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Essay: Champagner-Supernova

Champagner schmeckt. Noch besser schmeckt er trocken. ­Noch besser schmeckt er extratrocken. Ist dieser Trend noch umzukehren? Und erreichen extratrockene Champagner ein wesentliches Ziel der Champagnerhäuser?

Wenn die Welt einen Schnupfen hat, dann haben die Champagnerhäuser Grippe. Das hat sich vor allem 2020 gezeigt, als Covid und die Covid-Maßnahmen (über deren Sinn man erst nach dem weltweiten Auftreten der harmloseren Omikron-Variante diskutieren kann – ja sogar muss) die Lust auf den Anlasswein Champagner zum Erliegen brachte. Keine Sorge: Die großen und mittelgroßen Häuser haben ausreichend Geld auf der Seite, um auch ein paar Krisenjahre (und den Verlust des russischen Marktes) durchzustehen. Ebenso ungefährdet sind Champagnerhäuser, die eine eigene, stets wiedererkennbare Handschrift verfolgen, die Konsumenten zu Stammkunden werden lässt.

2023, das erste eigentliche Jahr ohne Pandemie, ließ wieder mehr Korken knallen. Aber die Weltlage an sich macht die Manager der Champagnerhäuser gerade etwas unrund. Denn auch ein wesentliches Vorhaben, das diese schon vor zehn Jahren zu starten versuchten, hat sich nicht als erfolgreich bewiesen: das Vorhaben, Champagner von einem Anlasswein zu einem Alltagswein umzugestalten, zu einem Wein, der auch ein Menü gut begleiten kann. Die geplanten 20 Prozent Champagnertrinker, die keinen Anlass brauchen, um einen Korken gegen die Wand zu schießen: diese 20 Prozent bleiben auch heute ein fernes Ziel – ausgenommen vielleicht in Frankreich selbst. Und daran haben auch die Extra Bruts wenig geändert.

Dabei hat die Branche mit dem großen Luxusversprechen – weltweit werden jährlich Hunderte Millionen Flaschen abgefüllt, von denen jede einzelne, ja selbst die beim Discounter, das Besondere einhält oder simuliert – vieles sehr richtig gemacht. Dazu zählt eben diese Hinwendung zu sehr trockenen bis ultratrockenen Champagnern, die die Versprechen von Belebung der Sinne und Betörung der Gaumen absolut erfüllen. Halbtrockene und süße Champagner waren schon vor 30 Jahren abgesagt. Ist das eine gute Entwicklung?

Nein! Denn obwohl halbtrockener und süßer Champagner zunehmend ein Weinstil nur mehr älterer Briten, älterer Amerikaner und experimentierfreudiger Asiaten ist, hat es die Keltermethode nicht verdient, bald ganz vor dem Aus zu stehen und eventuell nur mehr von kleinen Winzerchampagnerhäusern angeboten zu werden. Oder von Sektherstellern, die sich dem Populismus schon aus existenziellen Gründen weit mehr hingeben müssen.

Aber Fakt ist: Die disruptive Revolution trockener und ultratrockener Weine, die in der Weinwelt, 40 Jahre nach ihrem Beginn, keinen Stein auf dem anderen gelassen hat, ist weder aufzuhalten noch zu ändern. Ist das ein gute Entwicklung?

Ja! Denn mehr denn je ist heute zu erkennen, dass Extra Brut ein Element aus den Champagnern herausarbeitet, das früher oft sträflich missachtet wurde: den Wein an sich, aus dem Champagner gekeltert wird (nachdem der Wein zuvor selbst gekeltert wurde). Ihm, dem sogenannten Grundwein, wird heute immens mehr Aufmerksamkeit gewidmet als in den Dekaden davor. Oft scheint es so, als sei das Pflegen der Weingärten, das Aufwerten der Crus und Keltern der Grundweine die nun eigentlichste Aufgabe der Kellermeister der Großregion – und nicht das Finalisieren der Champagner durch die Dosage.

Dieser Paradigmenwechsel hin zu mehr Önologie im Weingarten und Keller und einen Tick weg von der Zusammenstellung und Wirkung der Dosage, hat Champagner von höchster Güte entstehen lassen. Hochwertiger als heute waren gute Champagner nie, eben weil sie nicht mehr Geschmackswerk der Dosage (fast) alleine sind, wie das 150 Jahre zumeist der Fall war. Und mehr denn je bereichern Champagner den Markt, die überhaupt ohne Dosage auskommen wollen und tatsächlich auch sehr gut ohne Dosage auskommen. Sind diese sogenannten Zero-Dosage-Champager eine gute Entwicklung?

Ja! Mit einem Einspruch: Diese Zero-Dosage-Champagner, die leider noch immer mehrheitlich nur radikale Weinenthusiasten ansprechen, die dem Jakobinertum radikaler Naturweine anhängen, sind zwar eine erfreulich Erweiterung des Angebots; dieses Angebot aber zur Zukunft umzudichten, wie es die Weinpresse manchmal im Furor begehrt, ist erneut der Fehler, einer Ideologie bedenkenlos folgen und diese Ideologie dem Konsumenten aufzwingen zu wollen, der aber anders schmeckt und anderes schmecken will, als die Minderheit es ihm vorzuschreiben trachtet. Dosage, aber anders? Gerne. Null Dosage? Bitte nur als Ergänzung. Und wer es ganz wie gestern will, also so, wie vor dem Mönch Dom Perignon, dem bleiben die sogenannten Pet-Nat-Schaumweine, die tatsächlich am Markt bei einer jungen Klientel, die das archaische im Weinbau sucht, punkten können.

Und noch etwas hat diese trockene Welle am feuchten Gaumen bewirkt: das Erstarken der ausschließlich aus Chardonnay gekelterten Blanc-de-Blanc-Champagnern, die extra brut gekeltert zu dem trockensten Erleben extratrockener Champagner führen. Nie zuvor in der Geschichte der Champagner und ihrer Häuser hat der Chardonnay derart viel (und gerechtfertigt) Aufmerksamkeit bekommen. Und nie zuvor gab es aus Chardonnay derart großartige Champagner. Das ist, was länger und lange bleiben wird.


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Erschienen in
Sparkling Special 2023

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Manfred Klimek
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