Auf der Suche nach einer NoLo-Alternative zu Wein stieß Sommelier Philipp Schneider auf das Thema Gemüsewein. Aktuell produziert er zwei Varianten aus Roter Rübe und Sellerie. © www.florencestoiber.com / Hotel Hirschen

Sommelier Philipp Schneider produziert Gemüsewein aus Roter Rübe bzw. Sellerie.

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Beete bitte: Spannende Geschmackserlebnisse durch Gemüsewein

Alkoholfreien oder -reduzierten Alternativen zu Wein fehlt es häufig an geschmacklicher Tiefe. Das dürfte sich nun ändern: Durch findige Küchenchefs, Sommeliers und Fermentationsfanatiker, die das »NoLo«-Segment mithilfe von Gemüse und anderer außergewöhnlicher Zutaten revolutionieren.

von Sonja Planeta
12. November 2022

Zum Amuse-Gueule ein spritziger Fenchel Pet-Nat, zur gefüllten Zucchiniblüte ein Rhabarber Sparkling Rosé, zum Kürbis ein Weißwein aus Löwenzahn und zum »Filet Mignon« aus Auberginen ein dunkles Bier aus Birke: Wer sich bei Ivan und Sergey Berezutskiy in ihrem Moskauer Restaurant »Twins Garden« für das vegetarische Menü entscheidet, der bekommt Gemüse, Pilze und Kräuter nicht nur am Teller serviert, sondern auch im Glas. 14 pflanzliche Weine und andere Getränke begleiten das Menü. Die Weine werden in kleinen Mengen von 15 bis 20 Litern pro Gemüse und einem Alkoholgehalt zwischen 3,5 und 10 Volumenprozent produziert werden.

Begonnen haben die Brüder 2017 mit Tomatenwein, dessen Herstellung der herkömmlichen Weinproduktion am nächsten kommt: Die Tomaten werden gepresst und der Saft anschließend mit Burgunderhefe und Zucker vergoren. Seither ist im »Twins Garden« eine beachtliche Gemüsewein-Kollektion entstanden: Vergoren wird schier alles, was zu einem überwiegenden Teil auf der eigenen Farm außerhalb Moskaus wächst. Dazu gehören neben den bereits erwähnten Gemüsesorten und Kräutern auch noch Topinambur, Petersilie, Steinpilze, Pfifferlinge, Morcheln, Birkenpilze, Rote Bete, Schwarzer Trüffel, Karotte und Pastinake. Auch Lauch Met und Artischocken Cola waren bereits Teil der Menübegleitung.

Bei der Herstellung greifen Ivan and Sergey Berezutskiy auf unterschiedliche Methoden zurück, die jedoch allesamt aus dem traditionellen Weinbau stammen. Im Gegensatz zum Tomatenwein basiert die Version mit Löwenzahn beispielsweise auf einer kalten Infusion aus den Blütenblättern, der Wein aus Steinpilzen auf einer Pilzbrühe. Für den Rote Bete Wein orientierte sich das Brüderpaar wiederum an der Biodynamie: Nach anfänglichen Fehlversuchen war das Ergebnis erst zufriedenstellend, als der Wein bei zunehmendem Mond gefüllt wurde. Generell gelingt es den Berezutskiy-Brüdern, mit jeder neuen Kreation das geschmackliche Potenzial von Gemüse vollends offenzulegen. Mit ihrer Herangehensweise sind sie am Sektor der »no&low alcohol« (kurz: NoLo) Alternativen zu Wein aber nach wie vor eine Ausnahme.

Muri: Mit seinen Blends aus unterschiedlichen fermentierten Basisgetränken hebt Murray Paterson das Thema alkoholfreie Wein-Alternativen auf ein neues Level. © Andreas Omvik
Muri: Mit seinen Blends aus unterschiedlichen fermentierten Basisgetränken hebt Murray Paterson das Thema alkoholfreie Wein-Alternativen auf ein neues Level.
© Andreas Omvik

Von der Fermentation zur Cuvée

Denn obwohl die Nachfrage nach alkoholfreien und -reduzierten Alternativen aufgrund des anhaltenden Gesundheitstrends ungebrochen ist, ist es immer noch gängige Praxis, Wein, aber auch Spirituosen zu entalkoholisieren und als alkoholfreie Variante zu verkaufen. Das mag der einfachere Weg sein, ist in den meisten Fällen aber geschmacklicher Nonsens. Wesentlich spannender, weil aromatisch komplexer und vielfältiger, sind hingegen Weinalternativen, die von Grund auf neu gedacht werden. Die nicht versuchen, einen Geschmack zu imitieren, sondern als eigenständiges Produkt funktionieren. So wie auch die alkoholfreien Cuvées der Marke Muri Drinks von Murray Paterson und Ioakeim Goulidis aus Kopenhagen. Das Gründer-Duo, das zuletzt in der Experimental-Destillerie Empirical bzw. im Noma Fermentationslabor tätig war, greift bei der Herstellung seiner Drinks auf unterschiedliche Techniken wie Kohlensäuremazeration, Holzräucherung und Lacto-Fermentation sowie auf ausgefallene Zutaten zurück.

»Fermentiertes in der Getränkebegleitung ist wesentlich bekömmlicher als Saft und bringt zudem ganz andere Aromen mit sich.«
Larissa Andres, Jola Wien

Dadurch entstehen Basisgetränke wie Kefir, Tee, Kwass, Met und Kombucha, die anschließend miteinander verschnitten werden. Aktuell hat Muri drei Cuvées im Sortiment: Die Champagner-Alternative »Passing Clouds« aus Stachelbeerwein, Quittenkefir, Jasmintee und Geranien- & Waldmeister- Kwass, den Sparkling Rosé »Yamilé« aus kohlensäurehaltigem Himbeer- und Stachelbeermet, geräuchertem Lacto-Rhabarber und Kefir aus Goldruten und rosa Pfeffer sowie »Nuala« aus schwarzem Johannisbeeren- und Schlehenwein, Eichen-Kombucha, Kamille-Kefir, Keemun-Tee und Feigenblatt & Kiefern-Kwass. Letztgenannte Cuvée kommt unter anderem in der alkoholfreien Getränkebegleitung im veganen Wiener Fine- Dining Restaurant »Jola« zum Einsatz. Das Inhaberpaar Larissa Andres und Jonathan Wittenbrink servieren die Rotwein-Alternative zum Brot-Gang aus Koji-fermentierter Roter Bete der Gemüse-Charcuterie Flora & Rauna, einer halb gedämpften, halb gebackenen Focaccia, Zitronen-Oliven-Thymiancreme und Olivenöl.

Omerto: In Quebec in Kanada produziert der gebürtige Belgier Pascal Miche auf seiner Domaine de la Vallée du Bras Wein aus Tomaten nach alter Familientradition. © Omerto Wine
Omerto: In Quebec in Kanada produziert der gebürtige Belgier Pascal Miche auf seiner Domaine de la Vallée du Bras Wein aus Tomaten nach alter Familientradition.
© Omerto Wine

Prickelnder Sellerie

Mit Gemüsewein experimentiert auch Philipp Schneider, Sommelier im »Hotel Gasthof Hirschen« in Schwarzenberg in Vorarlberg. Auf der Suche nach einer alkoholreduzierten Alternative zu herkömmlichem Wein, die sich gut zu Gemüsegerichten kombinieren lässt, kam ihm die Idee für Rote Bete Wein. Die Hefen organisierte sich Schneider von einer regionalen Brauerei. Serviert wird der erdige Drink zum Amuse-Gueule aus konfierter Roter Bete oder Borschtsch. Zudem gibt es erste Versuche für einen Sparkling Sellerie, der mittels zweiter Flaschengärung hergestellt wird und gut zu Schinkengerichten passen soll. Zum Vorlockern der Kohlenhydrate wird der Sellerie zuerst im Ofen geschmort und anschließend mit Zucker oder Honig eingemaischt, ehe er mit Hefe im Gärballon vermischt und drei Wochen fermentiert wird.

»Sparkling Sellerie funktioniert prima als Solist. Der Rote Rübe Wein ist spezieller und muss gezielt als Speisenbegleiter eingesetzt werden.«
Philipp Schneider, »Hirschen Schwarzenberg«

Aktuell hat die prickelnde Sektalternative rund 4,2 Volumenprozent Alkohol, in Zukunft will Schneider seine Getränke aber auch ohne Alkohol hinbekommen. Bereits im Sommer will er sich an weiterem Gemüse wie Rüben und Süßkartoffeln versuchen. Generell sind die Auswahlmöglichkeiten bei Obst und Gemüse groß. Selbst aus Ananas und Bananen lässt sich Wein herstellen. Vor wenigen Jahren machte damit etwa der in Wien lebende Kongolese Yves Mulume Chikuru auf sich aufmerksam, als er nach alter Tradition seines Heimatlandes vollreife Bananen zu einem Getränk vergor, das mit seinen süßen und fruchtigen Noten mehr an Dessertwein, Beerenauslese oder Sherry erinnert, als an Weißwein. Bleibt also zu hoffen, dass das Thema »NoLo«-Weinalternativen in der Beverage-Branche weiter Fahrt aufnimmt. Dann dürfen sich Gäste nämlich bald auf weitere spannende Geschmackserlebnisse freuen. Die Grundstein wurde durch Vorreiter wie »Twins Garden« und »Muri« ja bereits gelegt.

Erschienen in

Falstaff Profi Magazin

Sept./Okt. 2022

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