind das »Le Pré Catelan« und das »Olympe« von Claude Troisgros.

Absoluter Trendsetter für eine moderne ­asiatische Küche war und ist das »Sushi Leblon«, das seit seiner Eröffnung vor zehn Jahren einer der absoluten Hotspots von Rio de Janeiro ist. Hier wurde erstmals aufgezeigt, dass es durchaus einen Markt für anspruchsvolle Küche in relaxtem Rahmen gibt.

Seit Kurzem gibt es sogar schicke und wirklich gute vegetarische Restaurants. Das Beste heißt »Naturalie Bistrô«, liegt im trendigen Botafogo-Viertel und wird von der charmanten Nathalie Passos geführt. Sie ist die Freundin von Alberto Landgraf, der bis vor Kurzem das »Epice« (1 Stern) in São Paulo betrieb, dieses jedoch zusperrte, um demnächst in Rio de Janeiro ein neues Restaurant aufzusperren. Dabei ist es nicht nur die Liebe, die ihn zu diesem Schritt bewogen hat: »Rio de Janeiro ist ein kulinarischer Hotspot geworden», meint Landgraf, »ich will bei dieser Entwicklung unbedingt mit dabei sein.«

Eine Stadt mit vielen Gesichtern

Rio de Janeiro war bis zur Gründung von Brasilia im Jahr 1960 die Hauptstadt Brasiliens. Mit mehr als sechs Millionen Einwohnern (mit Vororten über zwölf Millionen) ist Rio eine moderne Großstadt mit allen dazugehörigen Vor- und Nachteilen. Ins tatsächliche Stadtzentrum verirren sich Touristen nur selten, und auch das historische Zentrum und seine Nachbarbezirke Catete und Glória stehen bei ausländischen Gästen nicht unbedingt hoch im Kurs, was schade ist.

Ein echtes Revival feiert das Künstlerviertel Santa Teresa mit seinen verwinkelten Gassen und niedrigen Häusern. Gleich darunter liegt der vor allem bei jungen Leuten beliebte Ausgehbezirk Lapa. Voll im Trend ist auch Botafogo, wo aktuell die spannendsten Lokaleröffnungen passieren.

Der bekannteste Stadtteil ist Copacabana, der von einem felsigen Kap (Arpoador) von Ipanema getrennt wird. Südwestlich der Lagune heißt der Strandabschnitt dann Leblon, dieser Teil gilt als teuerstes Immobilienpflaster Südamerikas. Noch weiter südwestlich folgen São Conrado und Barra da Tijuca, wo in den letzten Jahren vielstöckige Wohnhäuser, Hotels und riesige Shoppingcenter entstanden sind. Neureiche Brasilianer lieben diese cleane Gegend, doch es fehlt das typische Flair.

Kreative Kulinarik aus Rio

Aus Falstaff Magazin Nr. 05/2016

Wolfgang Schedelberger
Autor
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