Ballerina auf der Bühne der Staatsoper: Das »Haus am Ring« ist eines der Flaggschiffe der Wiener Kulturszene, pro Spielzeit stehen hier etwa 350 Opern- und Ballett-Vorstellungen auf dem Programm. Die künstlerische Gestaltung des Eisernen Vorhangs stammt dieses Jahr von Anselm Kiefer und trägt den Titel »Solaris«.

Ballerina auf der Bühne der Staatsoper: Das »Haus am Ring« ist eines der Flaggschiffe der Wiener Kulturszene, pro Spielzeit stehen hier etwa 350 Opern- und Ballett-Vorstellungen auf dem Programm. Die künstlerische Gestaltung des Eisernen Vorhangs stammt dieses Jahr von Anselm Kiefer und trägt den Titel »Solaris«.
© Florian Moshammer

Kulturfahrplan: Die Höhepunkte der Spielzeit 2023/24

Laster, Tugenden und andere Weltthemen auf der Bühne, im Konzertsaal und im Museum: Das sind die markantesten Höhepunkte für die Spielsaison Herbst/Winter 2023/24 in den Wiener Kultur-Tempeln.

Das Jahr 2024 wird ein Jahr der Jubiläen und Wien hat einmal mehr die Chance, seinem Ruf als eine der wichtigsten Kulturstädte der Welt gerecht zu werden. Vom großen Opernhaus, über die Kleinbühne bis zu Ausstellungshallen, die Auswahl an Bildkunst, Musik- und Theaterproduktionen, von klassischen bis modernen Inszenierungen, ist hochkarätig, abwechslungsreich und kontrovers.

Diese Saison nehmen die Kammerspiele endgültig Abschied vom Boulevard. Erstmals findet man im Programm der Spielstätte Stücke von Heinrich von Kleist (»Der zerbrochne Krug«), Fritz Hochwälder (»Der Himbeerpflücker«) und Anton Tschechow (»Die Möwe«). Das Theater in der Josefstadt spielt Henrik Ibsens »Die Stützen der Gesellschaft« – ein Auftakt, der die programmatische Richtung der Saison zeigt: die großen Laster der Menschheit, changierend zwischen Macht, Opportunismus und Lüge. Claus Peymann etwa inszeniert hier zum dritten Mal und hat mit »Warten auf Godot« im Dezember Premiere.

In der 111. Saison im Wiener Konzerthaus werden viele Jubiläen gefeiert, darunter das Bayerische Staatsorchester und sein 500-jähriges bestehen. Der 200. Geburtstag von Anton Bruckner 2024 wird in mehreren Konzerten gewürdigt, ebenso Arnold Schönberg. Ausnahmepianist Lang Lang kehrt im Mai 2024 in den Großen Saal zurück. Die Reihe Film + Musik live bringt Ur- bzw. Erstaufführungen auf die Bühne. Carl Orffs »Carmina Burana« wird im Juni 2024 den wuchtigen Schlusspunkt der Saison setzen. 

Was wäre eine Spielsaison ohne den Inhalt einer (tragischen) Liebe? Kaum möglich, als große Tugend und als großes Thema der Weltliteratur. Die bekannteste Liebesgeschichte der Welt kann man sich nun im MusikTheater an der Wien ansehen: Charles Gounods hochromantische Shakespeare-Adaption »Roméo et Juliette« vereint leidenschaftliche Dramatik mit französischem Esprit. Als Juliette präsentiert sich Mélissa Petit von einer neuen Seite, mit Julien Behr als Roméo kehrt einer der erfolgreichsten französischen Tenöre seiner Generation zurück nach Wien. Für das Haus ist es übrigens die zweite Spielzeit in der Halle E im MuseumsQuartier, bis zu seiner Wiedereröffnung im Herbst 2024. MusikTheater an der Wien-Intendant Stefan Herheim stellte für den Herbst/Winter 2023/24 ein Programm zusammen, das 350 Jahre Operngeschichte umfasst – und ein Plädoyer für die ungebrochene Kraft des Musiktheaters ist. Zu den beiden Spielstätten Halle E und Kammeroper kommt in dieser Spielzeit außerdem erstmals der REAKTOR im 17. Bezirk hinzu, wo ein Sonderprojekt zum 150. Geburtstag von Arnold Schönberg stattfinden wird.

Dem Komponisten widmet aber auch der Musikverein Wien einen Schwerpunkt, neben Festivals (Courage!), ausgewählten Komponist:innen, Werken (Brahms, Levit, 200 Jahre Beethovens 9. Symphonie, Bruckner, Haas) und musikalischen Streifzügen durch Epochen, um Bekanntes neu zu entdecken und Neues erstmals zu hören – etwa von der Britin Rebecca Saunders, eine zeitgenössische Komponistin, deren Stil mit »Stille und Klang im Spannungsfeld« beschrieben wird – klingt spannend.

Wiederaufnahme und (Welt-)Premieren

MUSICALisch geht es mit der Wiederaufnahme-Premiere von »Rebecca« im Raimund Theater weiter. »Rock me Amadeus – Das Falco Musical« hatte seine Uraufführung am 7. Oktober im Ronacher und unterhält mit allen großen Falco-Hits, vier brandneuen Songs und einer beeindruckenden Bühnenshow. Im März 2024 folgt dann im Raimund Theater »Das Phantom der Oper«, quasi ein indirekter Grund zur Freude, denn Cameron Mackintoshs spektakuläre Neuproduktion, war noch nie im deutschsprachigen Raum zu sehen. Dazu aber feiert die Volksoper ihr tatsächliches Jubiläum. Am 14. Dezember 2023 ist das Haus nämlich 125 Jahre alt. Ein Anlass für eine Weltpremiere: Man beauftragte den niederländischen Theater- und Filmregisseur Theu Boermans, das Stück »Lass uns die Welt vergessen« eigens dafür zu schreiben. Der Inhalt ist ein fesselnder Blick in den Spiegel der Vergangenheit dieses Ortes und bedeutet eine Konfrontation mit einer schmerzhaften Periode in der Geschichte der Volksoper – »ein Stück, das nicht die Wirklichkeit zeigt, aber die Wahrheit«. Viele Rollen basieren auf realen Personen, Situationen auf historischen Fakten und Ereignissen, gepaart mit der künstlerischen Interpretationsfreiheit des Autors.

Die beiden Flaggschiffe Staatsoper und Burgtheater setzen auf große Namen, Klassiker und zeitgenössische Fassungen. Claus Guth inszeniert Puccinis Oper »Turandot« unter der musikalischen Leitung von Franz Welser-Möst, mit der litauischen Sopranistin Asmik Grigorian als Turandot und Jonas Kaufmann als Calàf. Die Burg startete mit dem »Sommernachtstraum« in die Saison, samt zeitkritischem Tenor, wie das Bühnen-Ambiente vermuten lässt. Eine Wrackhalde sieht mehr nach Gegenwarts- und Zukunftsszenario aus. Der Elfenwald – verbrannte Erde anstatt märchenhafte Welt. Schauspielerin Lili Winderlich (spielt die Helena) beschreibt ihn als »einen sehr dunklen Ort, die Natur, die Hitze, der Wald, die Liebe, der Wahnsinn. In allen Figuren ist der Wald das Düstere, die Ängste, die Orientierungslosigkeit«. 

Liebe, ihr Verlust und die Sehnsucht nach ihr ergründet man in einem Liebesmelodram im Akademietheater: Lilja Rupprecht bringt das 1971 in Frankfurt uraufgeführte und 1972 verfilmte Werk »Die bitteren Tränen der Petra von Kant« von Rainer Werner Fassbinder auf die Bühne.

Empathie ist die wichtigste Voraussetzung für Kunst und daher unverzichtbar.
– Gottfried Helnwein

Wir bitten ins Museum 

Immersiv, opulent, imposant: In eine andere Welt, gar in eine andere Zeit, taucht man derzeit, filmgleich inszeniert, in das Reich des Tutanchamun in der Marx Halle. Auf einer 2000 m2-Fläche erwacht die Welt der Götter und Pharaonen im alten Ägypten. Die Veranstalter Alegria Exhibition, von »MAD« (Madrid Artes Digitales) produziert, bringen imposante Tempel, Grabkammern voller Gold und einen geheimnisvollen Totenkult nach Wien. Zusammengefasst trifft man hier auf Kunst, Virtual Reality und Augmented Reality.

Klassische, reale, gestische Malerei findet man im Kontrast zur Multimedia-Show dafür im Kunstforum Wien. Robert Motherwell, einer der führenden Vertreter des abstrakten Expressionismus, wird dort großflächig präsentiert. Einzigartig, selten, sehenswert. Ebenso Gottfried Helnwein, dessen Personale »Realität und Fiktion« zu seinem 75. Geburtstag in der Albertina zu sehen ist. 43 Werke aus den letzten drei Jahrzehnten, hyperrealistische Bilder, mit den zentralen Motiven Schmerz, Verletzung und Gewalt, zeigen Kritik an der Gesellschaft – eine Mischung aus Groteske und Horror: »Meine Arbeit war eigentlich immer ein Versuch, mit dem, was auf mich wirkt, zurechtzukommen oder darauf zu reagieren«, so der Künstler über seine Arbeit. Und zu guter Letzt: Eine große Wiedereröffnung steht am 6. Dezember 2023 am Programm. Das Wien Museum öffnet nach mehrjährigem Um- und Ausbau (Architektenteam Certov, Winkler + Ruck) wieder seine Pforten. Im Programm: Kunstwerke sowie historische und zeitgenössische Exponate der Stadtgeschichte Wiens.

Wer noch tiefer in die Wiener Bühnen-Szene eintauchen möchte, dem bieten das Schauspielhaus, das Theater am Werk oder das Theater Drachengasse, Metropol, Bronski & Grünberg und Co junge, moderne Inszenierungen, die zu Recht einen verdienten Platz in Wien haben. Fürs Kabarett at it’s best biegt man ins Simpl, Niedermair, Rabenhof Theater, Globe Wien oder in den Stadtsaal ab. Und wenn der Vorhang fällt: Applaus! Oder, wie Karl Kraus sagte:

Die Straßen Wiens sind mit Kultur gepflastert. Die Straßen anderer Städte mit Asphalt.


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Erschienen in
Falstaff Wien Special

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Elisabeth Klokar
Autor
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