Gefährliches Essen

Der EHEC-Skandal hat in Deutschland Konsumenten verunsichert. Die Taskforce zur Lebensmittelsicherheit und ein neues Internetportal sollen für mehr Aufklärung sorgen. ­
»Was können wir noch essen?«, ­fragen sich besorgte Konsumenten.

Eine Grillparty an einem lauen Spätsommerabend irgendwo in Deutschland. Die ersten braunen Würstchen und saftigen Koteletts werden auf einem großen Holzbrett auf den Tisch gestellt. Die Gastgeberin bringt eine große Schüssel mit Gurkensalat. Prompt fällt einem Gast dazu ein: »Kennt ihr schon den? Ein spanischer Autohersteller bietet sein neuestes Modell jetzt in drei Varianten an: Stufenheck, Fließheck, EHEC.« Niemand lacht. Obwohl bei den Deutschen das Lachen sonst recht locker sitzt, gelten Witze über den vermeintlich durch spanische Gurken ausgelösten Lebensmittelskandal als geschmacklos. Kein Wunder bei mehr als 50 Todesfällen und über 4000 an EHEC erkrankten Bundesbürgern.

Der EHEC-Keim – wissenschaftlich: ­enterohämorrhagische Escherichia coli oder ­einfach: Kolibakterium – ist seit 1982 bekannt. Doch noch nie hat dieses Bakterium, das im menschlichen Organismus zu blutigen Durchfällen führt, derart dramatische Folgen verursacht. Mit seinem jüngsten Auftreten hat sich gezeigt, dass Lebensmittel zunehmend gefährlich werden können. Denn schon zu Jahresbeginn 2011 wurde Deutschlands größter Dioxin-Skandal aufgedeckt. Mehr als 150.000 Tonnen mit Dioxin belastetes Tierfutter wurden an Landwirte ausgeliefert. Eier, Geflügel und Schweinefleisch wurden auf diese Weise vergiftet. Rund 5000 Bauernhöfe in Deutschland mussten geschlossen werden.

Pistole / Foto: Eisenhut & Mayer, Foodstyling: Eisenhut & Mayer, Bildbearbeitung: Fabian Morak/Farbantrieb

Die Liste der Lebensmittelskandale in ­Eu­ropa ist lang. Wohl einer der schwerwiegendsten war der Weinskandal 1985 in Österreich, bei dem das Frostschutzmittel Glykol beigemengt wurde, um dem Wein einen süßeren Geschmack zu verleihen. Doch während es in Österreich zu keinen ­bedeutenden gesundheitlichen Folgen kam, starben in ­Italien 1986 durch mit Methylalkohol vermischten Rotwein 26 Menschen. Um den weitaus dramatischsten Lebensmitteskandal handelte es sich zweifelsohne bei der Rinderseuche BSE, die von England ihren Ausgang genommen hatte. Und 1981 wurden in Spanien 25.000 Menschen mit gepanschtem ­Olivenöl vergiftet – mehr als 750 davon starben.
Was ist los mit unseren Lebensmitteln? Was können wir noch essen? Ist Bio eine tödliche Sackgasse? Sind Bauern geldgierige Verbrecher? Ist die Lebensmittelindustrie eine Menschenleben verachtende Maschinerie? Im Fall von EHEC dürfte es eine Verunreinigung gewesen sein, die die dramatischen Konsequenzen verur­sacht hat. Der EHEC-Keim wird von Wiederkäuern ausgeschieden, die zwar Träger der Bakterien sind, aber selbst nicht daran ­erkranken. Der auf Kuhweiden liegende ­Fä­kalkeim wird von anderen Tieren aufgenommen und weitergetragen. Über Kot und verschmutzte Euter können Bakterien beispielsweise in die Milch geraten oder auf ­Gemüse in angrenzenden Feldern. Der Umstand, dass andere EHEC-Erreger, die gar nicht Auslöser der Erkrankungswelle waren, auf spanischen Biogurken entdeckt wurden, war ein purer Zufall – jedoch mit fatalen ­Folgen für die ­Bioszene.

Warndreieck / Foto: Eisenhut & Mayer, Foodstyling: Eisenhut & Mayer, Bildbearbeitung: Fabian Morak/Farbantrieb

In Deutschland wurde vor dem Verzehr von Gurken und Tomaten gewarnt. »Wir wissen im Moment, dass ganz bestimmte Produkte unsicher sind«, sagte der Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung, Andreas Hensel. Die Biogurke wurde zum Symbol des Unheil bringenden Bösen – zu Unrecht, wie man jetzt weiß. Denn die Kontamination mit EHEC-Keimen ist kein Produktionsproblem, sondern ein Hygieneproblem.

In Deutschland waren die Folgen für Handel und Produzenten dramatisch. Deutsche Bauern sollen für ihren Einnahmenausfall 50 Millionen Euro aus EU-Mitteln erhalten. Außerdem werden 2,1 Millionen Euro aus bestehenden EU-Töpfen zusätzlich in die Erforschung des aggressiven Erregers investiert. Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus mehreren europäischen Ländern soll herausfinden, wie sich EHEC und ähnliche Keime ­besser bekämpfen lassen, um so weitere ­Epidemien verhindern zu können. Ersten Planungen zufolge sind die Max-Planck-Gesellschaft, die Universitäten Marburg, Bonn und Münster sowie das Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit beteiligt.

EHEC war nur der Höhepunkt einer Reihe von Skandalen, die zur Frage führten: »Wie gefährlich ist unser Essen?« In Deutschland flog bereits Anfang des Jahres ein Lebensmittelskandal auf. Ein Unternehmen ver­misch­te Tierfutter mit dioxinhaltigem Fett. Die Folgen waren Tausende dioxinverseuchte Eier, Hühner und Schweine. Ein Fall, der nicht auf den sorglosen Umgang mit Hygienemaßnahmen zurückgeführt werden kann, sondern auf Vorsatz. Denn Dioxin hat in Nahrungsmitteln nichts zu suchen.

In Deutschland scheinen die Verbraucher jedenfalls jetzt klar der Meinung zu sein, dass Sicherheit bei Lebensmitteln auch seinen Preis haben soll. Mehr als 70 Prozent der Deutschen sind einer Umfrage zufolge bereit, in Zukunft mehr für Lebensmittel zu bezahlen.

Bombe / / Foto: Eisenhut & Mayer, Foodstyling: Eisenhut & Mayer, Bildbearbeitung: Fabian Morak/Farbantrieb

Wie groß die Verunsicherung der Bundesbürger nach all den Skandalen ist, wurde deutlich, als Verbraucherministerin Ilse Aigner zusammen mit den Verbraucherzentralen die Website Lebensmittelklarheit.de freischaltete. Bei 20.000 Anfragen pro Sekunde brach das Portal kurz nach dem Start zusammen. Womöglich hing das mit einem Missverständnis zusammen: Auf dieser Website wird der Verbraucher nicht etwa über die verschiedenen Lebensmittel aufgeklärt, vielmehr wird er dazu aufgerufen, so­genannte »Mogelpackungen« zu melden. Eine Fachredaktion prüft dann die anonym gestellten Fragen zu Aufmachung und Kennzeichnung der Lebensmittel und leitet den Fall bei eindeutigen Rechtsverstößen an die Lebensmittelüberwachung weiter. Für den Start wurden rund 20 Produktbeispiele online gestellt.

Gute Produkte brauchen Vertrauen und Respekt - Starkoch Holger Stromberg hat ein »Menü der Zukunft« zusammengestellt.

Taskforce als Institution - Ministerin Ilse Aigner im Interview


Den vollständigen Artikel lesen Sie im aktuellen Falstaff Magazin - Jetzt am Kiosk!

Text von Thomas Martinek
Aus Falstaff Deutschland Nr. 4/2011

Thomas Martinek
Autor