Verrücktes Ferienhaus: So wohnt Künstler Grayson Perry
Architektur ist vielseitig und manchmal überraschend. Wenn ein Haus aber zur lebhaften Erzählung wird, zu einer Hommage an eine fiktive Romanfigur, dann ist es das Werk von Großbritanniens exzentrischem Künstler Grayson Perry. »A House for Essex« in der gleichnamigen Grafschaft ist wahrlich ikonisch. Wer will, kann hier auch Urlaub machen.
28.08.2024 - By Dominic Bradbury
»A House for Essex« ist, und das war durchaus beabsichtigt, zu einer Pilgerstätte geworden. Es zieht Menschen an, die die Landschaft von Essex lieben, Besucher:innen aus nah und fern mit einer Leidenschaft für Architektur und insbesondere Kunstliebhaber:innen, die das Bauwerk auf eine immersive Weise erleben wollen. Denn wie alle Häuser, die zum Kollektiv Living Architecture gehören, kann auch »A House for Essex« von Besu-cher:innen gemietet werden. Auf diese Weise soll jede:r die Möglichkeit haben, in einem Haus des 21. Jahrhunderts zu residieren, das von einem renommierten Architekten entworfen wurde. Hier aber, in der Grafschaft Essex, offenbart sich zusätzlich eine einzigartige Zusammenarbeit zwischen FAT Architecture und dem für seine exzentrischen Werke bekannten Künstler Grayson Perry. Das märchenhaft anmutende Gebäude bietet nämlich eine erzählerische Ebene, die in den handwerklichen Details und Kunstwerken, die sich durch das gesamte Projekt ziehen, erforscht werden kann. »Ich würde es als einen sehr, sehr seltenen Fall einer echten Kooperation zwischen Kunst und Architektur bezeichnen«, sagt Architekt Charles Holland, FAT-Direktor und Verantwortlicher für »A House for Essex«. Seine mit Grayson Perry geteilte Begeisterung für Dekoration, Ornament und die Möglichkeit, Architektur als erzählende Kunst zu begreifen, führte zu einer symbiotischen Zusammenarbeit und einem ikonischen Ergebnis.
Originelle Gedenkstätte
Der Zufall wollte es, dass sowohl Holland als auch Perry in Essex aufgewachsen und beide im nahe gelegenen Chelmsford zur Schule gegangen sind. Nachdem sie einander von Alain de Botton, dem Begründer von Living Architecture, vorgestellt worden waren, stellten sie fest, dass sie viele gemeinsame Bezugspunkte hatten und das Vergnügen teilten, einen Ort wiederzuentdecken, den sie gut kannten. Der halb ländliche Ort liegt am nördlichen Rand von Essex, in der Nähe des Flusses Stour, mit Suffolk und der Halbinsel Shotley auf der anderen Seite des Gewässers. In der Nähe gibt es einen Wanderweg sowie die Häfen von Harwich und Felixstowe – ersterer bekräftigt bei »A House for Essex« die moderne Interpretation einer Wallfahrtskapelle, letztere repräsentieren eine Art Verkehrsader. »Die Idee, die hinter diesem Projekt steht, bezieht sich auf Gebäude, die als Gedenkstätten für geliebte Menschen errichtet wurden, auf Verrücktheiten, exzentrische Eigenbauten, Schreine, Leuchttürme und Märchen«, sagt der Künstler, Keramiker, Schriftsteller und Moderator Grayson Perry. In der Grafschaft und im ganzen Land gibt es viele derartige beliebte Bauwerke. Diese verschiedenen Bezüge fügten sich zu Perrys Erfindung einer fiktiven Einwohnerin von Essex, Julie Cope, zusammen, deren Geschichte in den Keramiken und Wandteppichen des Künstlers erzählt wird, aber auch in den dekorativen Fliesen, in diversen baulichen Details und anderen Designzutaten. »Julie wurde zum Leitmotiv für die Entwicklung der Geschichte des Hauses. Sie fungierte als Ersatzauftraggeberin«, sagt Holland, auch weil das Haus als Ferienhaus keine Auftraggeber:innen im herkömmlichen Sinne hat. Julies »Geschichte« habe auch ein Gespräch über Geschmack und Inneneinrichtung ermöglicht, wie es dies in der zeitgenössischen Architektur selten gibt. Holland: »Wir haben uns oft Fragen gestellt wie: Was für eine Küche würde Julie haben? Oder: Würde sie eine Avocado-Badewanne wollen? Gleichzeitig waren wir bestrebt, das Haus nicht als Bühnenbild zu sehen.«