Naturgewalten, so weit das Auge reicht: Island wartet mit einer faszinierenden Landschaft auf. Der Wasserfall Háifoss ist mit einer Fallhöhe von 122 Metern der dritthöchste des Landes.

Naturgewalten, so weit das Auge reicht: Island wartet mit einer faszinierenden Landschaft auf. Der Wasserfall Háifoss ist mit einer Fallhöhe von 122 Metern der dritthöchste des Landes.
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Island: Exote des Nordens

Ausgeprägte Jahreszeiten, die isolierte Lage und eine komplexe, archaische Sprache machen Island zu einem Land der Extreme. Die vulkanische Landschaft prägt nicht nur den Lebensstil, sondern auch die Essgewohnheiten. Wer sich durch Island kostet, den erwarten Spezialitäten mit langer Tradition sowie mutige Experimente mit der neuen nordischen Küche. Eine Kostprobe der Hauptstadt Reykjavík und darüber hinaus.

Der Inselstaat Island zählt gerade einmal 366.000 Einwohner – etwa so viel wie Linz und Salzburg zusammen. Ein Drittel davon lebt in Reykjavík, der nördlichsten Hauptstadt der Welt. Ihr Name bedeutet »rauchige Bucht« und geht auf den Dampf von heißen Quellen zurück. Die unwirkliche Vulkanlandschaft prägt nicht nur viele Begriffe, sondern die ganze Lebensart und damit auch die Küche der Isländer.

Die Slow-Food-Bewegung führt unter dem Namen »Ark of Taste« eine Liste mit traditionellen Spezialitäten aus aller Welt, die vom Aussterben bedroht sind. Das Verzeichnis ist ein verlässlicher Indikator für Gerichte, die man vor Ort probieren sollte, solange es noch möglich ist. Unter den 23 isländischen Einträgen sind fermentierter Haifisch (Kæstur hákarl) und das Fladenbrot »Laufabrauð«, das gerne in der Weihnachtszeit gebacken wird.

Auch der magere Frischkäse »Skyr«, den schon die Wikinger aus Kuh- oder Schafmilch zubereiteten, ist dort gelistet. Angeblich haben nur drei Betriebe Zugriff auf die Originalrezeptur. Ein weiterer Passagier der »Arche des Geschmacks« ist die Islandziege: Von dieser ältesten Ziegenrasse Europas gibt es nur noch ein paar Hunderte, die meisten auf dem Bauernhof Háafell.

Die Kraft aus der Kruste

Wenn einer weiß, wie man aus dem kulinarischen Erbe des Landes das Maximum herausholt, dann ist das Thrainn Freyr Vigfusson. Seit 2017 betreibt er die beiden Restaurants »Óx« und »Sümac«, die als Doppelgestirn an derselben Adresse begannen. Ein ungleicheres Paar hat Reykjavík wohl noch nicht gesehen: Während das »Sümac« libanesische Kreationen mit viel Gemüse in den hohen Norden holt und überwiegend Locals eine kulinarische Reise bietet, verspricht das »Óx« mit seinem 20-gängigen Verkostungsmenü einen eindrucksvollen Streifzug durch die gehobene isländische Küche, die vor allem Reisende begeistert. »Destination Foodies« nennt Vigfusson seine internationalen Gäste.

»Genau genommen haben wir nur einen Tisch mit elf Plätzen. Die Einrichtung stammt vom Bauernhof meiner Großeltern«, sagt der Küchenchef. »Die Gäste sitzen um die offene Küche herum. Das war meine Vision von Anfang an: die Gerichte selbst zu servieren und in Kontakt mit den Gästen zu sein.«

Ein Signature-Gericht besteht aus Räucherforelle, Skyr sowie Roggenbrot, das mit geothermischer Energie gebacken wird. Dafür kommt der Teig für das »Rúgbrauð« oder auch »Geysirbrot« in einen Tontopf, der in der Nähe von heißen Quellen vergraben wird, und nach etwa 24 Stunden Dünsten ist das weiche Gebäck fertig.

Mit der Hitze aus dem Erdinneren beheizen die Isländer nicht nur seit gut hundert Jahren ihre Häuser, sondern sie dient auch als nachhaltige Energiequelle im Anbau von Obst und Gemüse. Es ist kein Hindernis mehr, dass der Inselstaat selbst im Sommer kaum Außentemperaturen über 20 Grad verzeichnet: Mittels Geothermie werden Gewächshäuser beheizt und beleuchtet – und zwar klimaneutral. So gedeihen ganzjährig Tomaten, Gurken, Paprika und Gartensalat, aber auch Beeren und Bananen.

Vor der Gründung seiner eigenen Restaurants arbeitete Vigfusson im Restaurant »Lava« an der berühmten Blauen Lagune auf der Reykjanes-Halbinsel. Auch dieses Thermalbad verdankt seine Wärme der Aktivität in der Erdkruste. In der Tiefe von 2000 Metern kann das Wasser 240 Grad heiß werden. Zuerst wird die Energie zur Stromerzeugung und für Fernwärme genutzt, bevor das nur mehr 37 bis 42 Grad warme Wasser – quasi als Abfallprodukt – in das Lavafeld abfließt.

Doch die Blaue Lagune ist bei Weitem nicht das einzige Spa mit Erdwärme in Island. Erst im Mai hat bei Akureyri die »Forest Lagoon« eröffnet: ein 1300 Quadratmeter großer Wellnesskomplex mit zwei Infinitypools, Bars am Wasser, Sauna und Gastronomie. Im Gegensatz zur Blauen Lagune ist es in die Landschaft mit Felsen und Wald eingebettet. Und das ist in Island keine Selbstverständlichkeit: Weniger als ein Prozent der Landfläche ist von Wald bedeckt – die geringste Bewaldung in ganz Europa.

Auf den ungleich weiter verbreiteten Hochweiden grasen im hellen Halbjahr die Islandschafe. Mit etwa 400.000 Tieren machen sie den Großteil der isländischen Nutztiere aus. Während des langen Winters werden sie drinnen gehalten, doch im Frühling geht’s mit den neugeborenen Lämmern an die frische Luft. Sie streifen auf den Bergweiden frei umher und ernähren sich von Gras, Kräutern und Beeren. Diese Diät macht das isländische Lammfleisch außergewöhnlich aromatisch und zart. Es verleiht ihm einen unverwechselbaren, wildähnlichen Geschmack, und das Probieren der traditionellen Lammfleischsuppe (Kjötsúpa) ist im Islandurlaub Pflicht.

Wo guter Geschmack in der Familie liegt

Zu den kreativen Köpfen der jungen isländischen Kochelite zählt auch Gísli Matthías Auðunsson. Er stammt von den Vestmannaeyjar, einem vulkanischen Archipel mit gut 4300 Einwohnern, ist jedoch in Reykjavík aufgewachsen. »Auf den Westmännerinseln fühlt es sich an, als ob die Tage mehr Stunden hätten«, sagt er. Seit 2012 betreibt er zusammen mit seinen Eltern und einer älteren Schwester das Restaurant »Slippurinn« (dt. Bootsrampe) am Hafen von Heimaey, der größten und einzigen ständig bewohnten Insel des Archipels. »Wir kochen mit lokalen Zutaten und Techniken aus aller Welt«, sagt Gísli Matt, wie er sich selbst nennt. »Im Zentrum stehen Fisch und Meeresfrüchte, denn mein Vater Auðunn arbeitet seit 50 Jahren als Fischer und bringt den Fang des Tages.«

Zum zehnjährigen Jubiläum des »Slippurinn« gab es eine große Feier für den ganzen Ort, die gleichzeitig auch als Releaseparty für das 2021 erschienene Buch »Slippurinn: Recipes and Stories from Iceland« diente (nur auf Englisch, Phaidon Verlag).

Die Gaststätte hat jeweils von Mai bis September geöffnet. »Jede Saison starten wir mit neuem Personal und haben den Eindruck, ein neues Restaurant zu eröffnen. Aus aller Welt finden ehrgeizige Köche den Weg zu uns, die miterleben wollen, wie rasant sich die isländische Natur im Sommer verändert und wie man unter so extremen Bedingungen lokal und im Takt der Jahreszeiten arbeitet.«

Gísli Matt schätzt den internationalen Austausch unter Küchenprofis: Er hat selbst zahlreiche Winter in ausländischen Küchen verbracht, um sich weiterzubilden und den Großstadtpuls zu erleben. »Wenn man weggeht, lernt man überraschend viel über sein eigenes Land«, sagt er. »Beim Praktikum im New Yorker Drei-Sterne-Restaurant ›Eleven Madison Park‹ ist mir aufgefallen, wie Blätter von Küsten-Blauglöckchen teuer aus Alaska importiert wurden. In Island wächst diese nach Austern schmeckende Pflanze wild, es hat sie damals nur niemand verwendet. Mittlerweile steht sie im ›Slippurinn‹ immer auf der Karte.«

Obwohl Gísli Matt seit einigen Jahren mit Frau und Kindern wieder auf den Westmännerinseln lebt, kommt er geschäftlich regelmäßig in die Hauptstadt. 2015 gründete er dort das »Matur og Drykkur«, stieg jedoch aufgrund von Unstimmigkeiten mit den Geschäftspartnern nach einem Jahr wieder aus. Seitdem kooperiert er lieber mit Menschen, die ihm nahestehen. Neben seiner Familie sind das zwei Freunde, mit denen er im Foodcourt »Hlemmur Mathöll« das Bistro »Skál« eröffnet hat. Dort steht seit dem ersten Tag gebackener Seesaibling mit Kartoffelpüree, Fenchel, Kapern-Zwiebel-Butter und Mandeln auf der Speisekarte. Zu diesem Signature-Gericht empfiehlt er Bier aus einer isländischen Brauerei, etwa von »Borg Brugghús« oder »Húsavík Öl«.

Wenn Gísli Matt Inspiration für seine kulinarischen Projekte sucht, geht er in die Markthalle Kolaportið in Reykjavík, die jeden Samstag und Sonntag aufsperrt. An einen Flohmarkt mit allerlei Kuriosem schließt dort ein Lebensmittelmarkt »wie aus einer anderen Zeit« an:
»Es gibt Dinge, die man in den Geschäften längst nicht mehr findet, zum Beispiel fermentierten Walspeck oder Eier von Meeresvögeln. Die Gespräche mit den älteren Verkäufern bringen mich immer auf neue Ideen.«

Hotels

Hotel Borg****

Islands allererstes Luxushotel wurde 1930 eröffnet und hat seinen Art-déco-Stil trotz mehrerer Renovierungen weitestgehend beibehalten. Direkt am grünen Platz Austurvöllur, hat man das Parlament und den klassizistischen Dom als Nachbarn. DZ ab ca. 200 Euro

Pósthússtræti 11, 101 Reykjavík

T: +354 551 1440, keahotels.is/hotel-borg

Ion Adventure Hotel***

Das Designhotel ist geografisch und optisch in die verwunschene Lavalandschaft des Thingvellir-Nationalparks eingebettet, der zum UNESCO-Welterbe gehört. Es verfügt über einen warmen Außenpool mit fesselnder Aussicht, Gastronomie und einen Wellness-bereich. Ideale Basis für Naturerlebnisse – ob Nordlichtjagd, Wanderung oder Angeln. DZ ab ca. 300 Euro

Nesjavellir, 801 Nesjavellir

T: +354 482 3415, ionadventure.ioniceland.is

Restaurants

Dill

Im landesweit ersten Restaurant mit einem Michelin-Stern leistet Gunnar Karl Gíslasson seit 2009 Pionierarbeit. Seine Interpretation der neuen nordischen Küche bezeichnet er als »unorthodox«. Die Gänge des Verkostungsmenüs spiegeln die Jahreszeiten wider und werden aufwendig und kreativ präsentiert. Dazu fließen überwiegend Naturweine.

Laugavegur 59, 101 Reykjavík

T: +354 552 1522, dillrestaurant.is

Óx

Küchenchef Thrainn Freyr Vigfusson setzt isländisches Fine Dining ganz radikal um: Die dreistündige Gourmetshow umfasst 20 Gänge, die jeweils elf glücklichen Gästen an einem L-förmigen Tisch um eine offene Küche serviert werden. Vor Kurzem wurde diese herausragende Küchenleistung erstmals mit einem Michelin-Stern honoriert.

Laugavegur 55, 101 Reykjavík, ox.restaurant

Matur og Drykkur

Bei »Essen und Trinken« werden alte Rezepte neu interpretiert. Aus heimischen Zutaten entstehen einfallsreiche Gerichte, die in der isländischen Kochtradition verankert sind – serviert als sechsgängiges Verkostungsmenü. Das Restaurant ist nicht umsonst nach einem Kochbuch benannt, das die Kochgewohnheiten des Landes seit 1947 prägt. Nostalgisch ist auch das Lokal in der fast hundertjährigen Fischfabrik.

Grandagarður 2, 101 Reykjavík

T: +354 571 8877, maturogdrykkur.is

Fiskfélagið – Fish Company

Im stylisch eingerichteten Keller mit dunklen Steinwänden, schwarzen Möbeln und Design-Farbtupfern werden die Gäste auf eine kulinarische Reise durch ganz Island entführt. Zur Wahl stehen Verkostungsmenüs mit drei bis fünf Gängen und ausgeklügelte Gerichte nach Karte.

Vesturgötu 2a, Grófartorg, 101 Reykjavík

T: +354 552 5300, fiskfelagid.is

Slippurinn

Von Reykjavík fährt man zwei Stunden durch die malerische Landschaft und setzt von Landeyjahöfn auf die Westmännerinseln über. In einer ehemaligen Werkstatthalle am Hafen zaubert der Familienbetrieb von Mai bis September Köstlichkeiten aus lokalen Zutaten.

Strandvegur 76, 900 Vestmannaeyjabær

T: +354 481 1515, slippurinn.com

Tjöruhúsið

Beim abendlichen Buffet im »Teerhaus« kann man für umgerechnet 40 Euro ungehemmt schlemmen. Es gibt den Fang des Tages in allerlei Darreichungsformen. Gegessen wird an langen Holztischen, Schulter an Schulter mit anderen Gästen, Gespräche erge-ben sich mühelos. Auch mittags lohnt ein Stopp, um beispielsweise die grandiose Fischsuppe zu probieren.

Neðstakaupstað, 400 Ísafjörður, T: +3544564419

Strikið

Im 18.000-Seelen-Ort Akureyri im Norden von Island dient der »Strich« als vielseitiger Treffpunkt für Brunch, Dinner und Happy Hour. Im fünften Stock eines nüchternen Bürogebäudes. eröffnet sich ganz unverhofft eine Penthouse-artige Lounge mit großzügiger Dachterrasse und Blick auf den Fjord Eyjafjörður.

Skipagata 14, 600 Akureyri

T: +3544627100, strikid.is

Cafés & Snacks

Mathöll Hlemmur

Der 2017 eröffnete Foodcourt in einer ehemaligen Buswartehalle vereint acht Gastronome unter einem Dach. Der Hunger auf Herzhaftes wird mit Tacos, Steaks, Pizza, vietnamesischem Streetfood oder isländischen Gerichten gestillt. Danach warten Eis, süße Teilchen und Kaffee aus einer städtischen Rösterei.

Laugavegur 107, 105 Reykjavík

T: +354 787 6200, hlemmurmatholl.is

Loki

Das unscheinbare Lokal bietet einen Crashkurs in Sachen isländische Spezialitäten: allerlei Roggenbrot-Schnittchen mit Fisch, Lammsuppe u.v.m. Die wahren Highlights sind aber die Desserts, darunter Skyr und die Spezialität des Hauses: Roggenbroteis mit Schlagsahne. Aus der zweiten Etage hat man einen guten Blick auf die monumentale Hallgrímskirche gegenüber.

Lokastígur 28, 101 Reykjavík

T: +354 466 2828, loki.is

Bæjarins Beztu Pylsur

Am Rand der Altstadt verspricht dieser Hotdog-Stand von 1937 »die besten Würstchen der Stadt«. Sein Kultstatus gibt ihm recht: Sogar Bill Clinton hat sich hier schon gestärkt. Landestypisches Lammfleisch verleiht den Würstchen ihren charakteristischen Geschmack. Inzwischen gibt es sechs weitere Filialen.

Tryggvagata 1, 101 Reykjavík

T: +354 511 1566, bbp.is

Móðir Jörð

Bei »Mutter Erde« ist der Name Programm: Zur Erntezeit im August und September wird mittags ein vegetarisches Büffet aus frischem Freilandgemüse aufgetischt. Die Zutaten kommen vom benachbarten Bauernhof Vallanes. Wer sich in die Landschaft von Ostisland verliebt hat, kann vor Ort auch übernachten. Das B&B bietet von April bis Oktober rustikale Zimmer mit Kulinarik an.

Vallanes, 701 Egilsstaðir

T: +354 471 1747, modirjord.is


Erschienen in
Falstaff Nr. 06/2022

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Lisa Arnold
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