Das »Le Falstaff« zählt zu den schönsten Brasserie-Restaurants im Jugendstil und befindet sich im Herzen der Stadt.

Das »Le Falstaff« zählt zu den schönsten Brasserie-Restaurants im Jugendstil und befindet sich im Herzen der Stadt.
© Mauritius Images

Brüssel: Genuss in Zweisamkeit

In Brüssel treffen französische und flämische Kultur aufeinander und ergeben eine reizvolle Mischung – sowohl auf dem Teller und im Glas, als auch in Sachen Kultur.

Die belgische Hauptstadt ist der Inbegriff der europäischen Vielfalt. Schon lange wird die Region Brüssel von unterschiedlichen Kulturen geprägt. Bevor Belgien 1830 ein eigener Staat wurde, regierten dort Franzosen, Niederländer, Deutsche und sogar einmal Österreicher. Und seitdem die NATO sowie die zentralen Institutionen der EU ihren Sitz in Brüssel haben, begegnen sich in der Stadt ohnehin ständig Menschen aus zahlreichen Ländern. Im Europaviertel Leopold sind neben der Europäischen Kommission auch das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union vertreten.

Im Stadtbild macht sich außerdem die gespaltene Identität von ganz Belgien bemerkbar: Alle Straßen, Plätze und U-Bahnstationen sind in Französisch und Niederländisch beschriftet. Von den 1,2 Millionen Einwohnern der Hauptstadt sprechen allerdings zwei Drittel Französisch, und nur jeder Zehnte kann ausschließlich Niederländisch.

Nicht zuletzt die komplexe Sprachsituation (Belgiens dritte Amtssprache ist Deutsch) hat dazu geführt, dass die Belgier auch gerne über Bilder kommunizieren. Brüssel ist die Hauptstadt der Comics und um die 50 Hauswände sind mit Motiven aus »Tim und Struppi«, »Lucky Luke« und anderen beliebten Serien verziert. Die verspielte Straßenkunst bildet einen spannenden Kontrast zur pittoresken Architektur der Altstadt, vor allem um den zentralen »Großen Platz« herum, an dem auch das gotische Rathaus liegt.

Die »Brasserie de la Senne« gilt gemeinhin als Ursprung der Wiederbelebung des Craft-Bieres in der belgischen Hauptstadt.
© Zenne Bar Saturday
Die »Brasserie de la Senne« gilt gemeinhin als Ursprung der Wiederbelebung des Craft-Bieres in der belgischen Hauptstadt.

Leckeres aus zwei Welten

Der enge Kontakt zwischen den Kulturen hat auch die Brüsseler Essgewohnheiten geprägt. Bis heute wird die französische Küche von deftigen flämischen Spezialitäten ergänzt. Das Spektrum an kulinarischen Erlebnissen, die man als Besucher absolvieren sollte, reicht vom kunstvollen Verkostungsmenü über familiengeführte Restaurants und rustikale Gastropubs bis zu kultverdächtigen Waffel- und Pommesständen. Es sollen nämlich Belgier gewesen sein, die um 1680 erstmals Kartoffelscheiben ins heiße Öl warfen; und zwar im Winter, als das Angeln frittierbarer Fische nicht möglich war.

Der Guide Michelin empfiehlt in Brüssel ganze 37 Gaststätten. In der »Villa Lorraine« hat Yves Mattagne (geb. 1963) erst im Mai den zweiten Stern erkocht. Besonders herzlich geht es im einfach besternten »Comme chez Soi« zu: Schon 1926 hat Urgroßvater Georges Cuvelier den Grundstein für nunmehr fast ein Jahrhundert gehobene Gastronomie gelegt. Heute kreiert Küchenchef Lionel Rigolet in der vierten Generation klassische Mittags- und Abendmenüs.

Außerdem hat er die übergreifende Verantwortung für die Menüs der kulinarischen »Tram Experience«: Bei diesem unterhaltsamen Konzept besteigen die Gäste am Place Poelaert eine Straßenbahn und fahren in knapp drei Stunden durch den Süden der Stadt. Unterwegs wird ein saisonales Menü aus sieben Gängen serviert. Die Gerichte repräsentieren die drei Landesteile Belgiens: die flämische Region, die wallonische Region und die Region Brüssel-Hauptstadt.

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Brüsseler Trink-Spitzen

Belgien liebt es prickelnd: Als einer der größten Champagner-Konsumenten der Welt und gelobtes Land des Brauens zugleich sorgt man auch in der Hauptstadt für ein reiches Angebot in Sachen Wein und Bier.

Die Rechnung wird indes immer leichter, bald kommt auf jeden der 11,4 Millionen Belgier auch eine Flasche Champagner im Jahr. 10,3 Millionen waren es 2021, womit nur Deutschland innerhalb der EU mehr vom legendären Sprudel trinkt. Vom legeren Glas im Stehen zu den frischen Austern im »Mer du Nord« am Katherinenplatz bis zum 150 Etiketten umfassenden Sortiment des »Beaubbles« reicht die Palette. Und es ist kein Zufall, dass einige der bekanntesten Winzer Belgiens mit Schaumwein begonnen haben: Paul Vleminckx prickelnder Chardonnay beflügelte den Ruf von »Meerdael« seit 1998, das größte Weingut des Königreichs – »Vignobles des Agaises« mit 35 Hektar auf Kalkböden – ist ebenfalls eine Schaumweinkellerei.

Dass das Leben ohne Kohlensäure nichts wäre (»La vie est nulles – sans bulles«), gilt in der Hauptstadt aber auch beim Bier. Dazu gehört auch eine ungewohnte Vielfalt an Gläsern. Mit Nachdruck weisen Einheimische ein »falsches«, also nicht zur Biermarke gehörendes, Trinkgefäß zurück. Denn nur darin finden Brüsseler ihr Bier so richtig »smakelijg« (= köstlich). Doch egal, womit man in der Brasserie sein Glas füllen lässt, zumindest ein typisch belgischer Stil sollte dabei sein: Wit, Sauerbier, Saison oder ein kräftig-süßes Triple.

Direkt aus Brüssel kommen gleich einige dieser Optionen, etwa das »Saison de Bruxelles« der kleinen Brauerei »L’Annexe«, die aktuell in Richtung fermentierter Getränke – wie Holunder-Cider – expandiert. Die »Brasserie de la Senne« wiederum bekennt sich zur bitteren Leidenschaft – »passion de l’amertume«. Mit dem »Taras Boulba« hat man einen diesbezüglichen Evergreen geschaffen. Er steht neben dem »Zinnebir«, dem »Pale Ale«, mit dem Yvan De Baets und Bernard Leboucq 2002 ihre Brauleidenschaft gestartet haben.

Internationale Stile werden also längst auch in Brüssel gerne gebraut, wie auch die »Dicke Bertha« (im Französischen »Grosse Bertha«) des »Brussels Beer Project« zeigt, ein Stil-Mix aus deutschem Weißbier und belgischem Triple. Es ist ein Exporthit der Brauerei, die mittlerweile einen neuen Sud pro Woche herstellt und per Schwarmintelligenz der 4000 Beer Club-Mitglieder auswählt, welche zu Standard-Abfüllungen werden. Gute Chancen bei der aktuellen Abstimmung hat das »Viens Gamin«. Es zitiert den belgischen Filmklassiker »C’est arrivé près de chez vous« (1992) und schmeckt nach Popcorn!

Wer sich nicht zwischen Bier und Wein entscheiden kann: In den Lagerräumen der Brauerei »L’Ermitage« stehen Naturweine neben den Zapfhähnen. Und im Keller reifen Biere im Weinfass.


Erschienen in
Falstaff Nr. 07/2022

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Peter Moser
Wein-Chefredakteur Österreich
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