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Weinreise: Wo der Chablis fließt

Das Département Yonne ist vor allem für seinen Weißwein berühmt: den »kühlsten« aller Burgunder aus Chablis. Doch auch abseits seines berühmtesten Weins hält der Norden Burgunds viele Entdeckungen bereit.

Chablis ist ein kleines Städtchen mit 2000 Einwohnern, halb Touristenmagnet, halb landwirtschaftliche Provinz. Im Ortskern mit seinen zwei Einkaufssträßchen reihen sich die Boutiquen namhafter und geschäftstüchtiger (zuweilen auch nur geschäftstüchtiger) Winzer aneinander, dazwischen der Bäcker, ein auf Handel mit der Gekrösewurst Andouillette spezialisierter Laden, ein paar Restaurants.

Unweigerlich fühlt man sich an das liebenswürdig-schräge Frankreich eines Jacques Tati erinnert, nicht nur des trotzigen Namens der zentral gelegenen Gaststätte »Au Vrai Chablis« wegen, eines deutlich nicht für internationales Publikum gedachten Lokals. Ebenso geht es einem auch bei der Einfahrt ins Stadtzentrum, wo man während der Sommermonate ein sonst unbekanntes Verkehrszeichen antrifft: durchgestrichener Traktor im roten Kreis. Zu übersetzen als: »Durchfahrt für Traktoren verboten«.

Ein grosses Rad

Der Tourismus und die Traktoren – das versinnbildlicht die janusgesichtige Identität Chablis’. Die 5000 Hektar Chardonnay, die in der Stadt Chablis und in 16 Dörfern der Umgebung angebaut werden, verlangen nach einer äußerst effizienten Bewirtschaftung. Im Vergleich zur Côte d’Or ist hier der Großbetrieb sehr viel häufiger, die Scheu vor technischen Lösungen, etwa bei der Bekämpfung der notorischen Spätfröste, ist viel geringer. Wenn man an manchen Stellen in der Landschaft kleine Seen entdeckt, handelt es sich um künstlich angelegte Reservoirs, deren Wasser dazu dient, im Frostfall die Reben zu beregnen – um die jungen Triebe unter einem Eiskokon zu schützen.

Den Winzern steckt die Geschichte ihrer Heimat in den Knochen: Im 19. Jahrhundert war die Region der wichtigste Weinlieferant Paris’. Da die Yonne ab Auxerre schiffbar ist und sie in die Seine mündet, konnte die Hauptstadt auf einfachste Weise beliefert werden. Und diese konnte nicht genug bekommen vom preiswerten, angenehm leichten und so kulinarischen Weißen aus Chablis. Über 40.000 Hektar standen unter Reben, als der Bau der Eisenbahn die Konjunktur von heute auf morgen einbrechen ließ: Nun kamen mit einem Mal Weine aus dem Midi ebenso schnell in die Kapitale, und das zu deutlich niedrigerem Preis. Nach Reblaus, zwei Weltkriegen und einer Serie verheerender Frostjahre war die Ertragsfläche Ende der 1950er-Jahre bis auf ein Hundertstel der einstigen Größe gefallen, auf 400 Hektar.

Von diesem Tief hat sich der Weinbau zwar wieder erholt, doch der typische Chablis-Winzer hat heute eine deutlich höhere Risikoaversion als seine Kollegen aus dem Rest Burgunds. Ein weiteres Kennzeichen dessen ist die Vorliebe der Winzer für die Maschinenernte. Etwa 85 Prozent der Flächen, so schätzt Isabelle Raveneau aus der wohl berühmtesten Star-Domaine des Orts, würden in der AOC mechanisch gelesen. Auch wenn der eigene Betrieb ausschließlich auf Handlese setzt, möchte Raveneau dennoch keine Kollegenschelte betreiben: »Man muss zugeben, dass man mit der Maschine deutlich reaktiver sein kann – etwa, wenn sich das Wetter verschlechtert.« Und auch Vincent Dauvissat, Chablis’ zweiter Kultwinzer, bleibt zurückhaltend mit Kritik: »Ich sage gar nicht, dass man mit maschineller Lese nicht ebenfalls exzellente Weine produzieren kann. Aber für mich persönlich ist es kein gangbarer Weg. Je suis vigneron – ich bin Winzer!«

Ein kulinarischer Hotspot

Für den Weintouristen ist Chablis unbeschadet all dessen ein Idyll, zumal die Gastronomie in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht hat. Einen Michelin-Stern gibt es zwar immer noch nicht, aber vor allem zwei Betriebe verleihen dem Ort Glanz: Zum einen ist da die Weinbar »Chablis Wine Not«, in der man kleine Tapas-artige Speisen und Rindfleisch vom Simmental-Rind essen, vor allem aber aus einer wahrhaft enzyklopädischen Weinkarte wählen kann. Abgebildet werden hier ganz Burgund, die Champagne und die Nordrhône, nicht nur Chablis.

Der Schwerpunkt im Restaurant »Au Fil du Zinc« hingegen liegt auf einer kreativen, jungen Küche, serviert im stimmungsvollen Rahmen einer alten Mühle, unter der der kleine Yonne-Nebenfluss Serein hindurchfließt. Die Weinkarte hat nicht die epische Tiefe des »Chablis Wine Not«, aber auch hier kann man Weine ordern, die im Weinhandel quasi nicht zu bekommen sind, allen voran diejenigen von Vincent Dauvissat und François Raveneau.

La douce France

Auch die Umgebung von Chablis hat viele Entdeckungen zu bieten. Zum einen muss man die Weinberge gesehen haben, viele Betriebe bieten geführte Touren an. Sehenswert ist nicht zuletzt der Kimmeridge-Kalk, der in und unter den Grand- und Premier-Cru-Weinbergen liegt, ein Kalk, der wie ein versteinertes Blätterteiggebäck aus winzigen Muscheln aufgebaut ist. Wer diese Steine gesehen hat, den wundert es jedenfalls nicht mehr, dass der Chablis ein so idealer Partner zur Auster ist.

Ein ähnlicher Untergrund bestimmt auch die Weinberge in den beiden kleineren Nachbar-AOCs, die anderen Rebsorten als dem Chardonnay gewidmet sind: In Irancy mit seinen beeindruckenden Steillagen wächst Pinot Noir, und in St-Bris findet man als Kuriosität die einzige Appellation Burgunds für Sauvignon Blanc.

Weltkulturerbe Vézelay

Auxerre als Hauptstadt des Départements Yonne hat eine sehenswerte Altstadt, die in ihren schönsten Straßenzügen bezaubernd hübsch ist, an ihren Rändern aber auch durchscheinen lässt, dass der Ort im 20. Jahrhundert nicht immer prosperiert hat.

Wer 50 Minuten Fahrzeit nicht scheut, findet im pittoresken 400-Seelen-Ort Vézelay mitsamt seiner Basilika Sainte-Marie-Madeleine aus dem 12. Jahrhundert ein UNESCO-Weltkulturerbe. Als Draufgabe gibt es eine liebliche Landschaft mit sanften Hügeln, mit Wäldern und Wiesen. Und Weine, die seit 2017 über die eigene kommunale AOC Vézelay verfügen – und mit ihrer feinen, eigenständigen Art deutlich zu den Gewinnern des Klimawandels gehören.


Ravenau

Die teuersten Chablis kommen aus einem kleinen Familienbetrieb.

Die Domaine entstand im Jahr 1948, als François Raveneau eine geborene Dauvissat heiratete und auf Weinberge dieser alteingesessenen Weinbaufamilie zugreifen konnte. In den folgenden Jahrzehnten konnte Raveneau weitere Premier- und Grand-Cru-Parzellen erwerben. Die zweite Generation hat jetzt gerade das Tagesgeschäft an ihre Kinder abgegeben: Bernard Raveneaus Tochter Isabelle hat wie ihr Vater die Leitung des Kellers inne, während sich Jean-Maries Sohn Maxime wie sein Vater vor ihm um die Reben kümmert.

Der Hausstil Raveneau ist frisch, ultrapräzise und poliert, die Weine haben der Tendenz nach etwas weniger mineralische Zuspitzung als diejenigen von Vincent Dauvissat, sind aber Muster an Gleichgewicht und feinwürziger Entfaltung im Lauf der Flaschenreife. Die Weinmärkte verzehren sich nach jeder Flasche, bei knapp zehn Hektar im Ertrag und angesichts der Tatsache, dass das Weingut selbst fast nur an die Gastronomie und wenige Bestandskunden verkauft, steigen die Preise für die gesuchtesten Etiketten in vierstellige Sphären. Neben den Grands Crus Blanchots, Valmur und Les Clos ist der Premier Cru Montée de Tonnerre der Bannerträger, in dem die Familie beachtliche drei Hektar besitzt. Weitere Premiers Crus in Produktion sind Butteaux, Vaillons, Forêts, und Montmains.

Auch ein hervorragender normaler Chablis gehört zum Sortiment, und seit wenigen Jahren auch ein Petit Chablis von einer Parzelle auf dem Hochplateau oberhalb des Grand-Cru-Hangs. Stilistisch strebt die junge Generation keinerlei Veränderungen an, warum auch? Stattdessen ist es Isabelle Raveneau wichtig zu betonen, dass in Chablis insgesamt »eine tolle Dynamik herrscht.« Auch als Primus mit stellaren Flaschenpreisen, so die Botschaft, bleibt die Domaine vor allem ein Teil der örtlichen Winzerschaft.


Restaurants

Chablis Wine Not
Rue des Moulins, 89800 Chablis
chabliswinenot.com

Au Fils Du Zinc
18, Rue des Moulins, 89800 Chablis
aufilduzinc.fr

Les Trois Bourgeons
10, Rue Auxerroise, 89800 Chablis
restaurant-chablis.fr

Le Jardin Gourmand
50, Boulevard Vauban, 89000 Auxerre
lejardingourmand.com

Le Table De Clavisy
34, Place du Grenier à Sel, 89310 Noyers

Hotels

Hotellerie Des Clos
18, Rue Jules Rathier, 89800 Chablis
hostellerie-des-clos.fr

La Côte St. Jacques
14, Faubourg de Paris, 89300 Joigny
cotesaintjacques.com

Château De Vault-De-Lugny
11, Rue du Château, 89200 Vault-de-Lugny
lugny.fr

Best Western Signature Le Maxime
2, Quai de la Marine, 89000 Auxerre
hotel-lemaxime.com


Erschienen in
Falstaff Nr. 02/2022

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Ulrich Sautter
Ulrich Sautter
Wein-Chefredakteur Deutschland
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