Metamorphose des Gins

Ein Klassiker erlebt einen Boom. Gin ist nicht mehr nur Spirit für Mixgetränke. Moderne Varianten trinken Kenner auch gerne pur.

Gin war über viele Jahre ein unscheinbarer, braver Begleiter. Man verwendete ihn völlig selbstverständlich und ohne ihm viel Beachtung zu schenken. In Martinis und vielen anderen ausgesprochen erfolgreichen Mixgetränken ist er unentbehrlich. Sein Charisma jedoch blieb stets blass. Während man sich die Sprache des Whiskys zu eigen mach­te und beflissen über Cognac oder Grappa schwadronieren konnte, blieb man dem Gin gegenüber wortkarg.

Dann brach vor wenigen Jahren ein Boom los, mit dem selbst Kenner nicht gerechnet hatten. Es kamen Gins auf den Markt, deren traditionelle Wacholdernote fast gänzlich von Rosenblättern, Safran, Rosmarin oder gar Salatgurken verdrängt wurde. Der fundamentale Streit darüber, ob das alles noch als Gin gelte, währte nicht lange, denn schon bald stellte sich heraus, wie spannend manche der neuen Kreationen zum Mixen waren – ganz abgesehen davon, dass nun einige Gins auch pur genossen enormen Reiz boten.

Abwechslungsreiche Geschichte
»Ich glaube, dass Gin seinen ihm zustehenden Platz in den Bars der Welt schließlich gefunden hat. Wir bekommen erstmals eine Menge guter Genever, diverse Old Toms, wunderbare Beispiele von London Dry Gin und jede Menge Western Dry Gins. Was wollen wir mehr?«, schrieb kürzlich Gaz Regan, ein erklärter Gin-Liebhaber und Autor des »Bartender’s Gin Compendium«. Der gebürtige Engländer hat in New York als Bartender Karriere gemacht und ist einer der sympathischsten aus der Altherrenriege der Barberühmtheiten. Anhand seines empfehlenswerten Gin-Buchs kann jeder die abwechslungsreiche Geschichte des Gins gut nachvollziehen. Mit Western Dry Gins beschreibt er die neuen, teils ungewöhnlich knackigen und aromatischen Gin-Varianten.

47 verschiedene Zutaten kommen in den Monkey 47 aus dem Schwarzwald
47 verschiedene Zutaten kommen in den Monkey 47 aus dem Schwarzwald

Prohibition
Ursprünglich aus medizinischen Gründen mit Wacholder versetzt, führte Gin aufgrund seiner Popularität im England des 18. Jahrhunderts auch zu erheblichen gesellschaftlichen Problemen, die den meisten wohl durch William Hogarths Zeichnung »Gin Lane« in Erinnerung sein dürften. Interessanterweise hat ein späterer Versuch, die ­Alkoholsucht gesetzlich zu bekämpfen, zum größten Gin-Boom überhaupt geführt. Schon durch die Cocktailkultur des 19. Jahrhunderts sehr präsent, wurde Gin nämlich während der Prohibition in den USA wegen seiner simplen Herstellungsweise zum Renner. Gin konnte unmittelbar nach dem Brennen abgefüllt werden, Whisky dagegen musste erst gelagert werden – nicht gerade ideal für die Herstellung eines illegalen Produkts. Diese Entwicklung zeigt anschaulich, wie sehr die Popularität eines Destillats auf Kos­ten eines anderen gehen kann. Nach dem Zweiten Weltkrieg etwa erlebten Cognac, Blended Whisky, Wodka und schließlich Single Malt ihren Aufschwung. Speziell die Vorliebe für Wodka ging wiederum erheblich zulasten von Gin. Jetzt schlägt das Pendel in die andere Richtung aus.

Botanicals geben Aroma
»Dabei ist Gin eigentlich nichts anderes als aromatisierter Wodka«, so Gaz Regan. Die Basis für beide Destillate ist in der Regel ein Getreidebrand. Diesem werden für Gin vor oder während der letzten Destilla­tion Gewürze, Kräuter oder Wurzeln – die sogenannten Botanicals – beigefügt. Im ­Falle des aus dem Schwarzwald kommenden Monkey 47 sind das 47 verschiedene Zutaten, analog dazu 24 beim Beefeater 24. Welche Botanicals verwendet werden und in welchem Verhältnis, ist die persönliche Sache jedes Brenners. Neben Wacholder werden gerne Koriander, Kardamom, Nelken, Zimt, Zitrusschalen sowie Engelwurz und andere Wurzeln verwendet.

Wacholder als Hauptnote
Klassisch ist die Betonung des Wacholderaromas. »Das soll in meinen Augen auch vorherrschend sein in einem Gin«, sagt Hans Reisetbauer. Österreichs bekanntester Obstbrenner wagte sich mit dem Blue Gin auf ein für ihn völlig neues Terrain – und konnte sich bislang sehr gut positionieren, was in erster Linie der Transparenz und Reinheit des Produkts geschuldet ist. Auch deutsche Marken wie The Duke, Monkey 47 und andere mischen erfolgreich mit. »Ich denke doch, dass wir nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass der alte Gin-Markt aufgebrochen wurde, denn bis vor wenigen Jahren bekam man bei uns selbst einen Tanquerai 10 nur schwer«, so Hans Reisetbauer. Er hat durchaus Lob für die Konkurrenz übrig, etwa für die Leute von Hendrik’s, die den Wacholder allerdings gar nicht betonen und mit Rosenblüten und Gurken eine sehr individuelle Linie fahren. Den Hendrik’s finden insbesondere Bartender sehr animierend. Er überzeugt schon allein mit der Ausgewogenheit seiner Struktur. Dieses Merkmal ist wahrscheinlich eines der hervorstechendsten der neuen Gin-­Generation: Nicht nur die Aromen sind ­vielfältiger, auch die zugrunde liegende handwerkliche Seite ist meist überzeugender ausgeführt, als man das bisher gewohnt war. Darüber hinaus sind auch Versuche wie die des französischen G-Vine, dessen Basis Weinbrand ist, sehr belebend.

Spannend
»Natürlich schmecken Cocktails nach klassischen Rezepturen mit den neuen Gins anders, aber manchmal eben auch interessanter«, sagt Christian Ebert von der Ersten österreichischen Barkeeperschule. »Es ist wenig verwunderlich, dass der Funke längst auf Barbesucher übergesprungen ist. Jeder muss den Gin finden, den er mag, und für uns als Bartender öffnet sich damit ein weites, spannendes Beratungsfeld – zu uns kommen etwa auch Gäste, die während eines Abends eine halbe Flasche Brockmann’s Gin trinken, obwohl nicht gerade eine der ­bekanntesten Marken, aber eben von in­divi­duellem Reiz.«

Tonic als idealer Begleiter
Die ideale Ergänzung zu Gin ist bekanntlich ein gutes Tonic, und auch in diesem Bereich hat sich enorm viel getan. Marken wie Fentiman’s (GB), Fevertree (GB) oder Thomas Henry (D) sind vergleichsweise jung, doch auch auf sie trifft zu, was man über viele neue Gins sagen kann: bestes Handwerk und beste Zutaten, knackig, authentisch und sehr transparent. Auch Ginger Ales und ähnliche für Gin geeignete Partner bieten die neuen Hersteller in erstaunlicher Qualität an. Wie sich das alles mit welchem Gin kombinieren lässt, ist eine Frage der Vorliebe, denn einige Kombinationen können auch relativ laut sein. Da greift mancher vielleicht auch gerne auf den alten Pimm’s No. 1 Cup zurück, einen Longdrink aus Ginger Ale und dem gleichnamigen und einzigen ginbasierten Likör, der es zu nachhaltiger Bekanntheit gebracht hat und in Großbritannien immerhin seit 1860 vermarktet wird – getreu dem Motto »Chacun à sa ­façon«.Feine Harmonie in der Nase: der Beefeater 24

Facts zu Gin & Co.
- Genever ist ein Vorläufer des Gins aus Holland und Belgien. Je nach Qualität ist ein Anteil an »Kornwein« festgelegt, ein Getreidedestillat. Der andere Teil ist Neutralalkohol, in dem Wacholder, Koriander, Engelwurz etc. marzeriert werden, der nochmals destilliert und in der Regel gezuckert wird. Die Firma Bols brennt Genever seit 1575.

- Old Tom wird als Missing Link zwischen Dry Gin und Genever angesehen. Er ist gesüßt, jedoch nicht so stark wie üblicherweise Genever. Es gibt nur noch wenige Marken, wie etwa Hayman’s.

- Plymouth Gin ist eine geografische Ursprungsbezeichnung. Generell enthält Plymouth Gin weniger Wacholder und mehr Wurzeln, wodurch er weniger bitter, dafür umso süßer und bisweilen erdig schmeckt.

- London Dry Gin ist definiert über die Beigabe der Botanicals nur während des letzten Destillationsvorgangs. Er darf nur sehr wenig gezuckert werden.

> Best of Gin - Verkostungsnotizen und Bewertungen

Text von Peter Hämmerle

Aus Falstaff Deutschland Nr. 03/2012

Peter Hämmerle
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